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Deutschlandweite Narkolepsie-Studie hat begonnen
Epidemiologische Studie zur Assoziation zwischen der Impfung gegen die pandemische Influenza A/H1N1v und dem Auftreten von Narkolepsie
Berlin (19. Mai 2011) – Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) nimmt die Hinweise aus Schweden und Finnland auf ein erhöhtes Risiko für Narkolepsie nach Pandemrix-Impfung bei Kindern und Jugendlichen unter 20 Jahren sowie die in Deutschland gemeldeten Verdachtsfälle zum Anlass, in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) eine epidemiologische Studie durchzuführen. Es soll eine mögliche Assoziation zwischen der H1N1v-Impfung und dem Auftreten von Narkolepsie ermittelt werden.
Das Studiendesign des ersten Teils der Untersuchung, einer retrospektiven gematchten Fall-Kontroll-Studie, entspricht dem der vom European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) [1] geförderten multinationalen Studie zur Assoziation zwischen Infektionen, Impfungen und Narkolepsie, die vom VAESCO-Konsortium [2] koordiniert wird. Dies ermöglicht Vergleiche zwischen den einzelnen europäischen Ländern.
Die Untersuchung wird in deutschen Schlafzentren/-laboren und in Haus- bzw. Kinderarztpraxen durchgeführt und umfasst das gesamte Bundesgebiet. Im zweiten Teil der Studie sollen aussagefähige Daten zur Inzidenz der Narkolepsie in verschiedenen Altersgruppen in den vergangenen vier Jahren erhoben werden.
Erkrankung
Die Narkolepsie ist eine seltene Schlaf-Wach-Störung, die durch die Kernsymptome Tagesschläfrigkeit und Kataplexie (plötzlicher Verlust des Muskeltonus durch starke Gefühle) gekennzeichnet ist. Üblicherweise betrifft die Erkrankung 26 bis 50 von 100.000 Menschen. Eine 2002 durchgeführte prospektive Multicenterstudie der AG Pädiatrie der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) und der Erhebungseinheit für seltene pädiatrische Erkrankungen in Deutschland (ESPED) [3] [4], hat in Deutschland eine Inzidenz für Narkolepsie von 0,12 pro 100.000 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren pro Jahr ermittelt, wobei möglicherweise nicht alle Fälle erfasst wurden. Aus der Inzidenz lässt sich eine Prävalenz von Narkolepsie bei Kindern und Jugendlichen von zwei bis drei pro 100.000 abschätzen.
Die Ursache der Erkrankung ist ungeklärt. In wenigen Fällen tritt Narkolepsie nach Schädigung bestimmter Hirnregionen (Hirnstamm und Dienzephalon) auf. Es werden multifaktorielle Ursachen mit Störungen im cholinergen und noradrenergen System sowie eine Verminderung hypocretinhaltiger Neurone im dorsolateralen Hypothalamus angenommen. 98 Prozent der kaukasischen Narkolepsiepatienten haben den HLA-DRB1*1501-DQB1*0602-Typ. In der Normalbevölkerung beträgt der Anteil 25 bis 35 Prozent.[5] Dieser HLA-Typ weist damit eine hohe Sensitivität, jedoch geringe Spezifität auf. Eine genomweite Assoziationsstudie lässt weitere genetische Polymorphismen vermuten.[6] In jüngerer Zeit werden neben anderen Faktoren auch vermehrt Autoimmunprozesse als Ursachen diskutiert.[7] [8] [9] Es ist kein Mechanismus bekannt oder auch nur theoretisch vorstellbar, wie eine Impfung eine so komplexe Erkrankung wie die Narkolepsie auslösen könnte.
Pandemrix und Narkolepsie
Mit der Information der schwedischen Arzneimittelbehörde Läkemedelsverket am 18. August 2010 über Fälle einer Narkolepsie bei Kindern und Jugendlichen im zeitlichen Zusammenhang mit der Pandemrix- Impfung wurde erstmals die Aufmerksamkeit auf einen möglichen Zusammenhang zwischen der Impfung und Narkolepsie gelenkt. Derzeit werden weitere Meldungen von Verdachtsfällen einer Narkolepsie in Schweden untersucht.
Zwischen Oktober 2010 und Anfang Mai 2011 erhielt das Paul-Ehrlich-Institut 16 Meldungen von Narkolepsie-Verdachtsfällen (bei zehn weiblichen und sechs männlichen Patienten) aus Deutschland in zeitlichem Zusammenhang mit der Pandemrix-Impfung. Betroffen sind 13 Kinder und Jugendliche im Alter von acht bis 17 Jahren und drei Erwachsene. Die ersten Symptome der Erkrankung waren im Mittel 69 Tage nach der Impfung aufgetreten (Minimum vier Tage, Maximum 145 Tage). Zur Sicherung der Diagnose Narkolepsie sind bei einem Teil der Patienten noch weitere Untersuchungen erforderlich. Bei zwei Patienten wurde gesteigerte Tagesmüdigkeit bereits vor der Impfung beobachtet.
Das finnische Gesundheitsinstitut THL (National Institute for Public Health and Welfare) hat kürzlich die Zwischenergebnisse einer Kohortenstudie veröffentlicht.[10] Danach ist die H1N1v-Impfung in Finnland, wo ausschließlich mit Pandemrix geimpft wurde, neben möglicherweise anderen, bisher unbekannten Faktoren, mit einem neunfach erhöhten Risiko für Narkolepsie assoziiert. Wenngleich eine systematische Verzerrung der Ergebnisse nicht ganz auszuschließen ist (zum Beispiel aufgrund unterschiedlicher Bewertung der Fälle durch Behandler), so lassen sich die Ergebnisse jedoch nicht gänzlich durch eine solche Verzerrung erklären. Inzwischen hat auch die schwedische Arzneimittelbehörde Läkemedelsverket Daten einer Kohortenstudie veröffentlicht, wonach die Pandemrix-Impfung in Schweden mit einem vierfach erhöhten Risiko für Narkolepsie bei Kindern und Jugendlichen unter 20 Jahren verbunden ist.[11] Auffallend ist, dass in Finnland und Schweden offenbar nur Kinder und Jugendliche betroffen sind.
Zwar sind inzwischen weltweit Verdachtsfälle berichtet worden, allerdings ist die Melderate in anderen Ländern, darunter auch Deutschland, deutlich niedriger als in Finnland und Schweden. Der Ausschuss für Humanarzneimittel CHMP der Europäischen Arzneimittelagentur EMA stellte im Februar 2011 daher fest, dass bis zu diesem Zeitpunkt kein kausaler Zusammenhang zwischen Narkolepsie und H1N1v-Impfung gefunden wurde. Der CHMP weist allerdings auch darauf hin, dass weitere Daten erwartet werden, die eine umfassendere Bewertung erlauben. Mit einer großen deutschlandweiten multizentrischen Studie unter Beteiligung des PEI und der DGSM soll ein möglicher Zusammenhang epidemiologisch untersucht werden.
Das PEI nimmt die in Deutschland gemeldeten Verdachtsfälle einer Narkolepsie im zeitlichen Zusammenhang mit der Pandemrix-Impfung zum Anlass, gemeinsam mit der DGSM eine Studie zur möglichen Assoziation zwischen der H1N1v-Impfung und dem Auftreten einer Narkolepsie durchzuführen.
Studiendesign
Das Studiendesign entspricht dem der vom Center for Disease Prevention and Control geförderten multinationalen Studie zur Assoziation zwischen Infektionen, Impfungen und Narkolepsie, die vom VAESCO-Konsortium koordiniert wird, was Vergleiche zwischen den einzelnen europäischen Ländern ermöglicht. Ein positives Votum der zuständigen Ethikkommission der Landesärztekammer Hessen liegt vor.
Beim ersten Teil der Untersuchung handelt es sich um eine herstellerunabhängige, durch das PEI gesponserte, multizentrische retrospektive gematchte Fall-Kontroll-Studie zum Zusammenhang zwischen der Impfung gegen die pandemische Influenza (H1N1) und dem Auftreten von Narkolepsie. Leiter der Fall-Kontroll-Studie ist Prof. Geert Mayer, DGSM.
Die Fall-Kontroll-Studie ist eine in der Epidemiologie häufig eingesetzte Studienform. Dabei handelt es sich üblicherweise, aber nicht zwingend, um eine retrospektive Untersuchung. Man wählt zum einen Personen aus, bei denen das zu untersuchende Ereignis, hier das Auftreten einer Narkolepsie, sicher eingetreten ist (Fälle). Zum anderen werden Personen rekrutiert, bei denen das Ereignis (die Narkolepsie) nicht aufgetreten ist (Kontrollen). Des Weiteren kann man Kontrollen so auswählen, dass diese in bestimmten Eigenschaften, z.B. Alter oder Geschlecht, jeweils einem Fall entsprechen. Dies wird als "Matching" bezeichnet, das Verhältnis zwischen einem Fall und den dazu gehörigen Kontrollen als Matchingverhältnis (1:n). Anschließend wird erhoben, ob die Studienteilnehmer, Fälle und Kontrollen, gegenüber dem zu untersuchenden Risikofaktor exponiert waren, d.h. bei der vorliegenden Studie, ob sie die pandemische Grippeimpfung erhalten haben.
Patienten mit Narkolepsie werden in Schlaflaboren und Kontrollen in Hausarzt-/Kinderarztpraxen rekrutiert. Die teilnehmenden Schlaflabore werden gebeten, für alle zwischen dem 01.04.2009 (Beginn der Pandemie) und dem 01.07.2010 aufgetretenen Verdachtsfälle von Narkolepsie mit und ohne Kataplexie einen Erhebungsbogen auszufüllen, in dem nähere Angaben zu Symptomatik, Diagnostik und Therapie gemacht werden sollen. Dazu ist jeweils die Einwilligung des Patienten notwendig. Möchte ein Narkolepsiepatient nicht an der Studie teilnehmen, so werden die Gründe dafür erhoben. Diese Information wird anonymisiert an das PEI weitergegeben. Informationen zu medizinischen Basisdaten, Vorerkrankungen und zur Impfanamnese sollen über den Haus- bzw. Kinderarzt des Patienten erhoben werden. Zudem werden die teilnehmenden Haus-/Kinderärzte darum gebeten, für jeden Fall vier bis sechs nach Alter und Geschlecht gematchte Kontrollen aus ihrem Patientenkreis zu rekrutieren. Auch für diese soll in gleicher Weise wie für die Fälle eine möglichst vollständige Anamnese erhoben werden. Möchte eine in Frage kommende Kontrollperson nicht teilnehmen, werden auch dafür die Gründe erhoben.
Der zweite Teil der Studie besteht aus einer retrospektiven Untersuchung zur Inzidenz von Narkolepsie mit und ohne Kataplexie im Zeitraum 01.01.2007 bis 31.12.2010 in Deutschland, um zu analysieren, ob und wie sich die Narkolepsie-Inzidenz in Deutschland über die letzten vier Jahre verändert hat. Daher bittet die Studienleitung darum, Basisdaten zu den im genannten Zeitraum neu diagnostizierten Fällen von Narkolepsie mit und ohne Kataplexie (ICD-Code G47.4) zu übermitteln.
Statistische Analyse
Der erste Teil ist eine retrospektive Fall-Kontroll-Studie. Darin wird eine Stichprobe sicher Erkrankter identifiziert (Fälle). Diese wird zur Optimierung der Power meist einer höheren Zahl von Vergleichspersonen ohne Erkrankung (Kontrollen) gegenübergestellt. Bei beiden Gruppen wird im Nachhinein (retrospektiv) erhoben, ob in der Vergangenheit eine Exposition gegenüber dem untersuchten potenziellen Risikofaktor vorlag. Das Verhältnis von Exponierten zu Nicht-Exponierten bei Fällen und Kontrollen kann in einer sogenannten Vierfeldertafel dargestellt werden.
In Kohortenstudien dient das relative Risiko (RR) als Maß für die Stärke eines Zusammenhangs zwischen einer Erkrankung und einem Einflussfaktor. Die Fall-Kontroll-Studie erlaubt eine solche Berechnung nicht. Um die Stärke des Zusammenhangs zwischen einer Erkrankung und einem Einflussfaktor zu schätzen, kann in Fall-Kontroll-Studien bei seltenen Erkrankungen durch die gute Übereinstimmung zwischen RR und Odds Ratio (OR) ersatzweise auf die Berechnung des OR zurückgegriffen werden.
Als Störfaktoren oder Confounder werden Variablen (neben Exposition und Erkrankung) bezeichnet, die bei Exponierten und Nicht-Exponierten unterschiedlich verteilt sind; gleichzeitig sind sie Prädiktoren für die Erkrankung. Confounder verzerren den Zusammenhang zwischen Exposition und Erkrankung. In der Regel gibt es nicht nur einen Störfaktor für eine Beziehung zwischen Exposition und Erkrankung, sondern mehrere. Daher wird in der Analyse mithilfe einer logistischen Regression für alle Confounder gleichzeitig adjustiert. Ist das adjustierte OR signifikant erhöht bzw. erniedrigt, kann man von einem Zusammenhang sprechen und dessen Stärke quantifizieren. Damit lässt sich allerdings keine Ursache-Wirkungs-Beziehung nachweisen. Das Ziel von Fall-Kontroll-Studien besteht darin, epidemiologisch Risiko- und protektive Faktoren für eine Erkrankung zu identifizieren.
Der zweite Teil ist eine retrospektive Untersuchung zur Inzidenz von Narkolepsie mit und ohne Kataplexie. Inzidenzraten für Narkolepsie werden nach Alter, Geschlecht, Kalenderjahr und Monat berechnet. Mithilfe von Zeitreihenanalysen (interrupted time series analyses) werden Unterschiede zwischen den drei Perioden (präpandemisch, pandemisch und postpandemisch) untersucht.
Literatur
[3] Berner R et al.: Erhebungseinheit für seltene pädiatrische Erkrankungen in Deutschland (ESPED). Monatsschr Kinderheilk. 2004;152:7779
[4] Handwerker G: Narkolepsie im Kindes- und Jugendalter. Monatsschr Kinderheilk. 2005; 2:153
[5] Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie; AWMF-Leitlinien-Register Nr. 030/056: "Narkolepsie"
[6] Kawashima M et al.: Genomewide Association Analysis of Human Narcolepsy and a New Resistance Gene. Am J Hum Genet. 2006 August; 79(2): 252–263
[7] Smith AJ et al.: A functional autoantibody in narcolepsy. Lancet. 2004;364(9451):2122-2124
[8] Fontana A: Narcolepsy: autoimmunity, effector T cell activation due to infection, or T cell independent, major histocompatibility complex class II induced neuronal loss? Brain. 2010;133(Pt 5):1300-1311
[9] Longstreth WT et al.: The Epidemiology of Narcolepsy. Sleep. 2007;30:13-26
[10] National Institute for Health and Welfare: Increased risk of narcolepsy observed among children and adolescents vaccinated with Pandemrix
[11] Mitteilung der Schwedischen Arzneimittelagentur Läkemedelsverket vom 29.03.2011
Quelle: Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft (AKdÄ), 19.05.2011 (tB).