1. Deutscher Suchtkongress:

Die zwei Säulen der Rauchentwöhnung

 

Praxistaugliche Interventionsstrategien aus medikamentöser Therapie mit partiellem Nikotinagonist und verhaltenstherapeutischen Ansätzen

 

Karlsruhe (28. Juli 2008) – In seinem Grußwort zum ersten deutschen Suchtkongress der Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie betonte Prof. Dr. Karl Mann das hohe Suchtpotential von Nikotin und formulierte die Bildung einer wissenschaftlichen Basis für die Anerkennung der Tabakabhängigkeit als Suchterkrankung als ein Hauptanliegen des Kongresses. Während eines wissenschaftlichen Symposiums zum Thema "Status Quo der Tabakentwöhnung" unter Vorsitz von Prof. Mann diskutierten Experten für Rauchentwöhnung über verschiedene Interventionsstrategien und sahen dabei Verhaltenstherapie und medikamentöse Behandlung als die zwei wichtigsten Säulen an, auf denen eine dauerhafte Rauchentwöhnung aufbauen sollte. "Durch eine medikamentös unterstützte, einfache und praxistaugliche Intervention in Verbindung mit verhaltenstherapeutischen Ansätzen kann es vielen Aufhörwilligen gelingen, noch ein Jahr nach der letzten Zigarette abstinent zu sein", berichtete Prof. Wehling, Mannheim, aus seiner Erfahrung. Die Wirksamkeit und Verträglichkeit einer Rauchentwöhnung mit Vareniclin (Champix®), konnte mittlerweile durch eine Metaanalyse der Cochrane Collaboration bestätigt werden.

 

Nikotin wirkt, indem es die Blut-Hirn Schranke sehr schnell überwindet und in der Region des ventralen Tegmentums an nikotinerge α4ß2-Acytylcholin-Rezeptoren bindet. Die neuronale Weiterleitung des Rezeptorsignals in den Nucleus accumbens im mesolimbischen System führt bereits wenige Sekunden nach Inhalation von Nikotin zur Ausschüttung des Neurotransmitters Dopamin. Die erhöhte Dopaminkonzentration führt zu einem angenehm veränderten Körper- und Gefühlszustand. Er kann sich zum Beispiel in einer Verbesserung der Konzentrations- und Gedächtnisleistung äußern. Diese und weitere Effekte bewirken bei ausbleibender Nikotinzufuhr ein gesteigertes Verlangen nach Zigaretten (Craving). Lässt die Dopaminwirkung nach, kann sie durch erneute Stimulation des Rezeptors wieder erhöht werden. Dieser dopaminerge Belohnungsmechanismus spielt nach Aussage von Professor Martin Wehling, Institut für Klinische Pharmakologie Mannheim der Universität Heidelberg, eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der Nikotinabhängigkeit und bildet auch eine der Grundlagen anderer Süchte, wie zum Beispiel (Fr-)Ess-Sucht und der Kokain-, Morphin- oder Alkoholabhängigkeit.

 

 

Partieller Nikotinagonist reduziert Entzugssymptome und vermindert das Verlangen nach Nikotin

 

Die in der Suchtentwöhnung zum Beispiel bei Opioiden bereits klinisch bewährte Strategie des partiellen Agonismus kann durch den Wirkstoff Vareniclin jetzt auch bei Nikotinabhängigkeit nutzbar gemacht werden, erläuterte Wehling. Als partieller Agonist bindet Vareniclin mit hoher Affinität und Selektivität an die α4ß2-Rezeptoren, die Bindungsstellen für Nikotin, und stimuliert die Freisetzung von Dopamin partiell. Jedoch ist die Dopaminausschüttung unter Vareniclin deutlich geringer ausgeprägt als beim Nikotin. Dadurch kommt es beim Rauchausstieg nicht zu einem vollständigen Ausfall der Dopaminwirkung, so dass die Entzugssymptomatik schwächer ausfällt als bei der Rauchentwöhnung ohne Vareniclin. Dieser Effekt reicht aus, das Verlangen nach erneuter Nikotinaufnahme und die Entzugsymptomatik bei der Abnahme des Nikotinspiegels während der Rauchentwöhnung zu lindern. Die antagonistische Komponente bewirkt, dass bei einem Rückfall das Nikotin mit Vareniclin um dieselbe Bindungsstelle am Rezeptor konkurriert. Vareniclin bindet jedoch stärker an den Rezeptor, womit die Genusswirkung des Rauchens geschwächt wird und bei einem möglichen Rückfall das durch das Rauchen vermittelte Belohnungsgefühl ausbleibt.

 

Ein unabhängiger Cochrane-Review (1) , der vier plazebo-kontrollierte klinische Studien mit fast 5.000 Teilnehmern zusammenfasst, zeigte für Vareniclin eine mehr als dreifach höhere Wahrscheinlichkeit für eine erfolgreiche Rauchentwöhnung (Odds ratio 3,22) im Vergleich zu Plazebo und eine mehr als anderthalbfach höhere Wahrscheinlichkeit (Odds ratio 1,66) im Vergleich zu Bupropion.

 

 

Effiziente und kosteneffektive Intervention zur Rauchentwöhnung in der Praxis

 

Das ganzheitliche Prinzip der Rauchentwöhnung mit medikamentöser und verhaltenstherapeutischer Komponente kann die Chancen auf eine langfristig erfolgreiche Abstinenz erhöhen. Peter Lindinger, Psychologe aus St. Peter betonte die Bedeutung von verhaltenstherapeutischen Interventionen in der Praxis: "Das Rauchverhalten ist leicht beobachtbar und verifizierbar, lässt sich lerntheoretisch erklären und erlaubt zudem eine eindeutige Definition eines Therapiezieles". Lindinger sieht dabei verhaltenstherapeutische Ansätze nicht nur für die individuelle und Gruppen-basierte Therapie, sondern auch für die telefonische Raucherberatung und die ärztliche Kurzintervention als geeignet an.

 

Über seine großen Erfahrungen mit einer schematisierten Rauchentwöhnung in der Praxis, berichtete Dr. Thomas Hering, Berlin. Das dreimonatige Programm des Pneumologen beginnt mit einem 30-60-minütigen Starttermin zur Aufklärung, Diagnostik, Rauchanamnese und Therapieplanung. Es folgt der Einstieg in die Pharmakotherapie und vier kurze Folgetermine, in denen Verträglichkeit und Wirksamkeit der Therapie überprüft und mit CO-Messung der Atemluft die Nikotinkarenz nachgewiesen wird. Ein zuvor mit dem Raucher vereinbartes Recall-System kann nach Erfahrungen von Dr. Hering die Erfolgsquoten zusätzlich steigern. Hering berichtete über Abstinenzraten von etwa 67 Prozent nach sechs Monaten, die er in seiner Praxis erreicht. Daraus lasse sich prognostizieren, "dass zwölf-Monats-Quoten von etwa 50 Prozent mit medikamentöser Therapie in Kombination mit intensiver ärztlicher Betreuung realistisch sein können." Dr. Hering wies allerdings auch auf den vorzeitigen Therapieabbruch als häufiges Problem in der Praxis hin. Nicht immer sei dabei die mangelnde Motivation des ausstiegswilligen Rauchers der Hauptgrund: Rauchentwöhnungspräparate sind nicht erstattungsfähig und der Patient müsse die Kosten selbst tragen. Da einige Entzugssymptome, wie zum Beispiel der gesteigerte Appetit und das Rauchverlangen länger als zehn Wochen nach dem Rauchausstieg anhalten können, sei es aber wichtig, die empfohlene Therapiedauer von 12 Wochen einzuhalten. Nur so könne der langfristige Therapieerfolg gesichert werden, betonte Hering.

 

Die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Vareniclin zur Rauchentwöhnung sei sehr gut belegt und es lägen mittlerweile auch gute pharmakoökonomische Studien vor (2), die eine medikamentöse Intervention mit Vareniclin als "effiziente Maßnahme auf dem Wege zu einem gesünderen Leben zeigen", fasste Prof. Wehling zusammen. Er sieht allerdings die Notwendigkeit eines ganzheitlichen Ansatzes in Kombination mit Verhaltenstherapie und die Motivation des Rauchers als "Voraussetzung für die Erzielung einer dauerhaften Abstinenz".

 

 

Referenzen

  1. Cahill K, Stead LF, Lancaster T Nicotine receptor partial agonists for smoking cessation. Cochrane Database of Systematic Reviews 2007, Issue 1. Art. No. CD 006103. DOI: 10.1002/14651858.CD006103.pub2
  2. Rutten-van Mölken M, Hoogendoorn M, Rasch A, Bolin K: Cost-effectiveness of varenicline for smoking cessation in five European countries. Proceedings of the 9th European SNRT Conference; 2007 Oct 3-6; Madrid, Spain

 

Quelle: Symposium "Status Quo der Tabakentwöhnung”. 1. Suchtkongress der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie, 12. Juni 2008, Mannheim.

 


 

Pressemitteilung der Firma Pfizer Deutschland GmbH vom 28.07.2008 (medical relations) (tB).

 

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