Aussteigen aus dem PKW:
Radfahrer mit dem „Holländischen Griff“ vor Unfällen schützen

 

Berlin (16. Juni 2021) — Autofahrer verursachen beim Öffnen der Autotür immer wieder Unfälle mit Radfahrern. Diese gefährlichen Dooring-Unfälle, die häufig zu Knochenbrüchen und schweren Kopfverletzungen führen, lassen sich durch den sogenannten „Holländischen Griff“ vermeiden. Die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) rät anlässlich des Tags der Verkehrssicherheit am 19. Juni 2021, den Griff regelmäßig anzuwenden.

Dabei nutzt der oder die Fahrzeugführende immer den rechten Arm, um den Türgriff auf der Fahrerseite zu betätigen. Automatisch dreht sich dabei der komplette Oberkörper und ermöglicht einen gezielten Schulterblick nach hinten, um Radlerinnen und Radler nicht zu übersehen. „Wenn man sich den Holländischen Griff bewusst antrainiert, läuft die Bewegung irgendwann automatisch ab. Der Blick zurück schützt Fahrradfahrer, E-Scooter-Fahrer und Fußgänger vor einem gefährlichen Zusammenprall mit einer sich unerwartet plötzlich öffnenden Autotür“, sagt Prof. Dr. Michael J. Raschke, stellvertretender Präsident der DGOU und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU).

Mit dem PKW beim Einkauf oder zu Hause angekommen, schnell die Fahrertür aufgerissen und schon ist es passiert: Innerhalb einer Schrecksekunde kommt es zu einem Aufprall, weil ein von hinten kommender Radfahrer nicht mehr reagieren kann. Er fährt ungebremst in die Autotür und stürzt. Im dichten innerstädtischen Verkehr ist das eine häufig wiederkehrende Unfallszene. „Dooring-Unfälle sind für Fahrradfahrer besonders gefährlich, weil der harte Aufprall unerwartet kommt und deshalb nicht abgebremst werden kann. Sie führen häufig zu besonders schweren Verletzungen“, sagt Raschke.

Orthopäden und Unfallchirurgen empfehlen zur Unfallvermeidung den Holländischen Griff beim Aussteigen aus dem PKW:

  • Arm vor dem Oberkörper kreuzen: Der Fahrzeugführende benutzt immer die rechte Hand, um den Türgriff auf der Fahrerseite zu betätigen.
  • Toten Winkel vermeiden: Gemeinsam mit dem Oberkörper dreht sich auch der Kopf zum Fenster und ermöglicht die Sicht auf von hinten heraneilende, das stehende Fahrzeug überholende Fahrräder oder E-Bikes, die bereits nahe am PKW dran sind.
  • Auch für Beifahrer und Mitfahrende auf der Rückbank: Auch Beifahrer und Mitfahrende auf der Rückbank sollten sich den Griff angewöhnen. Sie öffnen die Tür auf ihrer Seite mit der jeweils zur Fahrzeugmitte gerichteten Hand.

Der Holländische Griff wird auch Niederländischer Griff, Holländer-Griff oder Dutch Reach genannt. Routinemäßig angewandt ist er eine wichtige Ergänzung zum obligatorischen Blick in den Seiten- oder Rückspiegel und kann damit ein echter Beitrag zur Unfallvermeidung sein. „Zwar werfen viele Autofahrer vor dem Aussteigen einen Blick in den Seitenspiegel, doch der reicht meist nicht aus. Denn Fahrzeuge oder Verkehrsteilnehmer im toten Winkel werden leicht übersehen“, sagt Dr. Christopher Spering, Leiter der DGOU-Sektion Prävention und Oberarzt an der Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und Plastische Chirurgie an der Universitätsmedizin Göttingen (UMG).

Die spezielle Art des Türöffnens wird im Nachbarland Niederlande bereits von vielen PKW-Fahrenden routinemäßig praktiziert und hat sich bewährt. „Die Rücksichtnahme auf Fahrradfahrer ist in den Niederlanden stark im Alltag verankert. Dies gilt auch für PKW-Fahrende, denn auch sie sind regelmäßig mit dem Rad unterwegs und wissen daher, welche Gefahren durch plötzlich aufschlagende Autotüren lauern“, sagt Spering. „Wir Orthopäden und Unfallchirurgen empfehlen deshalb, den Holländischen Griff auch in Deutschland in den Fahrschulen zu thematisieren“, sagt Raschke.

Denn durch unterschiedliche Fortbewegungsmittel, höhere Geschwindigkeiten von Pedelecs und E-Bikes sowie neue Fahrzeuge wie E-Scooter ist das Risiko eines Unfalls auf den Straßen nicht kleiner geworden. „Wenn der Fahrradfahrer oder die Fahrradfahrerin Glück hat, kommt er oder sie mit einer Prellung oder Verstauchung am Arm oder Bein davon. Diese sind zwar schmerzhaft, aber sie sind nach einigen Tagen meist wieder ausgeheilt. Schwieriger sind Knochenbrüche, Knieverletzungen, Gehirnerschütterungen oder schwere Kopfverletzungen, die wir in der Klinik sehen“, sagt Raschke.

„Die Herausforderung des Alltags im Straßenverkehr deutscher Städte und Gemeinden ist vor allem die steigende Komplexität und Dichte des Verkehrsraums. Heutzutage muss der ohnehin schon sehr enge Verkehrsraum durch immer mehr unterschiedliche Verkehrsteilnehmer geteilt werden. Dabei kommt der Kommunikation unter den Verkehrsteilnehmern eine immer größere Bedeutung zu. Der Holländische Griff führt automatisch dazu, dass man mit dem von hinten heraneilenden Verkehrsteilnehmer in Blickkontakt tritt oder ihn mindestens im Augenwinkel erkennt“, sagt Spering.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamts (Destatis) war im Jahr 2019 jeder siebte Mensch, der im Straßenverkehr ums Leben kam, mit dem Fahrrad unterwegs. Insgesamt starben 445 Radfahrerinnen und -fahrer bei einem Unfall, darunter fuhren 118 ein Pedelec. Die Zahl der getöteten Radfahrenden ist gegenüber 2010 um 16,8 Prozent gestiegen.1 Laut dem Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club Berlin (ADFC Berlin e.V.) liegt der Anteil der sogenannten Dooring-Unfälle in der Hauptstadt bei weniger als 10 Prozent aller Fahrradunfälle, führt aber sehr häufig zu schweren und mitunter auch tödlichen Verletzungen. In Berlin werden pro Tag im Durchschnitt knapp zwei Unfälle polizeilich registriert, bei denen Autofahrende oder Mitfahrende durch das Öffnen der Autotür Radfahrende zum Sturz bringen. Die Radfahrenden werden dadurch häufig schwer verletzt.2 Daten aus dem TraumaRegister DGU® zeigen für das Berichtsjahr 2019: Fahrradfahrer haben bei einem Unfall oft nur leichte Verletzungen an Armen und Beinen. Sind sie jedoch schwer verletzt, dann ist sehr oft der Kopf betroffen.

 

Hintergrund

Bei der Versorgung von Verletzten erfassen Deutschlands Unfallchirurgen jedes Jahr durchschnittlich 30.000 Schwerverletzte im TraumaRegister DGU® (TR-DGU): Das sind Menschen mit besonders schweren bzw. lebensgefährlichen Verletzungen – bei rund 50 Prozent davon gehört ein Verkehrsunfall zur Unfallursache. Die TR-DGU-Daten sind Kernstück der nationalen Qualitätssicherung in der Schwerverletztenversorgung. Zudem ermöglicht das TR-DGU valide Detailanalysen: Mit Ergebnissen, die einen Überlebensvorteil dokumentieren, werden Diagnostik und Therapie kontinuierlich verbessert. Nur die zuverlässige und vollständige Erhebung der Daten dieses Registers im staatlichen Auftrag schafft einen Ansatz, die Verkehrssicherheit im aktiven und passiven Bereich zu verbessern und damit die Unfallschwere zu verringern und vermeidbare Todesfälle im Verkehr zu verhindern.

 

 

Referenzen

  1. Destatis: Verkehrsunfallstatistik 2019: Jeder siebte Mensch, der 2019 im Straßenverkehr ums Leben kam, war mit dem Fahrrad unterwegs – Statistisches Bundesamt (destatis.de)
  2. ADFC Berlin e.V.: Dooring-Unfälle verhindern! – ADFC Berlin (adfc-berlin.de)

 

Weitere Informationen

 

 

 


Quelle: Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie e. V., 16.06.2021 (tB).

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