DGIIN: „Wirtschaftlicher Druck darf Patientenversorgung nicht gefährden“

Intensiv- und Notfallmediziner schlagen neue Krankenhausfinanzierung vor

 

Berlin (20. November 2019) – Das derzeitige Abrechnungssystem nach Fallpauschalen führt nach Ansicht der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin e.V. (DGIIN) zu ökonomischen Fehlanreizen in den Krankenhäusern, welche die Versorgungsqualität beinträchtigen und einer konstruktiven Weiterentwicklung unseres Gesundheitssystems im Wege stehen. Experten der DGIIN haben deshalb Vorschläge erarbeitet, wie das Finanzierungssystem verändert werden könnte, um Fehlentwicklungen der vergangenen Jahrzehnte zu korrigieren.

„Der Personalmangel, insbesondere auch im Bereich der Pflege und der zunehmende Kostendruck beeinträchtigen den Klinikalltag massiv. Es besteht dringender Handlungsbedarf, unsere Krankenhausversorgung für die Zukunft auf sichere Beine zu stellen“, sagt Professor Dr. med. Reimer Riessen, Past-Präsident der DGIIN und leitender Oberarzt der Internistischen Intensivstation des Universitätsklinikums Tübingen. In einem gemeinsam mit einer Gruppe von Intensiv- und Notfallmedizinern, Medizincontrollern und Vertretern der Pflege verfassten aktuellen Diskussionspapier macht die DGIIN deshalb Vorschläge für eine Reform der Krankenhausfinanzierung in Deutschland. Dazu gehört auch eine Umstrukturierung der Kliniklandschaft: „Systemrelevante“ Allgemeinkrankenhäuser, die mit Intensivstationen und Notaufnahmen an der Akut- und Notfallversorgung teilnehmen und mit den dafür notwendigen Fachabteilungen ein breites Spektrum komplexer Patienten interdisziplinär versorgen, sollen Bestandteil der Daseinsfürsorge sein und so in der Krankenhausplanung eine besondere Stellung zugewiesen bekommen. „Dazu braucht es kompetent zusammengesetzte und entscheidungsbefugte Gremien, die auf regionaler und überregionaler Ebene eine solche versorgungsorientierte Krankenhausplanung erstellen“, so Riessen.

Der Personalmangel in der Pflege und die Einführung von Pflegeuntergrenzen führt zunehmend dazu, dass gerade an diesen besonders wichtigen Kliniken nicht mehr alle vorhandenen Betten belegt werden können. „Deshalb fordern wir, für die Ermittlung des Personalbedarfs geeignete Instrumente einzusetzen, die auch den Bedarf auf Intensiv- und Notfallstationen adäquat berücksichtigen“, so Riessen. Als Beispiel könnte hier das am Universitätsklinikum Heidelberg entwickelte System INtensivPflege Und LeistungserfassungSsystem (INPULS®) herangezogen werden. Dieses System erfasst alle relevanten Aspekte des intensivmedizinischen Pflegeaufwandes, woraus dann ein Pflegeschlüssel berechnet werden kann. Ähnliche Systeme sollten für andere Bereiche und Berufsgruppen entwickelt und angewendet werden, um dann eine der Grundlagen für ein weiterentwickeltes Krankenhausfinanzierungssystem darzustellen, das einige von der Gesundheitspolitik bereits angestoßene Initiativen zusammenbringt und zu einem stimmigen Gesamtkonzept weiterführt:

 

DRG-Fallpauschalen

Die bisherigen DRG-Fallpauschalen sollen nach Ansicht der Experten zukünftig nur noch die Sachkosten einer klinischen Behandlung vergüten, die beispielsweise für Diagnostik, Medikamente, Verbrauchsmaterialien oder Implantate anfallen. So wird sichergestellt, dass auch in Zukunft die im Krankenhaus erbrachten Leistungen transparent dargestellt und kostendeckend vergütet werden. Durch die gesonderte Erstattung von Sachleistungen lohnt sich jedoch eine Fallzahlsteigerung oder die Bevorzugung besonders kostspieliger Therapien aus finanziellen Gründen nicht mehr“, erläutert Riessen.

 

Personalbudget

Die Personalkosten werden im Finanzierungskonzept durch ein eigenes Personalbudget für jedes Krankenhaus abgedeckt. „Dieses Geld darf nur zweckgebunden für tatsächlich vorhandenes Personal ausgegeben werden. Somit gibt es keine Anreize mehr, Personal einzusparen, um wirtschaftliche Vorteile zu erzielen“, so der Experte. Bei Zusammenlegungen von Krankenhäusern könnten die entsprechenden Personalbudgets zusammenfließen.

 

Infrastrukturbudget

Analog zu den Personalkosten ist ein Budget für Infrastrukturkosten wie Informationstechnologie (IT), Energie oder Instandhaltung geplant. „Dieses Geld kann bei Bedarf, beispielsweise bei steigenden Energiekosten, direkt angepasst werden“, sagt Riessen. Kommt es zur Zusammenlegung von Kliniken, werden finanzielle Ressourcen aus der Infrastruktur frei. Diese können beispielsweise für Investitionen an den verbleibenden Standorten eingesetzt werden.

 

Investitionsbudget

Ebenfalls einen eigenen Etat soll es für die an vielen Kliniken dringend notwendigen Investitionen geben. „Diese Mittel sollen im Rahmen einer zukunfts-, versorgungs- und bedarfsorientierten Krankenhausplanung gezielt an die Kliniken gehen, die als systemrelevant eingestuft sind“, so Riessen. Wichtige Investitionsbereiche seien beispielsweise die IT-Infrastruktur und der Aufbau von interdisziplinären Notfallzentren.

 

Qualitätszuschläge

Es müssen Ziele der Qualitätssicherung definiert und festgelegt werden. Nach dem Finanzierungsmodell der DGIIN erhalten Krankenhäuser Bonuszahlungen, wenn sie diese Ziele erreichen. Die Höhe richtet sich nach einem bestimmten Prozentsatz des Basisbudgets. Gleichzeitig können bei deutlichen Qualitätsmängeln Gegenmaßnahmen definiert werden, welche das Krankenhaus umsetzen muss.

Ergänzt werden sollte dieses System nach Ansicht der Experten durch Fachkliniken zur Weiterversorgung geriatrischer Patienten, spezialisierte Fachkliniken, die häufige operative oder interventionelle Eingriffe auf qualitativ hohem Niveau anbieten sowie ambulante Einrichtungen. Diese sollen die systemrelevanten Allgemeinkrankenhäuser entlasten.

„Wenn unser Finanzierungskonzept die Zustimmung der im Gesundheitswesen Beteiligten findet, wird es gelingen, die Gesundheitsversorgung nachhaltig zu verbessern. Und das ohne dabei die Solidargemeinschaft durch finanzielle Mehraufwendungen zu belasten“, fasst Riessen zusammen.

 

 


Quelle: Deutsche Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin, 20.112019 (tB).

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