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Blutung und Gerinnung
Gefürchtete Notfälle im klinischen Alltag vermeiden
Mainz (19. Mai 2012) – Auch beim Einsatz modernster Medizintechnik und bei innovativen Operationsverfahren gehören Blutungskomplikationen zum Alltagsgeschäft der HNO-Mediziner. Wie stark das Interesse dieser Facharztgruppe an hämostaseologischen Themen gewachsen ist, zeigte der rege Teilnehmerzustrom zum zweiten CSL Behring-Symposium beim Kongress der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie (DGHNOKHC). Unter dem Vorsitz des HNO-Mediziners Dr. med. Torsten Mewes aus Mainz und der Kinderärztin Dr. med. Carmen Escuriola-Ettingshausen aus Frankfurt am Main erläuterte die Transfusionsmedizinerin und Kinderärztin Dr. med. Susan Halimeh aus Duisburg das Erkrankungsbild des von-Willebrand-Syndroms (vWS) – der häufigsten angeborenen Blutungsneigung – und welche Anhaltspunkte auf diese Blutgerinnungsstörung hindeuten. Der Kinderarzt Dr. med. Michael Sigl-Kraetzig aus Blaubeuren stellte einen Anamnesefragebogen vor, mit dem Risikokandidaten identifiziert und gefürchtete Blutungskomplikationen bei HNO-Operationen vermieden werden können, ohne dass aufwändige Labordiagnostik betrieben werden muss.
Das vWS – häufig, aber schwer zu (er)fassen
Dr. Halimeh zeigte in ihrem Vortrag die Geschichte der Entdeckung des von-Willebrand-Syndroms durch Erik von Willebrand auf. Der Forscher beschrieb in den 1920er Jahren bei einer Großfamilie auf den schwedischen Aaland-Inseln erstmals eine „Pseudo-Hämophilie“, bei der er eine männliche und weibliche Komponente der Blutungsneigung beobachtete. Zum ersten Mal wurde die Menorrhagie als häufiges Symptom bei erkrankten Mädchen bzw. Frauen erfasst. Oft ist betroffenen Mädchen und Frauen nicht bewusst, dass ihre Monatsblutung nicht normal ist, so dass die Menorrhagie nicht erkannt und nicht als Krankheitssymptom wahrgenommen wird. Mit der Diagnose bringen viele Frauen die Symptome des von-Willebrand-Syndroms erstmals in einen Zusammenhang und nehmen sie bewusst wahr. So geben 65 bis 93 Prozent der diagnostizierten Frauen an, dass sie an einer übermäßig starken und langen Monatsblutung leiden. Weitere Symptome des von-Willebrand-Syndroms sind Hämatome, Nasenbluten und Zahnfleischbluten. Die Symptome können im Verbund auftreten, müssen aber nicht. Häufig ist nur ein einziger Anhaltspunkt vorhanden. Oft berichten Patienten auch, dass sie in der Kindheit Blutungssymptome an sich beobachten konnten, später aber nicht mehr. Beim von-Willebrand-Syndrom werden drei Typen unterschieden: Beim milden Typ 1 liegt ein quantitativer Mangel des von-Willebrand-Faktors vor, bei Typ 2 funktionelle Defekte und bei Typ 3 der vollständige Mangel an von-Willebrand-Faktor, assoziiert mit schwerer Blutungssymptomatik. In der überwiegenden Zahl der Fälle – bei etwa 70 % der Patienten – liegt ein Typ 1 vor. Diese Patienten sollten unbedingt diagnostisch erfasst werden, weil auch Patienten mit im Alltag leichter Blutungsneigung bei Operationen, Unfällen und Zahnextraktionen lebensgefährlich bluten können.
Gerinnungsanamnese ist ein wichtiges diagnostisches Werkzeug
Um die milden Fälle des von-Willebrand-Syndroms zu identifizieren, empfahl Dr. Halimeh eine standardisierte Gerinnungsanamnese. Auch der Hals-Nasen-Ohrenarzt Dr. Mewes betonte die hohe Bedeutung einer gezielten Anamnese gerade im HNO-Bereich. Diese sei besser geeignet als das Routine-Gerinnungsscreening, denn eine normale PTT und ein normaler Quick-Wert seien keine Garantie, dass nicht doch ein von-Willebrand-Syndrom vorliegen könnte, so Halimeh. Sie wies insbesondere auf Infekte hin, die bei Kindern zu einer falsch positiven und verlängerten PTT führen können. „Verlassen Sie sich nicht auf das Labor!“, appellierte Halimeh, „das vermeintlich sichere Gefühl ist falsch!“ Einen universell einsetzbaren Gerinnungsfragebogen zur Durchführung der Anamnese stellte Dr. Sigl-Kraetzig vor. Dieser wird vom „Netzwerk vWS“, einer Initiative zur Früherkennung des von-Willebrand-Syndroms, herausgegeben. Der Kinderarzt empfahl den HNO-Medizinern, den Fragebogen insbesondere vor operativen Eingriffen bei Kindern einzusetzen. Der HNO-Mediziner Dr. Mewes bekräftigte dies. Denn gerade bei Kindern seien akute Schleimhautblutungen bei Tonsillektomien kaum zu stoppen und würden nicht selten tödlich enden.
Tödliche Blutungen nach HNO-Operationen – Schlagzeilen in der Boulevardpresse vermeiden
Dies sei darauf zurückzuführen, dass das Blut bei Tonsillektomien zunächst in den Rachen ablaufe, so dass eine akute Blutung zunächst nicht auffalle, so Sigl-Kraetzig. Oft bemerke der Operateur die Blutung erst spät, nämlich dann, wenn das Kind Blut im Mund hat und das Blut aus dem Mund läuft. Tödlich verlaufende Tonsillektomien bei Kindern würden immer wieder Schlagzeilen für die Boulevardpresse liefern, berichtete Sigl-Kraetzig. Dem könne man durch eine Gerinnungsanamnese gut vorbeugen. Er verwies auf die Leitlinien zur präoperativen Gerinnungsuntersuchung bei Tonsillektomien und Adenotomien: zum einen auf die S1-Leitlinie der DGHNOKHC und zum anderen auf eine Empfehlung der pädiatrischen Arbeitsgruppe der GTH. In beiden wird standardmäßig eine strukturierte Erhebung der Blutungsanamnese gefordert. Die pädiatrische Arbeitsgruppe der GTH empfiehlt darüber hinaus präoperativ eine erweiterte hämostaseologische Diagnostik, und zwar bei solchen Patienten, bei denen die Eigenanamnese kein aussagekräftiges Ergebnis liefert (z.B. bei Sprachbarrieren oder bei Kindern unter zwei Jahren). Zudem könne das Blutungsrisiko bei Tonsillektomien auch durch die Wahl des Zugangs gesenkt werden, so Sigl-Kraetzig. Er empfahl, bei Eingriffen weitestgehend atraumatisch vorzugehen (TO statt TE), und insbesondere bei Blutungsneigung die Indikationsstellung für eine Tonsillektomie streng zu überprüfen. Der Kinderarzt betonte, dass Nachblutungen auch noch zehn Tage postoperativ auftreten könnten, so dass eine stationäre Behandlung einem ambulant durchgeführten Eingriff vorzuziehen sei. Abschließend erläuterte Sigl-Kraetzig die Therapieoptionen bei vWS-Patienten, die sich nach Eingriff und Patient unterscheide. Als Therapeutika kämen Antifibrinolytika wie z. B. Tranexamsäure, das Hormonanalogon Desmopressin (DDAVP) sowie von-Willebrand-Faktor VIII-haltige Präparate (z.B. Haemate® P) in Frage.
Autorin: Uta Schmidt, Düsseldorf
Quelle: Symposium von CSL Behring auf der 83. Jahresversammlung der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie (DGHNOKHC), 19.05.2012, Mainz.