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Amyotrophe Lateralsklerose
ALS-Patienten leben mit kalorienreicher Ernährung länger und besser
Berlin (14. Juli 2014) – Wenn Patienten mit einer Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) künstlich ernährt werden müssen, profitieren sie offenbar von einem erhöhten Körpergewicht und der Zufuhr besonders kalorienreicher Nahrung mit einer Magensonde. Diese Beobachtung, die Neurologen auch in Deutschland gemacht haben, wurde nun in einer kleinen US-amerikanischen Studie bestätigt. „Zwar ist die Aussagekraft dieser Untersuchung begrenzt, wir haben aber mit bisher vier Mal so vielen Patienten ganz ähnliche Resultate“, berichtet Prof. Dr. med. Albert C. Ludolph von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN).
„Es zeichnen sich Vorteile hinsichtlich der Lebenserwartung ab“, so Ludolph, einer der führenden ALS-Experten und Ärztlicher Direktor der Neurologie der Universitäts- und Rehabilitationskliniken Ulm. „Es gibt eine positive Korrelation zwischen geringerem Gewichtsverlust und längerer Überlebenszeit.“ Ob auch für oral ernährte Patienten eine Verbesserung der Lebenserwartung durch eine hochkalorische Ernährung erreicht werden kann, soll in Kürze durch eine Interventionsstudie geprüft werden. Im Herbst wird der Neurologe dazu mit Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) die weltweit größte Studie mit 200 Teilnehmern starten, für die noch Patienten gesucht werden.
In Deutschland leben 6000 bis 8000 Patienten mit der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS), einer Nervenkrankheit, bei der die Motoneuronen degenerieren, sodass die Patienten unter fortschreitenden Lähmungen leiden und schließlich künstlich ernährt und beatmet werden müssen. Schätzungsweise 5 Prozent der Patienten benötigen eine Magensonde für die Ernährung. Angesichts sehr begrenzter therapeutischer Möglichkeiten und erster Hinweise aus Tierversuchen mit Mäusen haben US-Forscher um Anne-Marie Wills von der Harvard Medical School nun systematisch getestet, ob eine kalorienreiche Ernährung Patienten helfen kann, die bereits mit einer Magensonde ernährt werden müssen. „Auch wir halten dies für einen Erfolg versprechenden Ansatz“, bekräftigt Ludolph.
Extra-Kalorien durch Fett und Kohlenhydrate
Für ihre Studie der Phase II, über die Wills und Kollegen in der Fachzeitschrift The Lancet berichten, hatten die Amerikaner mehrere Hundert Patienten kontaktiert. Allerdings nahmen am Ende nur 20 Freiwillige teil, die bis zu vier Monate lang spezielle Nahrungsmischungen bekamen: Gruppe 1, die als Kontrolle diente, bekam eine Formulierung, die 100 Prozent des Kalorienbedarfs decken sollte und die eine ausgewogene Mischung aus den Nahrungsbestandteilen Protein, Kohlenhydrate und Fett enthielt. Die beiden anderen Gruppen bekamen 125 Prozent des Bedarfs, jedoch stammten die zusätzlichen Kalorien im einen Fall hauptsächlich aus Fett (HF) und im anderen Fall hauptsächlich aus Kohlenhydraten (HC), wobei der Eiweißgehalt in allen drei Formulierungen identisch war.
Beim Hauptkriterium der Studie, der Sicherheit und Verträglichkeit, war die HC-Diät den anderen Nahrungsmischungen überlegen. Die häufigsten Nebenwirkungen betrafen den Magen-Darm-Trakt (dislozierte Magensonde, Blähungen, Dyspepsie und Diarrhoe) und wurden bei sämtlichen Patienten der HF- und der Kontrollgruppe beobachtet, aber nur bei jedem zweiten in der HC-Gruppe. Schwere Nebenwirkungen traten insgesamt zwölfmal auf, und zwar neunmal in der Kontrollgruppe, dreimal unter der HF-Diät, aber kein einziges Mal mit der HC-Formulierung.
Geringere Sterblichkeit unter einer kalorienreichen Nahrungsergänzung
Die Wirksamkeit der Intervention hatten Wills und Kollegen nur am Rande ihrer Studie erfasst, doch lassen gerade diese Ergebnisse aufhorchen: Während der fünfmonatigen Nachbeobachtung waren in der Kontrollgruppe nämlich drei von sieben Patienten verstorben (43%), gegenüber lediglich einem von acht in der HF-Gruppe (13%) und null von neun Patienten in der HC-Gruppe. Dabei waren alle Todesfälle binnen vier Monaten nach Studienbeginn aufgetreten, und zwar ausschließlich unter Studienteilnehmern, die die künstliche Ernährung aufgrund von Nebenwirkungen abgebrochen hatten.
Unsicherheit wegen kleiner Teilnehmerzahlen
Die Krankheitsprogredienz hatten die Autoren anhand der Skala ALSFRS-R gemessen und dabei festgestellt, dass die Verluste in der HC-Gruppe zwar langsamer schienen, allerdings war dieser Unterschied nicht statistisch signifikant. Erst in der kombinierten Analyse aus Überleben und Lebensqualität zeigte sich ein signifikanter Vorteil gegenüber der Kontrolle für die HC-Diät, nicht jedoch für die HF-Diät.
Angesichts der kleinen Zahl an Teilnehmern mahnt Ludolph zur Zurückhaltung bei der Interpretation. „Diese Studie scheint zu zeigen, dass, basierend auf multiplen Vorarbeiten, eine hyperkalorische enterale Ernährung bei ALS-Patienten, die eine Magensonde erhalten haben, Vorteile hinsichtlich der Lebenserwartung und Lebensqualität hat.“ Dem pflichtet auch Prof. Ammar Al-Chalabi vom King´s College in London bei, der die Studie in The Lancet kommentiert hat: „Die Ergebnisse klinischer Studien zur Behandlung dieser Krankheit muss man relativieren – insbesondere bei kleinen Studien der Phase II –, denn die Ergebnisse könnten einen Nutzen suggerieren, der sich später nicht bestätigt“, warnt Al-Chalabi. Immerhin seien dies aber Schlüsselergebnisse, die den Weg ebneten für eine groß angelegte Interventionsstudie.
Tatsächlich sind die Vorbereitungen für solch eine Studie, zunächst mit oral ernährten Patienten, im deutschen Raum bereits abgeschlossen, verrät Prof. Ludolph. „Mit Finanzierung der Deutschen Forschungsgemeinschaft werden wir hierzulande im Herbst solch eine Untersuchung beginnen können. Gesucht werden dazu noch bis zu 200 Patienten, die dann unter kontrollierten Bedingungen täglich ca. 400 Kalorien zusätzlich erhalten sollen.“
Quellen
Quelle: Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN), 14.07.2014 (tB).