BVMed

Medizinische Apps und kognitive Systeme verbessern die Patientenversorgung

Berlin (7. Juli 2016) – Die Digitalisierung und mobile Kommunikationen werden die Gesundheitsversorgung in den nächsten Jahren revolutionieren. Dazu gehören medizinische Apps ebenso wie kognitive Systeme, die aus großen Datenmengen Muster erkennen und individuelle Therapievorschläge ableiten können. Das veranschaulichten die Experten des BVMed-Events „Die Digitalisierung der Gesundheit“ am 6. Juli 2016 in Berlin. Nach Ansicht von BVMed-Geschäftsführer und Vorstandsmitglied Joachim M. Schmitt steht die Medizinproduktebranche vor einem „Sensoren-Boom“. Alle Medizintechnologien der Zukunft würden auch Daten generieren, vom modernen Pflaster bis zum intelligenten Implantat.

Die digitale Transformation im Gesundheitswesen habe begonnen und werde zu disruptiven Innovationen führen, so Prof. Dr. David Matusiewicz von der FOM Hochschule Essen. Krankenkassenchef Prof. Dr. Herbert Rebscher von der DAK Gesundheit ist überzeugt, dass die Entwicklungen rund um Digitalisierung die Möglichkeiten zur Versorgungsunterstützung durch die Krankenkassen erweitern. Eine aktivere Rolle der Kassen müsse aber durch den Gesetzgeber gewollt sein. Internetmedizin-Experte Dr. Markus Müschenich zeigte das große Potenzial von medizinischen Apps auf. Digitale Medizin werde dabei automatisch global. Antje Niemeyer von IBM Watson Health stellte die Chancen von „kognitiven Systemen“ vor, die Inhalte verstehen und Muster erkennen können. So kann Watson beispielsweise helfen, individuelle Krebsbehandlungspläne zu erstellen.

Prof. Dr. David Matusiewicz , Dekan der FOM Hochschule für Ökonomie und Management in Essen und Inhaber des Lehrstuhls für Gesundheitsmanagement, beschrieb einführend, wie Apps, Telemedizin, Selftracking und Wearables das Gesundheitswesen verändern. „Wearables“ seien dabei nicht neu. „Es gab vor Jahrhunderten schon Taschenuhren oder den Abakus als Rechenhilfe. Und gebremst wurde auch damals schon“, so Matusiewicz. Die digitale Transformation im Gesundheitswesen habe begonnen „und wird zu disruptiven Innovationen führen“. Beispiele wie Kodak, Yahoo oder Blackberry zeigen, dass der Anschluss schnell verloren gehen kann. Im Gesundheitswesen werden Milliarden von Daten generiert. Aber die Selbstverwaltung blockiere und bremse in vielen Bereichen. Die elektronische Gesundheitskarte sei technisch kein Problem, aber ein hochpolitisches Thema. Matusiewicz dazu: „Digitalisierung ist heute noch nicht in der Etablierungs-, sondern noch in der Profilierungsphase.“ Die Entwicklung gehe aber rasant weiter. Patienten ergoogeln sich Informationen. Die Erwartungshaltung an die Ärzte und die medizinische Behandlung steigen. „Wir werden nicht nur den gläsernen Patienten bekommen, sondern auch den gläsernen Arzt, dessen Therapien hinterfragt werden. Bei der Digitalisierung geht es nicht um die Substitution des Arztes, sondern um die technische Unterstützung der ärztlichen Tätigkeit. 29 Prozent der Tätigkeiten von Gesundheitsberufen könnten heute bereits von Computern übernommen werden“, so der Digitalisierungsexperte. Die digitale Revolution werde das Gesundheitssystem von Grund auf verändern, es müssten aber Lösungen für wichtige Herausforderungen gesucht werden. Dazu gehören die zu hohen bürokratischen Hürden für neue Leistungserbringer, die Befürchtung höherer Zusatzbeiträge der Krankenkassen oder die fehlende Marktübersicht und Zahlbereitschaft der Patienten.

Die Zwänge einer gesetzlichen Krankenkasse beim Thema Datenverwendung und proaktive Steuerung stellte Prof. Dr. Herbert Rebscher , Vorstandsvorsitzender der DAK-Gesundheit, dar. Innerhalb der GKV-Struktur sei die Krankenkasse die einzige Organisation mit einem umfassenden Leistungsüberblick. Der Hausarzt habe dieses umfassende Wissen über die Patientenversorgung nicht. Es gehe also nicht so sehr darum, was man alles wolle, sondern die Daten, die man habe, besser zu nutzen. Für die Analyse der Daten innerhalb der GKV gelten aber enge und bindende Spielregeln durch den Gesetzgeber. Oberste Priorität habe das informelle Selbstbestimmungsrecht der Versicherten. Proaktive Steuerung durch eine Krankenkasse sei derzeit eigentlich nur in Modellvorhaben möglich. „Wir sollten wenigstens dann, wenn es der Patient wünscht, seine Daten zur Steuerung verwenden dürfen“, so Rebscher. Für die „zielgruppenspezifische Ansprache der Versicherten“ gebe es derzeit keinen gesetzlichen Auftrag. „Das bedeutet, dass die Krankenkassen ihre Daten nicht zu einer gezielten proaktiven Ansprache ihrer Versicherten nutzen dürfen“, beschreibt der Krankenkassenmanager den ernüchternden Ist-Zustand. Die Krankenkasse hätte vielfältige Möglichkeiten eines aktiven Versorgungsmanagements über die Identifikation von Versorgungsdefiziten durch Prädiktionsmodelle, vieles sei aber rechtlich nicht möglich. Aus ökonomischer Sicht müsste sich ein aktives Versorgungsmanagement vor allem auf die Patienten fokussieren, bei denen eine Eskalation eines Krankheitsbildes zu befürchten ist. Am Beispiel der Wundversorgung verdeutlichte Rebscher, dass eine Krankenkasse frühzeitiger Über-, Unter- und Fehlversorgungen erkennen und konkret im Sinne des Patienten ansprechen könnte. Das sei aber unter den heutigen Rahmenbedingungen nur schwer möglich und müsse künftig durch den Gesetzgeber erleichtert werden. Der Kassenchef sprach sich dabei für eine zeitlich begrenzte Legitimation zur Datenverwendung und eine gezielte Ansprache von Versicherten für konkrete Patientenangebote aus. Hier müsse es einen angepassten Datenschutz für das beantragte Vorhaben geben.

Die Trends und Zukunftsmodelle in der Internetmedizin beleuchtete Dr. Markus Müschenich . Er ist Facharzt für Kinderheilkunde und Jugendmedizin, sowie Gründer und Managing Partner von FLYING HEALTH, einer „Startup-Manufaktur“. Gute Medizin sei „Information und Kommunikation“. Digitalisierung und mobile Kommunikation seien deshalb „eine Steilvorlage“. Wer „mobile Kommunikation“ beherrsche, habe auch im Gesundheitsmarkt einen Vorteil. „Deshalb sind Apple und Google große Gesundheits-Player“, so Müschenich. Google kaufe Wissenschaftler aus dem medizinischen Bereich ein und stelle mittlerweile auch Hardware her. Apple könne schon ein gesamtes Fallmanagement abbilden – bis hin zur elektronischen Patientenakte auf dem iPhone und dem Notfalldatensatz auf der Apple-Watch, die im Ernstfall automatisch Informationen zur Verfügung stellt. „Apple macht das, was die Gematik machen soll, schneller und besser.“ In den USA kooperiert beispielsweise die Mayo Clinic mit Apple bei der elektronischen Patientenakte und digitalen Versorgungsprogrammen. Aufgrund der digitalen Angebote steigt die Zahl der Patientenkontakte enorm. „Digitale Medizin wird damit automatisch global“, so Müschenich. Aus dem Datenschatz ergeben sich für Apple zudem neue Geschäftsmodelle. Ein weiterer Trend sind „Health Companiens“, die elektronische Patientenakten mit weiteren Anwendungen und Hilfestellungen verbinden. Beispiele hierfür sind „Onelife Family“ mit speziellen Angeboten für Schwangere oder „mySugr“ für Diabetiker. „mySugr“ wird bereits von 750.000 Diabetikern weltweit genutzt. Dabei werden gute medizinische Apps mittlerweile von einzelnen Krankenkassen erstattet.

Antje Niemeyer , IBM Watson Health Leader für Deutschland, Österreich und Schweiz, ging auf kognitive Assistenzsysteme im Gesundheitsmarkt ein. IBM Watson Health wurde 2015 als eigenes Geschäftsfeld gegründet. Ziel ist es, Erkenntnisse und Muster aufzuzeigen, die heute noch nicht erkannt werden können. Ein Beispiel ist das Zusammenführen von publiziertem Wissen und individuellen Daten, beispielsweise für die Krebstherapie. Kognitive Systeme müssen von Experten trainiert werden. Sie verarbeiten die natürliche Sprache, um die Komplexität unstrukturierter Daten zu verstehen. Sie erzeugen und bewerten Hypothesen durch Anwendung fortgeschrittener Analysemethoden. Zu Watson gehört auch „evidenzbasiertes Lernen“, um sich auf der Basis der Ergebnisse zu verbessern „und so mit jeder Iteration und Interaktion intelligenter zu werden“, so Niemeyer. Kognitive Systeme können also Inhalte verstehen und Muster erkennen. So kann Watson beispielsweise Onkologen helfen, bessere Behandlungsmöglichkeiten zu identifizieren und individuelle Krebsbehandlungspläne zu erstellen. Im medizintechnischen Bereich kooperiert IBM beispielsweise mit Medtronic, Johnson & Johnson oder Novo Nordisk. Zusammen mit Medtronic baut IBM gemeinsam „eine sichere und offene Innovationsplattform für Diabetespatienten auf“. Die kontinuierlich gemessenen Werte des Diabetesgerätes werden in Echtzeit mit anderen Daten kombiniert und verglichen, um Muster zu erkennen.


Quelle: BVMed – Bundesverband Medizintechnologie e.V., 07.07.2016 (tB).

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