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17. Bamberger Gespräche 2013
Macht es Sinn, das Anticholinergikum bei der Therapie der OAB zu wechseln?
PD Dr. med. Andreas Wiedemann, Witten
Bamberg (7. September 2013) – Zu den möglichen Strategien während einer anticholinergen Therapie gehört der Wechsel zu pharmakologischen Alternativen besonders bei Nichtansprechen oder intolerablen Nebenwirkungen. Hier ist an erster Stelle bei der therapierefraktären OAB Botulinum Toxin zu nennen, das jedoch als invasive und passager irreversible Methode mit der Gefahr der Restharnbildung verbunden ist. Auch sind die deutlich höheren Kosten zu berücksichtigen. Ob der Wechsel von einem Anticholinergikum zu einem ß3-Mimetikum, dessen Zulassung für 2013 erwartet wird, eine Alternative darstellt, bleibt abzuwarten. Die spärlichen Wirksamkeits- und Nebenwirkungsdaten suggerieren eher, dass sich die Substanz als Kombinationspartner für ein klassisches Anticholinergikum empfiehlt (1).
Ob der Wechsel zu einem kostengünstigen Generikum oder – bei dessen Unwirksamkeit auf ein teureres Originalpräparat sinnvoll ist, ist in der Literatur wenig untersucht. Die Cochrane database attestiert nach Durchsicht von 32 randomisierten Studien allen untersuchten Anticholinergika eine nachgewiesene Effektivität in der Bekämpfung von Symptomen einer überaktiven Blase (2). Auf der Nebenwirkungsseite werden alle Anticholinergika mit Ausnahme von unretardiertem Oxybutynin wegen der hier sehr häufigen gastrointestinalen Nebenwirkungen als „Mittel der ersten Wahl“ bei der Behandlung der OAB gesehen (3). Die These „Original besser als Generikum“ läßt sich wissenschaftlich somit nicht halten.
Wenn die auf dem Markt befindlichen Anticholinergika mit Ausnahme von Oxybutynin gleich wirksam und im Nebenwirkungsprofil vergleichbar sind, rückt der OAB-Patient in den Vordergrund der Betrachtung.
Der klassische OAB-Patient ist älter und multimorbid. Seine Multimorbidität führt zur Multimedikation; diese ist mit dem Risiko von Arzneimittelinteraktionen behaftet. So nehmen 38 % der über 85jährigen mehr als 4, weitere 16 % sogar mehr als 6 Medikamente ein (4). Dies führt in steigendem Ausmaß zu einer Gefahr der Arzneimittelinteraktionen, die bei 8 Substanzen mit 100 % beziffert wird (5). Veränderungen der Nierenfunktion, der Leberfunktion, der Leberdurchblutung, des Verhältnisses von Körperwasser zu Körperfett, dem Körpergewicht, dem Serumalbumin und der Magen-Darm-Beweglichkeit haben nicht nur zu dem pharmakologischen Motto „start low, go slow“ für den Hochbetagten geführt, sondern auch eine Reihe von Substanzen für die Therapie bei Älteren generell ächten lassen (6;7). Diese sog. priscus-Liste enthält in dem dahinterliegenden Datenpool erheblichen Zündstoff: Danach wird jeder vierte Ältere mit einem potentiell inadäquaten Präparat behandelt. Urologischerseits werden Anticholinergika aus der Reihe der tertiären Amine als risikobehaftet beschrieben. Während alle Anticholinergika mit Ausnahme von Trospiumchlorid zur Gruppe der tertiären Amine gehören und damit über hepatische Zytochrome abgebaut werden, wird Trospiumchlorid als quartäres Amin unverändert renal eliminiert. Der Abbau über Zytochrome unterliegt einem genetischen Polymorphismus (8); rund 10 % der Weißen gehören zu den „ultraschnellen Metabolisierern“, die Substrate des hepatischen Zytochrom-P-450-Systems besonders schnell abbauen und damit wirksame Serumspiegel nicht zulassen. Da unter Praxisbedingungen der genetische Polymorphismus nicht gemessen werden kann, könnte ein Wechsel weg von den tertiären Aminen bei entsprechendem Verdacht sinnvoll sein.
Ein weiteres Problem des Abbaus via Zytochrome ist die Induzier- und Inhibierbarkeit der Enzymaktivität durch Medikamente aus der Co-Medikation. So kann beispielsweise Johanniskraut als OTC-Präparat das Zytochrom-P-450 3A4 stark induzieren, so dass ein Wirkverlust zu erwarten wäre. Diese pharmakologischen Unterschiede sind inzwischen in edv-gestützte Medikamenten-verordnungssysteme, wie sie in Kliniken Anwendung finden, eingepflegt.
Die unveränderte renale Elimination von Trospiumchlorid zusätzlich, dass die unveränderte, wirksame Substanz auf der Urinseite die Blase erreicht. Hier hat in der letzten Zeit der Befund von non-neuronalem Acetylcholin Interesse geweckt, das an der Vermittlung von Dehnungsreizen der Harnblase beteiligt ist (9;10). Die Beeinflussung des urothelialen Acetylcholins wäre damit bei der therapierefraktären OAB nur mit Trospiumchlorid möglich.
Tertiäre Amine gelten wegen ihrer Lipophilität als ZNS-gängig. Für Trospiumchlorid konnte weder im Tierversuch noch beim Menschen ein nennenswertes Anfluten im ZNS nachgewiesen werden (11-13). Dass es einen Zusammenhang zwischen der kognitiven Leistungsfähigkeit und dem anticholinergen Serumspiegel gibt, ist inzwischen in vielen Untersuchungen mit neuropsychiatrischen Methoden nachgewiesen (14-16). Dies fordert eine Berücksichtigung bei besonders vulnerablen Personen: Hochbetagten, kognitiv/mental Eingeschränkten, neurologisch Kranken und anderen.
Ein weiteres scheinbares Argument für einen Anticholinergika-Wechsel könnte die Darreichungsform sein: Zunächst impliziert eine Einmalgabe eine bessere Compliance, was bei der als Dauertherapie anzusehenden anticholinergen Therapie der OAB von Vorteil sein könnte. Dies erweist sich jedoch im Hinblick auf Therapietreue als nicht entscheidend (17). Vielmehr fordern viele Situationen eine individuelle, fluide Dosierung des Anticholinergikums: so verlangt die unterschiedliche Ausprägung der OAB-Symptomatik, das unterschiedliche Erscheinungsbild der OAB im Tagesverlauf oder die Gefahr von Nebenwirkungen in besonderen Situationen wie z. B. die Therapie der OAB bei BPH in Vermeidung von Harnverhalten nach einer Dosistitration anstelle einer Einmalgabe. Dies wird in der breiten Praxis schon geübt: Die Dosierungen von Trospiumchlorid lagen bei einer Kombinationstherapie mit Tamsulosin zwischen 1 x 15 mg und dem 6fachen mit 3 x 30 mg (18).
Vor einem Wechsel von einer anticholinergen Therapie zu einer Therapiealternative sollte eine individuelle, auf den einzelnen Patienten mit seinen pharmakologischen Besonderheiten abgestimmte, subtile und titrierende anticholinerge Therapie durchgeführt werden. Dabei sind die Kenntnis der für die Pharmakotherapie relevanten Altersveränderungen und das Wissen um die pharmakologischen Unterschiede zwischen den einzelnen Anticholinergika obligat.
Literaturverweise
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Quelle: 17. Bamberger Gespräche 2013, 07.09.2013 (tB).