Cardiac Arrest:
Kühlung des Patienten bringt keinen Vorteil

 

Bern, Schweiz (24. Juni 2021 — Das internationale Forschungskonsortium TTM2 veröffentlichte kürzlich im New England Journal of Medicine eine Studie zum Temperaturmanagement von Patientinnen und Patienten, die nach einem plötzlichen Herzstillstand komatös in die Notfallstation eingeliefert werden. Das Cardiac-Arrest-Center Bern, das erste zertifizierte Schweizer Zentrum für plötzlichen Herzstillstand, hat an der Erarbeitung der Studie massgeblich mitgewirkt. Sie konnte nachweisen, dass die Kühlung an sich keine höhere Überlebenswahrscheinlichkeit bewirkt.

Plötzlicher Herztod ist noch vor Krebs und Hirnschlag die häufigste Todesursache. In der Schweiz rechnet man mit 8.000 bis 10.000 Todesfällen pro Jahr. In der Öffentlichkeit wurde das Thema des plötzlichen Herzstillstandes an der EM 2021 bekannt, als der dänische Fussballer Christian Eriksen im Stadion ohne Einwirkung eines gegnerischen Spielers zusammenbrach.

Zwar sind Herzerkrankungen als Risikofaktoren eines plötzlichen Herztodes ausführlich untersucht, im Bereich der medizinischen Sofortintervention und der Behandlungsmassnahmen klaffen aber bis heute Wissenslücken. Das hat u.a. mit dem enormen Zeitdruck zu tun, der bei einem Herzstillstand auf allen Beteiligten lastet und mit der erheblichen Schwierigkeit, gut dokumentierte Datengrundlagen zu erstellen, die sich für hochkarätige Forschungsvorhaben eignen.

Das war die Ausgangslage für die hier besprochene Studie: internationale Guidelines schrieben ein kühlendes Temperaturmanagement (Hypothermiebehandlung) für Patientinnen und Patienten vor, die nach einem plötzlichen Herzstillstand bewusstlos in die Notfallstation eingeliefert werden. Eine robuste Evidenzgrundlage für die Hypothermiebehandlung auf ca. 33˚ Celsius fehlte. Die Studie überprüfte deshalb die Vorgaben und fand Erstaunliches.

 

Kühlung der Patientin, des Patienten bringt keinen Vorteil

Die TTM2-Studie konnte zeigen, dass eine gezielte Kühlung der Patientinnen und Patienten im Koma auf ca. 33˚ Celsius keinen Vorteil in Bezug auf die Überlebensraten zur Folge hat. Dr. med. Anja Levis, Co-Autorin der Studie erklärt: «Wie in der Vergleichsgruppe, deren Körpertemperatur im Normalbereich unterhalb der Fiebergrenze gehalten wurde, starben in den ersten 6 Monaten nach dem Ereignis rund die Hälfte der untersuchten Fälle. Jedoch schnitt die Gruppe mit Kühlung in Bezug auf Herzrhythmusstörungen deutlich schlechter ab, als die Normaltemperatur-Gruppe.»

Zur Einordnung dieser Resultate sei hier kurz ein Rückblick auf die Entstehung der Empfehlung gemacht: Kühlung spielt in zahlreichen medizinischen Anwendungen eine Rolle, die eine Stilllegung der Herzaktivität erfordern. Die ursprüngliche Studie aus dem Jahr 2002 verglich zwei kleine Gruppen von Patienten, eine mit Hypothermie-Management und eine ohne. Prof. Hänggi erklärt: «Retrospektiv können wir sagen, dass mit der Studie 2002 gezeigt wurde, dass ein besseres Ergebnis bei den Patientinnen und Patienten erzielt wird, die intensiv betreut werden. TTM2 hat nun gezeigt, dass es vor allem ein gutes Setting für Herzstillstand-Patienten braucht, und dieses kann nicht einzig auf die Temperatur beschränkt betrachtet werden.»

 

TTM2-Studie: Evidenz dank solidem Design in internationaler Kooperation

Die TTM2-Studie hat sich zum Ziel gesetzt, evidenzbasierte Grundlagen der Behandlung nach plötzlichem Herzstillstand zu schaffen. Sie schloss 1900 (auswertbar 1850) Patientinnen und Patienten aus 14 Ländern in 61 Spitälern ein. Die Leitung des Konsortiums lag beim Universitätsspital Lund in Schweden. 68 Patienten waren am Inselspital hospitalisiert. Hier lag die Leitung bei Dr. med. Anja Levis (Universitätsklinik für Anästhesie) und bei Prof. Dr. med. Matthias Hänggi (Universitätsklinik für Intensivmedizin).

Die Patientinnen und Patienten wurden zufällig in zwei Gruppen eingeteilt: Gruppe «Hypothermie» und Gruppe «Normothermie», mit je 925 Fällen. Das primär beurteilte Resultat war «Überleben nach 6 Monaten». Zudem wurden zahlreiche standardisierte Parameter z.B. zu Einschränkungen nach dem Herzstillstand erhoben.

 

Cardiac-Arrest-Center Bern, Inselspital

Das Cardiac-Arrest-Center des Inselspitals, Universitätsspital Bern ist das erste zertifizierte Schweizer CA-Center. Dank der tatkräftigen Initiative des CA-Center Teams nahm das Inselspital an der internationalen Studie massgeblich teil und übernahm eine führende Rolle innerhalb der Schweizer Studienzentren.

Die TTM2-Studie hat die Bedeutung der Zertifizierung unterstrichen. Dr. med. Manuela Iten betont: «Wenn das gesamte Betreuungssystem stimmt, vom frühen Erkennen des Herzstillstandes, zu frühzeitigen Reanimationsmassnahmen, einer schnellen Defibrillation, dann bei Transport und Einlieferung eine gute Erstversorgung, professionelle Intensivpflegemassnahmen, korrekte Prognosestellung und schliesslich eine gute Rehabilitation, dann überlebt fast die Hälfte der Patienten mit gutem Outcome, und die Temperatur ist nur ein Faktor in diesem ganzen Gebilde.»

Diese enge Kooperation der Kliniken des CA-Centers innerhalb des Unispitales und mit den Rettungsdiensten der Region dient den Patienten und stärkt den Medizinalstandort Bern.

 

Viel Arbeit für das CA-Center Bern

Die evidenzbasierte Behandlung von plötzlichem Herzstillstand weist einen erheblichen Rückstand gegenüber anderen, vergleichbaren Erkrankungen auf. Prof. Hänggi führt aus: «Die durchgehende Zertifizierung des CA-Centers Bern war ein erheblicher Aufwand, den andere grosse Zentren noch leisten müssen. Weiter fehlen derzeit noch Strukturen wie zum Beispiel die klar einheitlich geregelten Versorgungsstufen im Bereich Hirnschlag. Dank der sorgfältig dokumentierten Prozesse können aber nun weitere Forschungsarbeiten in Angriff genommen werden um die Evidenz im Bereich der Behandlung des plötzlichen Herzstillstandes weiter zu verbessern.»

Neben der lokalen Umsetzung steht die Verarbeitung der Studienergebnisse in den Europäischen Guidelines an. Sie wurden anfangs 2021 revidiert und führen die Hypothermiebehandlung noch auf.

 

 

Originalpublikation

 

 


Quelle: Universitätsspital Bern, 24.06.2021 (tB).

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