BfArM

Fluorchinolone:
Schwere und langanhaltende Nebenwirkungen im Bereich Muskeln,
Gelenke und Nervensystem

 

  • Gutachten des CHMP
  • Einschränkungen in der Anwendung aufgrund von möglicherweise dauerhaften und die Lebensqualität beeinträchtigenden Nebenwirkungen
  • Zugelassene Wirkstoffe in Deutschland: Ciprofloxacin, Levofloxacin, Moxifloxacin, Norfloxacin, Ofloxacin

 

Bonn (16. November 2018) – Die europäische Arzneimittelagentur EMA hat die schwerwiegenden, die Lebensqualität beeinträchtigenden und potentiell dauerhaften Nebenwirkungen im Zusammenhang mit der Arzneimittelgruppe der Fluorchinolone und Chinolone, welche oral eingenommen, injiziert oder inhaliert werden, wissenschaftlich neu bewertet. In diese Bewertung ist auch die Sichtweise von Patienten, Vertretern der Gesundheitsberufe und der Wissenschaft eingeflossen, die bei der öffentlichen Anhörung der EMA zu den Fluorchinolonen und Chinolonen im Juni 2018 präsentiert wurde.

Der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) hat den Empfehlungen des Ausschusses für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (PRAC) zugestimmt. Folglich sollen Arzneimittelzulassungen mit den Wirkstoffen Cinoxacin, Flumequin, Nalidinsäure und Pipemidinsäure ruhen. In Deutschland waren diese Arzneimittel nie beziehungsweise bereits seit längerer Zeit nicht mehr zugelassen.

Der CHMP bestätigte, dass die Anwendung der verbleibenden fluorchinolonhaltigen Antibiotika eingeschränkt werden sollte. Darüber hinaus werden in den Fachinformationen für Ärzte und in den Gebrauchsinformationen für Patienten die die Lebensqualität beeinträchtigenden und möglicherweise dauerhaften Nebenwirkungen dargestellt. Den Patienten wird geraten, die Behandlung bei ersten Anzeichen von Nebenwirkungen, die die Muskeln, Sehnen oder Gelenke beziehungsweise das Nervensystem betreffen, zu beenden.

Die Einschränkungen für die fluorchinolonhaltigen Antibiotika bedeuten, dass diese nicht angewendet werden sollten

  • zur Behandlung von Infektionen, die auch ohne Behandlung abklingen oder die nicht schwerwiegend sind (z.B. Entzündungen des Halses).
  • zur Behandlung von nicht-bakteriell verursachten Infektionen, wie z.B. nicht-bakterielle (chronische) Prostatitis.
  • zur Vorbeugung der Reisediarrhöe oder wiederkehrender Infektionen der unteren Harnwege (solche, die nicht über die Blase hinausgehen).
  • zur Behandlung leichter bis mittelschwerer Infektionen, es sei denn, andere Antibiotika, die üblicherweise zur Behandlung dieser Infektionen empfohlen werden, können nicht angewendet werden.

Es ist wichtig, dass die Anwendung von Fluorchinolonen generell vermieden werden sollte bei Patienten, bei denen vormals schwere Nebenwirkungen im Zusammenhang mit der Anwendung von Fluorchinolonen oder Chinolonen aufgetreten sind. Sie sollten mit besonderer Vorsicht angewendet werden bei älteren Patienten, bei Patienten mit Nierenfunktionsstörungen und bei Patienten, die eine Organtransplantation hatten, weil bei diesen Patientengruppen ein höheres Risiko für Sehnenschäden besteht. Da die Anwendung eines Kortikosteroids zusammen mit einem Fluorchinolon dieses Risiko ebenfalls erhöht, sollte die kombinierte Anwendung dieser beiden Arzneimittelgruppen vermieden werden.

Das Gutachten des CHMP wird nun an die Europäische Kommission weitergeleitet, die einen für alle Mitgliedsländer rechtlich verbindlichen Beschluss fassen wird. Das BfArM wird diesen Durchführungsbeschluss der EU-Kommission umsetzen und weitere geeignete Maßnahmen ergreifen, um die korrekte Anwendung der Fluorchinolone zu unterstützen.

 

Informationen für Patienten

  • Fluorchinolonhaltige Arzneimittel, die Ciprofloxacin, Levofloxacin, Lomefloxacin, Moxifloxacin, Norfloxacin, Ofloxacin, Pefloxacin, Prulifloxacin oder Rufloxacin enthalten, können lang anhaltende, die Lebensqualität beeinträchtigende und möglicherweise dauerhafte Nebenwirkungen, insbesondere an den Sehnen, Muskeln, Gelenken und am Nervensystem, verursachen.
  • Diese schweren Nebenwirkungen umfassen Entzündungen oder Risse der Sehnen, Muskelschmerzen oder Muskelschwäche, Gelenkschmerzen oder Gelenkschwellungen, Schwierigkeiten beim Gehen, Gefühle von Nadelstichen oder Kribbeln, brennende Schmerzen, Müdigkeit, Depressionen, Gedächtnisstörungen, Schlafstörungen, Probleme beim Sehen oder Hören, veränderter Geschmacks- oder Geruchssinn.
  • Sehnenschwellungen und Sehnenverletzungen können innerhalb von zwei Tagen nach dem Beginn der Behandlung mit einem Fluorchinolon aber auch erst einige Monate nach dem Behandlungsende auftreten.
  • Beenden Sie die Einnahme des Fluorchinolons und kontaktieren Sie sofort Ihre Ärztin / Ihren Arzt
  • bei ersten Anzeichen einer Sehnenverletzung wie beispielsweise Sehnenschmerzen oder Sehnenschwellungen – stellen Sie die betroffenen Bereiche ruhig.
  • wenn Sie Schmerzen, Nadelstiche, Kribbeln, Kitzeln, Taubheit oder Brennen oder Kraftlosigkeit, insbesondere in den Beinen oder Armen, verspüren.
  • wenn Sie Schwellungen in den Schultern, in den Armen oder Beinen haben, Schwierigkeiten beim Gehen haben, wenn Sie sich müde oder depressiv fühlen, wenn Sie Erinnerungsstörungen oder Schlafstörungen haben oder wenn Sie Veränderungen beim Sehen, Schmecken, Riechen oder Hören feststellen. Sie werden zusammen mit Ihrer Arztin/ Ihrem Arzt entscheiden, ob die Behandlung fortgesetzt wird oder ob Sie eine andere Art von Antibiotikum benötigen.
  • Möglicherweise sind Sie anfälliger für Gelenkschmerzen oder Gelenkschwellungen oder Sehnenrisse, wenn Sie über 60 Jahre alt sind, Ihre Nierenfunktion eingeschränkt ist oder Sie eine Organtransplantation hatten.
  • Sprechen Sie mit Ihrer Ärztin / Ihrem Arzt, wenn Sie ein Kortikosteroid einnehmen (wie Hydrocortison und Prednisolon) oder eine Behandlung mit einem Kortikosteroid benötigen. Sie sind möglicherweise besonders anfällig für Sehnenschäden, wenn Sie ein Kortikosteroid und ein Fluorchinolon im gleichen Zeitraum einnehmen.
  • Sie sollten kein Fluorchinolon einnehmen, wenn Sie schon einmal schwere Nebenwirkungen mit einem Fluorchinolon oder Chinolon hatten und Sie sollten sofort Ihre Ärztin / Ihren Arzt kontaktieren.
  • Wenn Sie Fragen oder Bedenken bezüglich Ihres Arzneimittels haben, sprechen Sie Ihre Ärztin / Ihren Arzt oder Ihre Apothekerin / Ihren Apotheker an.


Informationen für die Gesundheitsberufe

  • Fluorchinolone werden mit lang (über Monate oder Jahre) anhaltenden, schwerwiegenden, die Lebensqualität beeinträchtigenden und potentiell irreversiblen Nebenwirkungen in Verbindung gebracht, die verschiedene, oftmals mehrere Organsysteme, Organklassen und mehrere Sinne betreffen.
  • Die schwerwiegenden Nebenwirkungen schließen Sehnenentzündungen, Sehnenrisse, Arthralgien, Schmerzen in den Extremitäten, Gangstörungen, Neuropathien mit Parästhesien, Depressionen, Fatigue, Gedächtnisstörungen, Schlafstörungen, Beeinträchtigungen des Hörens, Sehens sowie des Geschmacks- und Geruchssinns ein.
  • Sehnenschäden (insbesondere Schäden der Achillessehne, aber auch anderer Sehnen) können innerhalb von 48 Stunden nach Beginn der Therapie mit einem Fluorchinolon auftreten, aber die Schäden können auch erst mit Zeitverzögerung von einigen Monaten nach Beendigung der Behandlung auftreten.
  • Ältere Patienten, Patienten, die Nierenfunktionsstörungen haben, die eine solide Organtransplantation hatten oder die mit einem Kortikosteroid behandelt werden, weisen ein höheres Risiko für das Auftreten von Sehnenschäden auf. Die gleichzeitige Behandlung mit einem Fluorchinolon und einem Kortikosteroid sollte vermieden werden.
  • Die Behandlung mit Fluorchinolonen sollte bei ersten Anzeichen von Sehnenschmerzen oder Sehnenentzündungen beendet werden und die Patienten sollten angewiesen werden, die Behandlung nicht fortzusetzen und mit ihrer Ärztin / ihrem Arzt zu sprechen. Dies gilt auch im Falle von Symptomen einer Neuropathie wie Schmerzen, Brennen, Kribbeln, Taubheit oder Kraftlosigkeit, um der Entwicklung eines potenziell irreversiblen Zustandes vorzubeugen.
  • Fluorchinolone sollten grundsätzlich nicht bei Patienten angewendet werden, die schon einmal schwerwiegende Nebenwirkungen bei der Anwendung von Chinolonen oder Fluorchinolonen hatten.
  • Wenn die Behandlung mit einem Fluorchinolon in Erwägung gezogen wird, sollten zur Information über die zugelassenen Indikationen die jeweils aktuellen Produktinformationen herangezogen werden, denn die Anwendungsgebiete dieser Arzneimittelgruppe wurden eingeschränkt.
  • Die Nutzen und Risiken der Fluorchinolone werden fortlaufend überprüft. Eine Studie zur Anwendung dieser Arzneimittel wird die Effektivität der neuen Maßnahmen zur Reduzierung der ungeeigneten Anwendung durch die Untersuchung des Verschreibungsverhaltens untersuchen.


Mehr über die Arzneimittel

Fluorchinolone und Chinolone sind eine Klasse von Breitbandantibiotika, die sowohl gegen verschiedene grampositive als auch gramnegative Bakterien wirksam sind. Fluorchinolone sind eine wichtige Behandlungsoption gegen verschiedene Infektionserkrankungen, darunter einige lebensbedrohliche, bei denen andere Antibiotika nicht ausreichend wirksam sind.
Die Neubewertung umfasste folgende Wirkstoffe aus der Gruppe Fluorchinolone und Chinolone: Cinoxacin, Ciprofloxacin, Flumequin, Levofloxacin, Lomefloxacin, Moxifloxacin, Nalidinsäure, Norfloxacin, Ofloxacin, Pefloxacin, Pipemidinsäure, Prulifloxacin und Rufloxacin.

Die Neubewertung betraf nur Arzneimittel, die systemisch angewendet werden (oral oder per Injektion) und Arzneimittel zur Inhalation.

 

 

Mehr über das Verfahren

Die Neubewertung der Fluorchinolone und Chinolone wurde am 09. Februar 2017 auf Ersuchen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) im Rahmen eines Verfahrens nach Artikel 31 der Richtlinie 2001/83/EG gestartet.

Die Neubewertung wurde zunächst vom Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (PRAC) durchgeführt, der für die Bewertung von Sicherheitsfragen bei Humanarzneimittel zuständig ist. Die Empfehlungen des PRAC wurden am 04. Oktober 2018 verabschiedet und anschließend dem Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) zugeleitet, der für Fragen im Zusammenhang mit Arzneimittel für den menschlichen Gebrauch zuständig ist und der das Gutachten (Opinion) der EMA abgegeben hat.

Das Gutachten des CHMP wird nun der Europäischen Kommission zugeleitet, die abschließend einen für alle EU-Mitgliedsstaaten rechtsverbindlichen Beschluss veröffentlichen wird.

Die pharmazeutischen Unternehmer, an die der Stufenplanbescheid gerichtet sein wird, werden gebeten, die Änderungen in den Produktinformationen mit der Funktionsstruktur-Nummer (SKNR) 6513 (Stichwort „Fluorchinolone – Lang anhaltende UAW“) anzuzeigen.

  • 05.10.2018 – Empfehlung des PRAC
  • 13.06.2018 – Öffentliche Anhörung
  • 09.03.2018 – Öffentliche Anhörung zu Chinolon- und Fluorchinolon-Antibiotika
  • 10.02.2017 – Start des Verfahrens 

Quelle: Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), 16.11.2018 (tB).

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