Hoeren_LogoAktuelles von der Aufklärungsinitiative „Diabetes! Hören Sie auf Ihre Füße

EASD 2016 / PROTECT-Studie: Diabetische Neuropathie in Deutschland: zu wenig bekannt, unterversorgt und weit verbreitet

München (12. September 2016) – Die aktuellen Daten der fortlaufenden PROTECT-Studie(1) der Aufklärungsinitiative „Diabetes! Hören Sie auf Ihre Füße?“, die jetzt im Rahmen des EASD-Kongresses 2016 in München vorgestellt wurden, belegen es: Die diabetische Neuropathie ist eine sehr häufige Folgeerkrankungen des Diabetes. Etwa jeder zweite Untersuchte war von einer Nervenschädigung betroffen – oftmals ohne es zu wissen. Die aktuellen Daten zeigen eine überraschend hohe Neuropathie-Dunkelziffer bei Menschen mit und ohne Diabetes, sogar wenn die Neuropathie bei ihnen mit Schmerzen einhergeht. Der wissenschaftliche Beirat der Aufklärungsinitiative plädiert deshalb dafür, Prävention, Diagnose und Therapie besser früher als zu spät zu beginnen und die Aufklärung der Patienten nachhaltig zu verbessern. Die Politik ist sich darin mit den Experten einig und hat im Präventionsgesetz verankert, dass insbesondere beim Typ- 2-Diabetes das Erkrankungsrisiko gesenkt sowie Erkrankte früher erkannt und behandelt werden sollen. Die von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion initiierte Nationale Diabetes-Strategie wird in politischen Kreisen als erster und richtiger Schritt angesehen, um bundesweit die grundsätzlichen Rahmenbedingungen für eine qualitativ hochwertige Prävention und Versorgung des Diabetes zu schaffen.

Empfindungsstörungen in den Füßen wie Kribbeln, Brennen, Taubheit, Schmerzen oder eine nachlassende Sensibilität sind ernstzunehmende Warnsignale, denen Betroffene und Ärzte gleichermaßen mehr und früher Beachtung schenken sollten. Das war die einhellige Meinung der Experten beim Medien-Roundtable der Aufklärungsinitiative „Diabetes! Hören Sie auf Ihre Füße?“ im Rahmen der 52. Jahrestagung der EASD (European Association for the Study of Diabetes) in München. Denn wer frühzeitig handelt, kann dem Voranschreiten der Nervenschädigung entgegenwirken und schwerwiegende Komplikationen, wie das diabetische Fußsyndrom, auf das jährlich bis zu 50.000 Amputationen(2) zurückzuführen sind, vermeiden.


Risiken senken, Erkrankte früh erkennen und behandeln

Wie wichtig die frühzeitige Aufklärung über den Diabetes und seine Folgeerkrankungen aus gesundheitspolitischer Sicht ist, verdeutlichte Dietrich Monstadt (MdB, CDU). „Die Volkskrankheit Diabetes wird viel zu häufig unterschätzt. In Deutschland leiden rund sieben Millionen Menschen an Diabetes. Zusätzlich ist von einer vermuteten Dunkelziffer von mindestens 2 Millionen Menschen auszugehen, und darüber hinaus kommen täglich ca. 1.000 Neuerkrankungen hinzu“, sagte Monstadt, der auch Mitglied des Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundestages und Berichterstatter für Diabetes und Adipositas der AG Gesundheit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist. „Um diesem ‚Diabetes-Tsunami‘ – nicht zuletzt auch im Hinblick auf schwerwiegende Folgeerkrankungen wie die diabetische Neuropathie und drohende Fußamputationen – zu begegnen, muss die Aufklärung der Patienten frühzeitig beginnen, um die Früherkennung und rechtzeitige Behandlung zu fördern“, forderte Monstadt und sagte weiter: „Deshalb müssen wir die Erkrankung Diabetes in den Mittelpunkt der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit stellen. Eine Nationale Diabetes-Strategie, wie sie von mir schon seit längerer Zeit gefordert wird, könnte hier der entscheidende Weg sein.“


Große Dunkelziffer bei vielfach unbekannter, schmerzhafter und oftmals unterversorgter DSPN

Prof. Dr. med. Dan Ziegler, Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats der Aufklärungsinitiative „Diabetes! Hören Sie auf Ihre Füße?“, stellv. Direktor am Institut für Klinische Diabetologie des Deutschen Diabetes-Zentrums der Heinrich Heine-Universität Düsseldorf und Sprecher der Arbeits-gemeinschaft „Diabetes und Nervensystem“ der DDG, stellte die aktuellen Daten der fortlaufenden PROTECT-Studie zur diabetischen Neuropathie in Deutschland vor. Das primäre Ziel dieser Studie ist die Ermittlung der Prävalenz und der Risikofaktoren bei diagnostizierter und nicht-diagnostizierter, schmerzhafter und schmerzloser distal sensorischer Polyneuropathie (DSPN). Die schmerzhafte DSPN wurde als Vorhandensein von DSPN mit Schmerz und/oder Brennen in den Füßen im Ruhezustand und die schmerzlose DSPN als Vorhandensein von DSPN mit Parästhesien, Taubheitsgefühl oder fehlenden Symptomen definiert.

Die aktuellen Ergebnisse der PROTECT-Studie sind alarmierend:

  • Bei fast jedem zweiten aller Untersuchten mit und ohne Diabetes zeigte sich ein Verdacht auf eine DSPN, die in rund zwei Drittel der Fälle schmerzhaft war.
  • Viele Betroffene wussten trotz Schmerzen nichts von ihrer Neuropathie: So wurde bei 61% der Teilnehmer mit bekanntem Typ-2-Diabetes und schmerzhafter DSPN diese zuvor nicht diag-nostiziert.
  • Bei den Untersuchten ohne vorbekannten Diabetes könnte ein bisher unerkannter (Prä-) Diabetes in vielen Fällen die Ursache für die Neuropathien sein. Denn etwa jeder dritte Unter-suchte ohne vorbekannten Diabetes hatte einen auffälligen HbA1c-Wert im Prädiabetes- bzw. Diabetesbereich.

Die aktuelle Auswertung der fortlaufenden PROTECT-Studie verdeutlicht, dass Menschen mit und ohne vorbekannten Diabetes unzureichend über ihre Neuropathie informiert sind, selbst wenn diese mit Schmerzen einhergeht. „Da ein Drittel der Teilnehmer der PROTECT-Studie ohne bekannten Diabetes ein erhöhtes Diabetesrisiko aufweist und die Rate der neu entdeckten schmerzhaften Neuropathien überraschenderweise so hoch ist, muss man von einer hohen Dunkelziffer und einer erheblichen Unterversorgung der DSPN in Deutschland sprechen“, sagte Professor Ziegler und forderte: „Die Patienten müssen besser über Diabetes und die diabetische Neuropathie aufgeklärt werden. Effektive Strategien sollten implementiert werden, um den Diabetes und die Neuropathie rechtzeitig aufzudecken.“


Mit der Therapie nach dem 3-Säulen-Schema besser früher als zu spät beginnen

„Die Therapie der diabetischen Neuropathie steht und fällt mit der Früherkennung“, betonte Prof. Dr. med. Kristian Rett, Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Aufklärungsinitiative „Diabetes! Hören Sie auf Ihre Füße?“ sowie Internist, Endokrinologe und Diabetologe am Endokrinologikum München. Die Prävalenz der schmerzhaften Neuropathie liegt bei 13-26 %. Die Schmerzen beginnen meist schleichend und nehmen in ihrer Intensität allmählich zu. Folglich suchen viele Betroffene erst dann ärztliche Hilfe, wenn die Schmerzen relativ weit fortgeschritten und chronisch sind. „Da die therapeutischen Möglichkeiten in diesem Krankheitsstadium oftmals begrenzt sind, ist eine möglichst frühzeitige Diagnose und Behandlung anzustreben. Betroffene sollten auf ihre Füße ‘hören‘ und ihrem Arzt jede spürbare Veränderung mitteilen“, so Professor Rett. Außerdem sollte der Arzt bei Diabetes- und Prädiabetes-Patienten mindestens einmal jährlich gezielt nach Symptomen fragen und die klinische Basisdiagnostik durchführen. Mit einfachen Untersuchungsmethoden können auch die Minus-Symptome, wie ein nachlassendes Temperatur-, Berührungs- und Vibrationsempfinden, erfasst werden, die der Patient selbst oft nicht wahrnimmt.

Bei der Therapie der diabetischen Neuropathie hat sich das sogenannte „Drei-Säulen-Schema“ bewährt: Die erste Säule der Therapie steht für eine an den Patienten individuell angepasste, optimale Diabeteseinstellung, bei der das Alter, die persönlichen Lebensumstände und -bedürfnisse sowie Begleiterkrankungen berücksichtigt werden. Des Weiteren sollten Risikofaktoren wie Alkoholkonsum, Rauchen und Bluthochdruck reduziert werden.

Die zweite therapeutische Säule hat zum Ziel, krankmachende Stoffwechselwege auszuschalten, die in der Folge Nerven und Gefäße schädigen können. Hierfür steht beispielsweise die hoch bioverfügbare Vitamin-B1-Vorstufe Benfotiamin zur Verfügung. Die vitaminähnliche Substanz aktiviert das Enzym Transketolase und kann so die Bildung der aggressiven Zuckerabbauprodukte (AGEs, Advanced Glycation Endproducts), die durch die Hyperglykämie vermehrt entstehen, hemmen. Dadurch kann Benfotiamin bei regelmäßiger Einnahme Nerven und Blutgefäße vor Schädigungen schützen und die Symptome der diabetischen Neuropathie wie Kribbeln, Brennen, Schmerzen oder Taubheit in den Füßen lindern.

„Zwei randomisierte und kontrollierte Studien, die BEDIP- und die BENDIP-Studie, zeigten eine signifikante Verbesserung schmerzhafter und sensorischer Symptome der diabetischen Neuropathie unter Benfotiamin“, so Professor Rett.(3,4)

Als dritte Säule der Therapie gilt die rein symptomatische Therapie, die neuropathische Schmerzen medikamentös behandelt und so die Lebensqualität der Betroffenen verbessern kann, die aber auch potenzielle Nebenwirkungen hat.

„Auch die Nationale Versorgungs-Leitlinie Neuropathie bei Diabetes im Erwachsenenalter (5) empfiehlt den möglichst frühzeitigen Beginn der symptomatischen Therapie der schmerzhaften diabetischen Polyneuropathie, sobald die Lebensqualität beeinträchtigt ist“, sagte Professor Rett und betonte, dass zu diesem Zeitpunkt die Nervenschädigung bereits weit vorangeschritten sei. Um früher und erfolgreicher behandeln zu können, sei auch das Mitwirken der Betroffenen ganz entscheidend, denn sie würden als erste die Veränderungen an ihren Füßen wahrnehmen.


Quellen

  1. Ziegler D, Strom A, Landgraf R, Lobmann R, Reiners KH, Rett K, Schnell O. Nationale Aufklärungsinitiative (PROTECT-Studie): Schmerz-hafte Polyneuropathie ist bei Menschen mit und ohne Diabetes häufig anzutreffen, bleibt aber vielfach unentdeckt. Präsentation der aktuellen Daten im Rahmen der 52. Jahrestagung der EASD (European Association for the Study of Diabetes) am 12. und 15. September 2016 in München. Berücksichtigt wurden die Untersuchungsergebnisse von 1.589 Studienteilnehmern aus den Jahren 2013 bis 2015. Die Untersuchungen beinhalteten die Überprüfung von Temperatur-, Druck- und Vibrationswahrnehmung sowie die Palpation der Fußpulse. Zusätzlich wurden der Langzeitblutzucker (HbA1c-Wert) und der BMI erfasst und ausgewertet.
  2. Zu viele Fußamputationen in Deutschland. Pressemitteilung der Jahrespressekonferenz der DDG, 16.2.2016.
  3. Benfotiamine in the Treatment of Diabetic Polyneuropathy; Haupt E et al. Int J Clin Pharmacol Ther. 2005, 43: 71-77.
  4. Benfotiamine in Diabetic Polyneuropathy; Stracke H et al., Exp Clin Endocrinol Diabetes. 2008, 116:600-605.
  5. www.versorgungsleitlinien.de


Quelle: Wörwag Pharma, 12.09.2016 (tB)-

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