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Das Gesundheitswesen auf eine älter werdende Bevölkerung einstellen
Neue Daten zeigen dringenden Handlungsbedarf auf
Berlin (25. August 2009) – Die Bundestagswahl steht vor der Tür. Am 27. September wird ein neuer Bundestag gewählt. Wohl zu Recht kann diese Wahl als eine Schicksalswahl für das deutsche Gesundheitswesen bezeichnet werden. Schon heute wird auch nach dieser Wahl eine weitere Gesundheitsreform erwartet. Die Erfahrungen mit den letzten beiden Reformen, dem GKV-Modernisierungsgesetz und dem GKV-Wettbewerbs-Stärkungsgesetz, machen eine solche Reform auch dringend erforderlich. “Es darf keine weitere Reform im Gesundheitswesen, keine neue Gesetzgebung mehr geben, die sich nicht daran orientiert, was an Problemen auf die Gesundheitsversorgung aufgrund der demografischen Entwicklung zukommt. Die jüngste Gesetzgebung im Gesundheitswesen hat nicht einmal im Ansatz eine Orientierung an Problemen der Gesundheitsversorgung von morgen erkennen lassen“, so Prof. Dr. med. Fritz Beske vom Institut für Gesundheits-System-Forschung (IGSF) in Kiel bei der Vorstellung einer neuen Studie des Instituts mit dem Titel „Morbiditätsprognose 2050 – Ausgewählte Krankheiten für Deutschland, Brandenburg und Schleswig-Holstein“(1), eine Hochrechnung der Morbidität bis 2050 für 22 Krankheiten.
Neben nationalen Daten wurden dabei auch internationale Daten herangezogen. Die Auswahl der 22 Krankheiten orientiert sich an deren Häufigkeit und Schwere sowie an Art, Umfang und Validität der gewonnenen Daten und damit an der Möglichkeit, eigene Hochrechnungen mit belastbaren Ergebnissen durchzuführen. Es wurde außerdem Wert darauf gelegt, Krankheiten aus verschiedenen medizinischen Fachgebieten auszuwählen. Entsprechend der Datenlage wurde die Zahl der Erkrankten (Prävalenz) oder die Zahl der jährlichen Neuerkrankungen (Inzidenz) berechnet.
Da es nicht möglich ist, eine zusammenfassende Prognose für die Morbidität aller Krankheiten oder zumindest einer überwiegenden Zahl von Krankheiten einer Bevölkerung und damit für den Begriff „krank“ durchzuführen, muss der Weg über einzelne Krankheiten gewählt werden, um eine zuverlässige Grundlage für die Planung der künftigen Gesundheitsversorgung zu schaffen.
Die Ergebnisse können in ihren Auswirkungen auf den Versorgungsbedarf sowohl hinsichtlich der finanziellen Mittel als auch im Hinblick auf das erforderliche Arbeitskräftepotenzial bei ständiger Abnahme der im Erwerbsleben stehenden Altersgruppe als dramatisch bezeichnet werden.
Bevölkerungsentwicklung. Die Hochrechnung für die ausgewählten Krankheiten erfolgte auf der Grundlage der Bevölkerungs-Entwicklung für Deutschland insgesamt und auf der jeweiligen Grundlage der Bevölkerungs-Entwicklung für Brandenburg und Schleswig-Holstein.
Die wichtigsten Daten der Bevölkerungsentwicklung für Deutschland bis 2050 zeigt Tabelle 1.
Die Bevölkerung geht von 82,2 Millionen 2007 auf 68,8 Millionen 2050 zurück, ein Minus von 13,4 Millionen. Im gleichen Zeitraum nimmt die nachwachsende Generation, die Altersgruppe unter 20 Jahre, von 15,9 auf 10,4 Millionen ab, ein Minus von 5,5 Millionen. Die Altersgruppe im erwerbsfähigen Alter und damit diejenige Altersgruppe, die überwiegend das Bruttosozialprodukt erarbeitet, Steuern und Versicherungsbeiträge zahlt und das Arbeitskräftepotenzial für alle Berufe und damit auch für die Berufe im Gesundheitswesen stellt, geht von 49,8 auf 35,5 und damit um 14,3 Millionen zurück.
Es nimmt zu die Altersgruppe 65 Jahre und darüber von 16,5 auf 22,8 und damit um 6,3 Millionen und besonders auffällig die Altersgruppe 80 Jahre und darüber, der Hochbetagten, von 3,9 auf 10 und damit um 6,1 Millionen.
Eindrucksvoll ist die prozentuale Entwicklung. Die nachwachsende Generation nimmt um 35 und die Zahl der Erwerbsfähigen um 29 Prozent ab. Die Zahl der nicht mehr Erwerbsfähigen dagegen nimmt um 38 und die Zahl der Hochbetagten um 156 Prozent zu, Ausdruck der weiter steigenden Lebenserwartung.
Der Altenquotient ist die statistische Relation der Altersgruppe 20 bis 64 Jahre zur Altersgruppe 65 Jahre und darüber. Der Altenquotient halbiert sich von 3 zu 1 auf 1,6 zu 1, was bedeutet, dass heute für einen, der nicht mehr erwerbsfähig ist, drei Erwerbsfähige zur Verfügung stehen. 2050 stehen nur noch 1,6 Erwerbsfähige für einen nicht mehr Erwerbsfähigen zur Verfügung.
Entwicklung von 22 Krankheiten bis 2050 in absoluten Zahlen. Grundlage von 2007 in absoluten Zahlen und die prozentuale Steigerung 2030 und 2050 zu 2007.
Diese Zahlen geben einen Hinweis auf die absoluten Zahlen der zu erwartenden Erkrankten und des damit notwendigen organisatorischen, personellen und finanziellen Bedarfs.
Exemplarische Auswahl aus Tabelle 2.
Altersbedingte Makuladegeneration. Zunahme der Erkrankten von 710.000 im Jahr 2007 auf 1,6 Millionen 2050, eine Zunahme von 125 Prozent.
Diabetes mellitus. Zunahme der Erkrankten von 4,1 bis 6,4 Millionen 2007 auf 5,8 bis 7,8 Millionen 2050, eine Zunahme von 20 bis 22 Prozent.
Herzinfarkt. Zunahme der jährlichen Neuerkrankungen von 313.000 im Jahr 2007 auf 548.000 im Jahr 2050, eine Zunahme von 75 Prozent.
Schlaganfall. Zunahme der jährlichen Neuerkrankungen von 186.000 im Jahr 2007 auf 301.000 im Jahr 2050, eine Zunahme von 62 Prozent.
Krebs insgesamt. Zunahme der jährlichen Neuerkrankungen von 461.000 im Jahr 2007 auf 588.000 im Jahr 2050, eine Zunahme von 27 Prozent.
Brustkrebs. Die Zahl der jährlichen Neuerkrankungen liegt 2007 und 2050 bei jeweils 59.000.
Prostatakrebs. Zunahme der jährlichen Neuerkrankungen von 63.000 im Jahr 2007 auf 88.000 im Jahr 2050, eine Zunahme von 39 Prozent.
Demenz. Zunahme der Erkrankten von 1,1 Millionen 2007 auf 2,2 Millionen 2050, eine Zunahme von 104 Prozent. Zunahme der jährlichen Neuerkrankungen von 290.000 im Jahr 2007 auf 610.000 im Jahr 2050, eine Zunahme von 113 Prozent.
Morbidität von 22 Krankheiten bis 2050 pro 100.000 Einwohner. Die absoluten Zahlen einer Krankheit geben einen Eindruck von der zahlenmäßigen Entwicklung dieser Krankheit. Diese Entwicklung muss jedoch vor dem Hintergrund einer abnehmenden Bevölkerungszahl und einer sich verändernden Altersstruktur gesehen werden. Damit kommt der Krankheitsrate, der Zahl der Erkrankten oder der Zahl der Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner eine besondere Bedeutung zu. Sie lässt erkennen welcher Anstieg an finanziellen und personellen Ressourcen zu erwarten ist.
Tabelle 3 zeigt für 22 Krankheiten die Krankheitsrate pro 100.000 Einwohner bis 2050.
Exemplarische Auswahl aus Tabelle 3.
Altersbedingte Makuladegeneration. Die Zahl der Erkrankten pro 100.000 Einwohner steigt von 864 im Jahr 2007 auf 2.327 im Jahr 2050 und damit um 169 Prozent.
Diabetes mellitus. Die Zahl der Erkrankten pro 100.000 Einwohner steigt von 4.993 bis 7.730 im Jahr 2007 auf 7.185 bis 11.287 im Jahr 2050 und damit um 44 bis 46 Prozent.
Herzinfarkt. Die jährlichen Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner steigen von 381 im Jahr 2007 auf 797 im Jahr 2050 und damit um 109 Prozent.
Schlaganfall. Die jährlichen Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner steigen von 226 im Jahr 2007 auf 438 im Jahr 2050 und damit um 94 Prozent.
Krebs insgesamt. Die jährlichen Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner steigen von 562 im Jahr 2007auf 856 im Jahr 2050 und damit um 52 Prozent.
Brustkrebs. Die jährlichen Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner steigen von 140 im Jahr 2007 auf 169 im Jahr 2050 und damit um 20 Prozent.
Prostatakrebs. Die jährlichen Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner steigen von 157 im Jahr 2007 auf 260 im Jahr 2050 und damit um 66 Prozent.
Demenz. Die Zahl der Erkrankten pro 100.000 Einwohner steigt von 1.300 im Jahr 2007 auf 3.175 im Jahr 2050 und damit um 144 Prozent. Die jährlichen Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner steigen von 349 im Jahr 2007 auf 889 im Jahr 2050 und damit um 155 Prozent.
Die Darstellung der Zahl der Erkrankten oder der Zahl von Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner macht deutlich, dass die Belastung der Gesundheitsversorgung durch die demografische Entwicklung sehr viel größer ist als es die absoluten Zahlen erkennen lassen.
Prozentuale Zunahme der Erkrankten pro 100.000 Einwohner bis 2050. Die Bedeutung einzelner Krankheiten für die Gesundheitsversorgung ergibt sich besonders deutlich anhand der prozentualen Zunahme von Krankheiten pro 100.000 Einwohner von 2007 bis 2050 (Abb. 1).
Abbildung 1 zeigt, dass auf der Grundlage von 2007 von den in diese Untersuchung einbezogenen 22 Krankheiten fünf Krankheiten um mehr als 100 Prozent zunehmen: Lungenentzündung mit 198 Prozent, Makuladegeneration mit 169 Prozent, Demenz mit 144 Prozent, Oberschenkelhalsfraktur mit 125 Prozent und Herzinfarkt mit 109 Prozent. Zwischen 50 und 99 Prozent nehmen acht Krankheiten zu, dabei mit 94 Prozent am häufigsten der Schlaganfall. Bei neun Krankheiten liegt die Zunahme unter 50 Prozent, darunter am häufigsten mit 14 Prozent der Rückenschmerz.
Erkrankte in Prozent der Gesamtbevölkerung. Eindrucksvoll ist auch der prozentuale
Anteil von Krankheiten in der Gesamtbevölkerung von 2007 und 2050 (Abb. 2).
Abbildung 2 zeigt, dass bezogen auf den prozentualen Anteil von Erkrankten an der Gesamtbevölkerung von den in diese Untersuchung einbezogenen 22 Krankheiten am stärksten die Hypertonie mit einem Anteil an der Gesamtbevölkerung von 42,3 Prozent in 2007 auf 51,6 Prozent in 2050 zunimmt, gefolgt von Arthrose mit 21,6 Prozent in 2050 statt 16,5 Prozent in 2007. Der Rückenschmerz steigt von 15,5 Prozent 2007 auf 17,6 Prozent 2050, Schwerhörigkeit steigt von 10,7 auf 16,2 Prozent, Osteoporose von 10,1 auf 15,1 Prozent, COPD von 7,8 auf 11,5 Prozent und Diabetes mellitus von 5 auf 7,2 Prozent. Am geringsten steigt der Lungenkrebs von 0,06 Prozent auf 0,09 Prozent.
Brandenburg und Schleswig-Holstein. Für Brandenburg als neues und für Schleswig-Holstein als altes Bundesland werden die demografische Entwicklung und die Hochrechnung für die in diese Untersuchung einbezogenen 22 Krankheiten dargestellt. Es zeigt sich, wie die bis 2050 unterschiedliche demografische Entwicklung auch das zu erwartende Krankheitsbild prägt.
Brandenburg wird 2050 etwa 1,8 Millionen Einwohner haben, 29,4 Prozent weniger als 2007 mit 2,5 Millionen Einwohnern. Rund 40 Prozent der Einwohner werden dann 65 Jahre und älter sein, 2007 waren es 20 Prozent. Die demografische Alterung trifft Brandenburg früher und in stärkerem Maße als Deutschland insgesamt. Das führt bei zahlreichen der 22 Krankheiten dazu, dass die höchsten Fallzahlen bereits 2030 zu erwarten sind. Die Krankheitslast der Bevölkerung wird dann deutlich höher liegen als in Deutschland insgesamt oder als in einem alten Bundesland wie Schleswig-
Holstein.
In Schleswig-Holstein dagegen wird die Bevölkerung nur von 2,8 Millionen Einwohnern 2007 auf etwa 2,4 Millionen 2050 zurückgehen, ein Minus von 16,5 Prozent. Ein Drittel der Bevölkerung wird dann 65 Jahre und älter sein. 2007 waren es 21 Prozent. Die demografische Entwicklung in Schleswig-Holstein entspricht im Wesentlichen der Entwicklung in Deutschland insgesamt. Dementsprechend ist in der Morbiditätsprognose für Schleswig-Holstein eine mit Deutschland insgesamt vergleichbare Entwicklung zu erwarten. Für einen Flächenstaat wie Schleswig-Holstein stellt dies genauso wie zum Beispiel für Brandenburg besondere Anforderungen an die Sicherstellung einer bedarfsgerechten und wohnortnahen Gesundheitsversorgung.
Schlussfolgerung
Eine Morbiditätsprognose, die mit dem Begriff „krank“ die Gesamtmorbidität einer Bevölkerung umfasst, kann es nicht geben. Die Morbiditätsentwicklung von 22 häufigen, zum Teil schweren und in ihrer Gesamtheit kostenintensiven Krankheiten macht jedoch in allen Formen der Darstellung dieser Entwicklung deutlich, welche Aufgaben sich der Gesundheitsversorgung in den kommenden Jahrzehnten stellen.
Es ist nicht vorhersehbar, welche Entlastungen Prävention und medizinischer Fortschritt bringen könnten, es ist aber genauso wenig vorhersehbar, was an neuen und behandlungsfähigen Krankheiten hinzukommen kann und wie sich eine bessere Gesundheitsversorgung auf eine dadurch bedingte weitere Steigerung der Lebenserwartung mit den damit verbundenen höheren Kosten auswirkt. Es dürfte jedoch unbestritten sein, dass die Umsetzung des medizinischen Fortschritts auf die gesamte Bevölkerung, eine berechtigte und von jeder Partei erhobene gesundheitspolitische Forderung, erhebliche Kosten verursachen wird. Hierfür ließen sich allein aus der jüngsten Vergangenheit zahlreiche Beispiele nennen.
Demografische Entwicklung und medizinischer Fortschritt stellen damit Anforderungen an die Gesundheitspolitik sowohl in finanzieller Hinsicht als auch in Bezug auf das erforderliche Personal im gesamten Gesundheitswesen, die nicht länger ignoriert werden dürfen. Dies trifft besonders auf die Zeit nach 2020 zu, dem Jahr, von dem an die geburtenstarken Jahrgänge das Rentenalter erreichen.
Die Planung für eine gesicherte Gesundheitsversorgung dieser Jahrgänge muss heute beginnen. Lösungen sind nicht kurzfristig aus dem Boden zu stampfen.
Dies ist ein Appell an die nächste Bundesregierung und an die Gesundheitspolitiker im neuen Bundestag, dieses Thema endlich aufzugreifen, der Bevölkerung reinen Wein einzuschenken über die Probleme der Gesundheitsversorgung von morgen und nach Wegen zu suchen, mit denen die in Art und Umfang außergewöhnlichen Probleme gelöst werden können.
Anmerkung
(1) Beske, F.; A. Katalinic; E. Peters; R. Pritzkuleit: Morbiditätsprognose 2050. Ausgewählte Krankheiten für Deutschland, Brandenburg und Schleswig-Holstein. Schriftenreihe/Fritz Beske Institut für Gesundheits-System-Forschung Kiel; Bd. 114. Kiel 2009. Die Studie kann gegen eine Schutzgebühr von 10 € zzgl. Versandkosten bestellt werden bei: IGSF Kiel, Weimarer Str. 8, 24106 Kiel, Tel. 0431–800 60-0, Fax 0431–800 60-11, E-Mail: info@igsf-stiftung.de.
Quelle: Pressemitteilung des Fritz Beske Instituts für Gesundheits-System-Forschung – Kiel vom 25.08.2009.