Forschungswerkstatt Herz‑Kreislauf 2007

Neue Daten zu Aspirin®

 

Von Prof. Dr. Stefanie M. Bode‑Böger

 

Köln (15. März 2007) – Das akute Koronarsyndrom (AKS) ist durch Angina pectoris‑Beschwerden und Ischämie-typische EKG-Veränderungen gekennzeichnet. Das Krankheitsbild wird in den aktuellen Leitlinien unterteilt in Patienten mit ST-Strecken-Hebungsinfarkt, kurz STEMI und NSTEMI, also Patienten mit Nicht-ST-StreckenHebungsinfarkt, sowie in die instabile Angina pectoris.

 

 

Studie zu Aspirin® beim akuten Koronarsyndrom

 

Die Unterscheidung des AKS ist allerdings für die Erstversorgung nicht relevant, bei allen drei Formen ist eine effektive Thrombozytenaggregationshemmung indiziert. Sie wird realisiert durch die rasche Infusion von 500 mg Acetylsalicylsäure (ASS), eine Maßnahme, mit der sich innerhalb weniger Minuten eine mehr als 90-prozentige Hemmung der Thrombozytenaggregation erwirkten lässt.

 

Nach dem Erlöschen der Zulassung von Aspisol® liegt derzeit keine Zulassung für die intravenöse Behandlung des AKS mit Aspirin i.v. vor, welches offiziell lediglich zur Schmerzbehandlung zugelassen ist. Die Erstmaßnahme beim AKS stellt somit einen off-label-use dar, wenngleich in den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie die frühe intravenöse Gabe von 250 bis 500 mg ASS beim AKS empfohlen und die Maßnahme so routinemäßig in allen Notarztsystemen in Deutschland praktiziert wird. Die ASS-Infusion ist somit leitlinienkonform. Sie hat den Vorteil der 100-prozentigen Bioverfügbarkeit von ASS und ist in vielen Fällen unverzichtbar ‑ beispielsweise wenn der Patient ASS nicht schlucken kann oder wenn er unter Übelkeit oder unter Schmerzen leidet.

 

Wegen des unumstrittenen Nutzens sind placebokontrollierte Studien zur klinischen Wirksamkeit von Aspirin® i.v. nicht möglich. In Planung ist nunmehr eine randomisierte Studie mit primär pharmakologischen Endpunkten bei Patienten mit NSTEMI.

 

 

Intravenöse ASS‑Gabe: Rasche und zuverlässige Thrombozytenaggregationshemmung

 

Dass die intravenöse, nicht aber die orale Gabe von ASS tatsächlich eine vollständige Hemmung der Thrombozytenaggregation vermittelt, zeigte die Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Thomas Hohlfeld aus Düsseldorf bei 22 gesunden über 40jährigen Probanden (Männern und Frauen) in einer sechsarmigen Cross-over-Studie. Gemessen wurden die Thrombozytenfunktion, die Thromboxansynthese sowie pharmakologische Parameter vor und nach der Gabe von 250 mg oder 500 mg ASS i.v. oder 100 mg, 300 mg sowie 500 mg ASS oral.

 

Beide intravenös verabreichten Dosierungen von ASS erzielten schon innerhalb von nur fünf Minuten eine vollständige Thrombozytenaggregationshemmung und auch eine nahezu komplette Hemmung der Serum-Thromboxansynthese. Dies war bei keiner der oralen Dosierungen der Fall. Eine vollständige Hemmung der Thrombozytenaggregation wurde vielmehr erst beim zweiten Messpunkt nach 20 Minuten gesehen, wobei zu diesem Zeitpunkt die 100 mg Dosierung nur bei 70 Prozent der Messungen eine völlige Inhibierung ergab. Diese wurde bei 30 Prozent der Messungen sogar erst nach 40 Minuten erreicht.

 

Es werden somit rasch hohe Plasmakonzentrationen benötigt, damit die Hemmung der thrombozytären Cyclooxygenase (COX‑1) schnell und vollständig erfolgen kann. Dies spricht nach Hohlfeld für die intravenöse Applikation, da mit ihrer Hilfe ohne zeitliche Latenz und ohne die höhere intraindividuelle Variabilität nach oraler Gabe eine deutlich höhere Plasmakonzentration in kürzerer Zeit erzielt wird.

 

 

ASS senkt den kardiovaskulären Risikofaktor ADMA

 

Acetylsalicylsäure ist noch aufgrund weiterer aktueller Befunde ein wichtiges Therapeutikum bei kardiovaskulären Erkrankungen. Denn wir konnten in eigenen Untersuchungen zeigen, dass ASS signifikant die Konzentration von asymmetrischem Dimethylarginin (ADMA), einem endogenen Hemmstoff der NO-, also der Stickstoffmonoxid-Synthese, senkt.

 

NO fördert die Vasodilatation, hemmt die Thromboytenaggregation, mindert die Adhäsivität der Monozyten, reduziert den oxidativen Stress und wirkt antiatherosklerotisch. Es wird aus der Aminosäure L-Arginin im Körper gebildet und zwar katalysiert durch das Enzym NO-Synthetase. Wird NO durch ADMA inhibiert, so werden diese günstigen Wirkungen blockiert, was die Einstufung des NO-Hemmstoffs ADMA als kardiovaskulärer Risikofaktor erklärt. ADMA steht somit direkt den antiatherosklerotischen Wirkungen von NO entgegen.

 

Gut dokumentiert ist, dass ACE‑Hemmer und Insulinsensitizer die ADMA-Konzentration senken, während Statine überraschenderweise keinen Einfluss zu haben scheinen.

 

 

Verlangsamung der Zellalterung durch Aspirin

 

In unseren Untersuchungen an Zellkulturen konnten wird nachweisen, dass ADMA Alterungsprozesse in den Zellen beschleunigt, während Aspirin® ADMA senkt und zugleich die Zellalterung verlangsamt. Wir haben darüber hinaus sieben gesunde Probanden sowie neun Patienten mit Hypercholesterinämie placebokontrolliert mit ASS als Einzeldosis sowie ASS plus Arginin und Arginin alleine behandelt und zeigen können, dass ASS ADMA senkt, während Arginin einen ADMA-Anstieg bewirkt. Dieser Arginin-induzierte ADMA-Anstieg wurde jedoch durch ASS signifikant reduziert.

 

Unklar war bislang, wie Acetylsalicylsäure die Zellalterung aufhält. Angezeigt wird der Zustand der Zellalterung durch Parameter wie eine gesteigerte BetaGalaktosidase‑Aktivität, eine verminderte Aktivität der Telomerase und eine geringere Telomerenlänge. Liegen die Zellen in einem solchen seneszenten Zustand vor, so ist die Atherosklerose begünstigt.

 

In unseren Untersuchungen haben wir dokumentiert, dass ASS nicht nur COX-1 hemmt sondern auch an COX-2 bindet, das Enzym acetyliert und damit umprogrammiert. Statt der Prostaglandine katalysiert das Enzym dann die Bildung von epi-Lipoxin, auch als Aspirin-triggered-Lipoxin (ATL) bezeichnet. Epi-Lipoxin wirkt antiatherosklerotisch und kann als Kompensationsmechanismus in frühen Stadien der Atherogenese interpretiert werden.

 

Wir konnten dabei erstmals nachweisen, dass humane kultivierte Endothelzellen in der Lage sind, konstitutiv epi-Lipoxin zu bilden. Die Bildung von epi‑Lipoxin nimmt aber mit der Zellalterung ab, ein Phänomen, dem nach unseren Befunden durch ASS dosisabhängig entgegen gewirkt werden kann. Gleichzeitig steigert ASS die NO-Synthese, reduziert die Bildung von Sauerstoffradikalen und verlangsamt den Alterungsprozess, was die antiatherosklerostischen Effekte erklärt. Die Untersuchungen bei den gesunden Probanden sowie den Patienten mit Hypercholesterinämie bestätigen diese Befunde aus Zellkulturen: So wiesen die Patienten signifikant höhere ATL-Konzentrationen im Blut auf als gesunde Probanden, wobei die ATL-Konzentration durch Aspirin weiter gesteigert werden konnte, was auf mögliche Effekte im Sinne einer Primärprävention hindeutet.

 

 

Autorin

Prof. Dr. med. Stefanie M. Bode‑Böger
Medizinische Fakultät der Univ. Magdeburg
Direktorin des Instituts für Klinische Pharmakologie
Leipziger Str. 44
39120 Magdeburg


Quelle: Pressekonferenz der Firma Bayer HealthCare zum Thema „Forschungswerkstatt Herz-Kreislauf 2007“ am 15. März 200707 in Köln.

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