Abb.: Prof. Dr. Martin Wehling beim Vortrag. Photo: Media Concept26. Deutscher Geriatriekongress der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie

Ursachen und Therapie der chronischen Obstipation im Alter

 

Halle (25. September 2014) – Mit zunehmendem Alter steigt auch die Wahrscheinlichkeit, an einer chronischen Obstipation zu erkranken. In Pflegeheimen leiden bis zu 80 % der Bewohner daran. Auf einem Symposium der Firma Shire wurden von den Professoren Frieling und Wehling Ursachen, Auswirkungen und therapeutische Möglichkeiten diskutiert. Sehr häufig sind Medikamente Auslöser der chronischen Verstopfung, aber auch Erkrankungen Nervensystems oder des Bewegungsapparates können eine Rolle spielen. Therapeutisch sollte bei einer Verlangsamung des Kolontransits nach einem Stufenprogramm vorgegangen werden. Hierbei schließt sich an eine Änderung des Lebensstils und der Ernährung die Gabe von Laxantien an. Frauen, bei denen die üblichen Abführmittel keine Erfolg zeigen, kann Prucaloprid (Resolor®) verordnet werden, hierbei handelt es sich um einen 5-HT4-Rezeptoragonisten, der durch die Stimulation höherer Kontraktionsamplituden direkt auf die gestörte Darmmotilität wirkt.



Chronische Obstipation ist eine Alterskrankheit

Die chronische Obstipation ist mit einer Prävalenz zwischen 3 und 18 % in der Allgemeinbevölkerung häufig und sie nimmt mit dem Alter zu, darin waren sich die Referenten einig. Generell sind Frauen häufiger betroffen als Männer. So leiden bei den über 65-Jährigen bereits 26 % der Frauen und 16 % der Männer unter einer chronischen Verstopfung, bei den über 84-Jährigen sind es 34 % der Frauen und 26 % der Männer. Bei Bewohnern von Pflegeheimen gleicht sich die Häufigkeit mit 79 % bei den Frauen und 81 % bei den Männern dann an. Zwischen 50 und 74 % von ihnen nehmen Laxantien ein.


Dies hat signifikante klinische Konsequenzen durch die Entwicklung von Inappetenz, Gewichtsverlust, Anorexie, verminderter Sozialfähigkeit und erhöhter Sterblichkeit, sagte Prof. Thomas Frieling, Direktor der Medizinischen Klinik II am HELIOS Klinikum Krefeld.


Zahlreiche Umstände beeinträchtigen die Verdauung alter Menschen

Alterungsprozesse im Verdauungstrakt werden wesentlich durch eine differenzierte Neurodegeneration sowie durch eine Verminderung protektiver und reparierender Prozesse bestimmt. Hierbei können altersassoziierte gastrointestinale Funktionsstörungen grundsätzlich primär durch einen alternden Verdauungstrakt per se oder sekundär durch andere im Alter zunehmende Erkrankungen bedingt sein, führte Frieling aus. Die Darmfunktion wird durch ein eigenes Nervensystem gesteuert, das enterische Nervensystem, kurz ENS. Es arbeitet weitgehend unabhängig vom zentralen Nervensystem und kontrolliert über ein normalerweise weit verzweigtes Netz an Neuronen die Motilität des Darmes. Zahlreiche neurodegenerative Erkrankungen wie Morbus Parkinson, Multiple Sklerose oder ein Schlafanfall können das ENS schädigen, und auch im Alter häufige Erkrankungen wie der Diabetes mellitus oder Tumorleiden nehmen direkten Einfluss auf die Darmmotilität.


Ein großes Problem ist die im Alter in der Regel zunehmende Immobilität. Nicht nur die Bettlägerigkeit, sondern auch dauerndes Sitzen können die Darmfunktion beeinträchtigen. Aber auch das reduzierte Durstgefühl und die häufig verminderte Flüssigkeitszufuhr tragen zur Stuhlimpaktierung und einem verlangsamten Kolontransit bei. Zudem ist bei alten Patienten die Ernährung häufig nicht optimal. Probleme mit dem Gebiss können ebenso wie eine Einschränkung der Mobilität dazu führen, dass nicht frisch und abwechslungsreich gegessen wird. Weiche, nicht verdauungsfördernde Speisen werden bevorzugt, das Trinken wird vermieden, um nicht zu häufig auf die Toilette zu müssen.


Polypharmazie häufige Ursache der Obstipation

Alte Menschen nehmen zu viele Medikamente, berichtete Prof. Martin Wehling vom Zentrum für Gerontopharmakologie der Medizinischen Fakultät Mannheim, Universität Heidelberg. Nach einer amerikanischen Studie nehmen Patienten (älter als 65 Jahre) in etwa der Hälfte der Fälle fünf und mehr Arzneimittel und in 12 % der Fälle sogar mehr als zehn Arzneimittel ein. Ein Grund dafür könnte laut Wehling die Leitlinienadhärenz der Ärzte sein. Jede Leitlinie empfiehlt etwa drei Arzneimittel. Über 80-jährige Patienten haben im Schnitt etwa 3,5 Diagnosen. Hieraus ergibt sich eine Arzneimittelzahl von drei mal drei, also etwa zehn Arzneimittel pro Patient. Kritisch merkte Wehling an, dass die den Leitlinien zugrunde liegenden Untersuchungen in der Regel nicht an alten Menschen erhoben würden, also eigentlich für Hochbetagte nicht verbindlich sein könnten.


Zahlreiche der von alten Patienten eingenommenen Medikamente wirken negativ auf die Verdauung. Die wichtigsten obstipationsfördernden Arzneimittel sind nichtsteroidale Antiphlogistika, Opiate, Anticholinergika (fast alle anderen ZNS-wirksamen Medikamente, insbesondere Trizyklika, zahlreiche Antikonvulsiva, Parkinsonmittel), Kalziumantagonisten (insbesondere Verapamil), Kalziumtabletten und Diuretika. Wehling schlägt vor, sich bei der Behandlung alter Patienten auf essenzielle Therapien zu konzentrieren und somit die Zahl der Medikamente, wenn möglich, zu vermindern. Hierzu wurde eine neuartige Bewertung von Arzneimitteln nach ihrer Alterstauglichkeit (FORTA-Klassifikation) entwickelt (A: unbedingt geben; D: unbedingt vermeiden; B: in der Regel geben, es sei denn dass Polypharmazie- oder Unverträglichkeitsgesichtspunkte dagegen sprechen; C: nur ausnahmsweise geben).


Stufenkonzept strukturiert die Therapie der chronischen Obstipation

Die Therapie der chronischen Obstipation unterscheidet sich grundsätzlich nicht zwischen Jungen und Alten, erläuterte Frieling. Entscheidend ist, bereits zu Beginn der Diagnostik durch eine genaue Anamnese, eventuell mit Anlage eines Stuhl- bzw. Ernährungstagebuches und durch die klinische Untersuchung inklusive rektal-digitaler proktologischer, gegebenenfalls mit proktoskopischer Untersuchung (dynamische Proktoskopie) zwischen einer verlangsamten Dickdarmpassage und einer anorektalen Entleerungsstörung zu differenzieren.


Wenn keine Warnsymptome bestehen, kann nach der Basisdiagnostik zunächst eine zeitlich begrenzte probatorische Therapie mit Allgemeinmaßnahmen wie ausreichender körperlicher Aktivität (falls möglich) und einer Reduktion des Übergewichts begonnen werden. Die Allgemeinmaßnahmen beinhalten auch die Optimierung der Ballaststoffzufuhr, wobei aufgrund des häufig blähenden Effekts spezielle Aufmerksamkeit auf nichtblähende Präparate (z.B. Flohsamen, lösliche Ballaststoffe) gelegt werden sollte.


Laxantien wie Füll- und Quellstoffe, salinische, osmotische Laxantien bzw. Makrogole sind bei der Behandlung der „slow transit“ Obstipation etabliert und als sichere und effektive Medikamente bewährt. Für Frauen, bei denen eine Behandlung mit Laxantien ineffektiv bleibt, besteht die Möglichkeit der Verordnung von Prucaloprid (Resolor®), das als Koloprokinetikum über eine selektive Stimulation der 5-HT4 Rezeptoren und vermehrte synaptische Freisetzung von Azetylcholin die Obstipation vermindern kann. Es werden höhere Kontraktionsamplituden stimuliert und dadurch die Darmmotilität direkt beeinflusst. Hierbei zeigen die Zulassungsstudien und eine Metaanalyse einen signifikanten Therapiebenefit hinsichtlich des Stuhlverhaltens, Bauchschmerzen, Blähungen und der Lebensqualität. Relevante, insbesondere kardiale oder angiologische Nebenwirkungen, w
urden bisher nicht beobachtet.

 


Quelle: Satellitensymposium der Firma Shire zum Thema „Chronische Obstipation im Alter: Erkenntnis und Behandlungen für eine vielschichtige Erkrankung“ auf dem 26. Deutschen Geriatriekongress der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie e. V., 25.09.2014, Halle. (tB).

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