Typ-2-Diabetes weiter auf dem Vormarsch

Blutzuckerkontrolle und mehr: Inkretine an den Stellschrauben der Pathophysiologie des Typ-2-Diabetes

 

Leipzig (8. Mai 2013) – „Forschung von heute für die Praxis von morgen“, so lautete das Motto der 48. Jahrestagung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), die vom 8. – 11. Mai in Leipzig stattfand. Welche Auswirkungen neue Erkenntnisse aus Forschung und Klinik auf aktuelle und zukünftige Strategien bei der Behandlung von Patienten mit Typ-2-Diabetes haben können, war auch das Thema eines mit namhaften Experten besetzten Satellitensymposiums unter dem Vorsitz von Professor Dr. Wolfgang E. Schmidt und Professor Dr. Andreas Pfeiffer, das die BERLIN-CHEMIE AG am 8. Mai 2013 im Rahmen der Tagung ausrichtete*.

 

Wichtige Schwerpunkte waren die Darstellung der epidemiologischen Brisanz des weiterhin an Häufigkeit zunehmenden Typ-2-Diabetes sowie die Diskussion über die Beeinflussung der pathophysiologischen Vorgänge bei Patienten mit Typ-2-Diabetes durch Inkretine. Vorgestellt wurden auch mögliche positive Effekte auf einzelne Organsysteme. Die Experten waren sich einig, dass die Berücksichtigung vielfältiger Faktoren auch abseits von Blutzucker und HbA1c eine wichtige Rolle bei der Therapieentscheidung spielt und dass die Therapie des Typ-2-Diabetes stets die Behandlung eines individuellen Patienten sein muss.

 

Die Diabetesprävalenz liegt in Deutschland in der erwachsenen Bevölkerung (18-79 Jahre) bei 7,2 %, mit einer deutlichen Zunahme bei älteren Menschen (Diabetesprävalenz ca. 22 % bei Personen im Alter 70-79 Jahre) [1, 2]. Darauf wies Privatdozent Dr. Wolfgang Rathmann vom Institut für Biometrie und Epidemiologie des Deutschen Diabetes-Zentrums Düsseldorf hin und zitierte damit die Zahlen der DEGS-Studie (Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland). Auch die Rate nicht entdeckter Diabetesfälle in der DEGS-Studie sei erheblich und liege bei zusätzlichen 2,1 % [2]. „Eine neue Erkenntnis sind regionale Unterschiede der Diabetesprävalenz in Deutschland“, betonte Rathmann und stellte die Daten einer Metaanalyse aus dem Jahr 2012 vor, die ein deutliches Nordost/Süd-Gefälle der Diabetesprävalenz zeigten [3]. Auffällig sei auch eine Übereinstimmung der Diabetesprävalenz mit sozioökonomischen Faktoren auf Regionalebene wie der Arbeitslosenquote und der finanziellen Situation von Gemeinden, so Rathmann.

 

Im Vergleich zum Bundes-Gesundheitssurvey von 1998 zeigte sich in den aktuellen Zahlen der DEGS-Studie eine Steigerung der Diabetes-Lebenszeitprävalenz von 5,2 % auf 7,2 %. Dies entspricht einem Anstieg um 38 % [2]. Rathmann wies darauf hin, dass diese Zunahme lediglich zu etwa einem Drittel der Veränderung in der Altersstruktur geschuldet sei, zwei Drittel sei anderen Faktoren wie zum Beispiel einer Zunahme der Adipositasprävalenz zuzurechnen. Schätzungen lassen für das Jahr 2030 im Vergleich zu 2010 eine weitere Zunahme der Diabetesprävalenz in der Altersgruppe der 55-74-Jährigen um ca. 63 % vermuten [4].

 

Auf die nicht-insulinotropen Effekte von Inkretinen wies Professor Dr. Andreas Pfeiffer, Direktor der Abteilung für Endokrinologie, Diabetes und Ernährungsmedizin der Charité – Universitätsmedizin Berlin, hin. Bei der Ausschüttung von Hormonen im Darm als Antwort auf eine Nahrungsaufnahme spielen Inkretine wie GLP-1 (glucagon-like peptide-1) und GIP (glucose dependent insulinotropic peptide) eine wichtig Rolle. Während die Wirkung von Inkretinen auf die Bauchspeicheldrüse und der damit einhergehende blutzuckersenkende Effekt bereits bekannt sind, rücken mittlerweile auch extrapankreatische Effekte der Inkretine ins Zentrum der Aufmerksamkeit. So zeigen sich unter anderem auch Einflüsse von Inkretinen auf die Regulation kardiovaskulärer Faktoren [5] sowie auf den Fettstoffwechsel [6]. „Wie diese Beispiele zeigen, vermitteln Inkretine wahrscheinlich ganz wesentlich die gesundheitlichen Effekte von Nahrung“, so Pfeiffer.

 

Auch Professor Dr. Werner Kern vom Zentrum für Hormon- und Stoffwechselerkrankungen Endokrinologikum in Ulm stellte die nicht-pankreatischen Effekte von Inkretinen in den Mittelpunkt seines Vortrags. Der Nachweis von GLP-1 und von GLP-1-Rezeptoren im Gehirn sei ein deutlicher Hinweis auf die zentrale Wirkung von GLP-1 und könne unter anderem eine Erklärung für die gewichtsregulierende Wirkung von Inkretinen sein. „Eine Gewichtsabnahme ist nicht möglich, wenn es das Gehirn nicht zulässt“, so Kern.

 

Auch zur Wirkung von Inkretinen auf kardiale Parameter wurden positive Auswirkungen beobachtet. Eine große Metaanalyse zur Auswirkung von DPP-4-Hemmern auf das Risiko für schwerwiegende kardiovaskuläre Ereignisse zeigte eine Reduktion des Risikos unter DPP-4-Hemmer-Gabe (OR = 0,689; p = 0,006) [7].

 

„Momentan werden für Inkretin-basierte Therapien mit Ausnahme von Vildagliptin Outcome-Studien zu kardiovaskulären Endpunkten durchgeführt. Daraus wird es demnächst bzw. in den nächsten Jahren viele Daten geben“, bemerkte Kern und wies auf die Bedeutung dieser Untersuchungen zum Nachweis der kardiovaskulären Sicherheit hin.

 

Dass Krankheitsverlauf und Therapie beim Typ-2-Diabetiker mit fortschreitender Erkrankungsdauer einem stetigen Wandel unterliegen und somit einen dauerhaften Prozess darstellen, machte Dr. Andreas Lueg, Diabetologische Schwerpunktpraxis Hameln, deutlich. Dieser individualisierte Ansatz umfasse auch die Individualisierung des HbA1c-Zielwertes [9]. Lueg wies darauf hin, dass eine frühe Kombinationstherapie das Erreichen therapeutischer Ziele erleichtern könne. „Wir motivieren unsere Patienten, aktiv zu sein – aber geben wir ihnen auch den Rahmen, das tun zu können?“ fragte Lueg und betonte die Wichtigkeit einer Ausrichtung der Therapie an den Erfordernissen des praktischen Lebens. So könne die Sorge um Unterzuckerung eine belastende Einschränkung der Flexibilität zum Beispiel bei sportlicher Betätigung sein, wie Lueg am Beispiel einer Patientin darstellte. „Unter Gabe des DPP-4-Hemmers Sitagliptin verbesserte sich der HbA1c bei dieser Patienten ohne Gewichtszunahme und ohne zusätzliches Hypoglykämierisiko#, wie es – vor allem bei flexiblem Sportverhalten – zum Beispiel unter Sulfonylharnstoffen zu erwarten gewesen wäre.“ Sitagliptin verfüge über ein sehr breites Anwendungsspektrum, auch dies sei bei einer fortschreitenden Erkrankung mit häufigen Begleiterkrankungen wichtig. Lueg schloss seinen Vortrag mit dem Fazit „Die Klaviatur unserer therapeutischen Möglichkeiten kann bei dieser heterogenen Erkrankung gar nicht breit genug sein, wenn wir unsere Patienten individuell und nicht schematisch behandeln möchten“.

 

 

Anmerkungen

 

  • * Quelle: „Typ-2-Diabetes: Individuelle Therapie in Zeiten einer „Epidemie“ – Beeinflussen neue Erkenntnisse alte Muster?“ Satellitensymposium der BERLIN-CHEMIE AG im Rahmen der 48. Jahrestagung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) am 08. Mai 2013 in Leipzig unter dem Vorsitz von Prof. Dr. Wolfgang E. Schmidt, Bochum, und Prof. Dr. Andreas Pfeiffer, Berlin/Nuthetal.

 

 

Literatur 

  1. Kurth BM. Erste Ergebnisse aus der „Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland“ (DEGS). Bundesgesundheitsbl 2012; 55: 980-990.
  2. Heidemann C, Du Y, Scheidt-Nave C Wie hoch ist die Zahl der Erwachsenen mit Diabetes in Deutxchland? DEGS-Symposium, Robert-Koch-Institut Berlin, 14.06.2012.
  3. Schipf S, Werner A, Tamayo T et al. Regional differences in the prevalence of known Type 2 diabetes mellitus in 45-74 years old individuals: results from six population-based studies in Germany (DIAB-CORE Consortium). Diabet Med 2012; 29: e88-95.
  4. Brinks R, Tamayo T, Kowall B et al. Prevalence of type 2 diabetes in Germany in 2040: estimates from an epidemiological model. Eur J Epidemiol 2012; 27: 791-797.
  5. Ussher JR, Drucker DJ. Cardiovascular biology of the incretin system. Endocr Rev 2012; 33: 187-215.
  6. Monami M, Lamanna C, Desideri CM et al. DPP-4 inhibitors and lipids: systematic review and meta-analysis. Adv Ther 2012; 29: 14-25.
  7. Monami M, Dicembrini I, Martelli D et al. Safety of dipeptidyl peptidase-4 inhibitors: a meta-analysis of randomized clinical trials. Curr Med Res Opin 2011; 27 Suppl 3: 57-64.
  8. Ismail-Beigi F, Moghissi E, Tiktin M et al. Individualizing glycemic targets in type 2 diabetes mellitus: implications of recent clinical trials. Ann Intern Med 2011; 154: 554-559.
  • # Wenn Xelevia als Monotherapie oder in Kombination mit Metformin und/oder ein Glitazon eingesetzt wurde, war die Häufigkeit der unter Sitagliptin berichteten Hypoglykämien ähnlich der unter Plazebo. Wenn Sitagliptin zu einem Sulfonylharnstoff oder Insulin hinzugefügt wurde, lag die Inzidenz von Hypoglykämien über der von Plazebo. Daher kann eine niedrigere Dosierung des Sulfonylharnstoffs oder Insulins in Betracht gezogen werden, um das Risiko für Hypoglykämien zu senken.

 


 

Quelle: Berlin-Chemie, 16.08.2013 (tB).

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