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Neue Therapieoptionen zur Behandlung von akuten Migräneanfällen

 

Stuttgart (27. September 2019) — Das Therapiespektrum hat sich für Patientinnen und Patienten mit Migräne in den vergangenen Jahren deutlich erweitert. Neue Antikörper helfen, Migräneanfälle effektiv zu verhindern bzw. die Anfallshäufigkeit zu reduzieren. Kommt es aber dennoch zu einem schweren Anfall, standen bislang nur Triptane zur Verfügung, um Anfallsdauer und -intensität zu mindern. Ein Problem, denn aufgrund ihrer gefäßverengenden Wirkung, dürfen Triptane von vielen Patienten nicht eingenommen werden. Neue Substanzen bieten nun auch endlich diesen Menschen, bei denen die Einnahme von Triptanen kontraindiziert ist, eine Therapieoption.

Für die Behandlung von Migräneattacken stehen für leichte bis mittelschwere Attacken Schmerzmittel wie Acetylsalicylsäure und Paracetamol und nichtsteroidale Antirheumatika zur Verfügung. Patienten, die auf diese Therapie nicht ansprechen bzw. unter schweren Migräneattacken leiden, bei denen sie nicht wirken, werden mit Triptanen behandelt [1].

 

Akuttherapie: Triptane sind sehr effektiv, aber bei einigen Patienten kontraindiziert!

Triptane sind sehr gut wirksam und können, wenn sie rechtzeitig zu Beginn eines Migräneanfalls eingenommen werden, Schmerzstärke und Anfallsdauer deutlich reduzieren. Sie sind somit für viele Betroffene ein Segen und haben sich seit Jahren und Jahrzehnten im klinischen Alltag bewährt. Obwohl sie generell sehr nebenwirkungsarm sind, haben sie jedoch eine Eigenschaft, die es einigen Patienten verbietet, sie einzunehmen: Triptane binden an den sogenannten 5-HT1-Rezeptoren wodurch sie die „Schmerzreizweiterleitung“ (sogenannte Hemmung der nozizeptiven Transmission) unterbinden und darüber hinaus die Ausschüttung von entzündungsfördernden Neuropeptiden vermindert, was ebenfalls zur Schmerzhemmung beiträgt. Allerdings wirken sie aber auch vasokonstriktiv, also gefäßverengend. Das ist der Grund, warum Triptane bei verschiedenen Patientengruppen kontraindiziert sind, u.a. wenn schwerwiegende vaskuläre Erkrankungen wie Angina pectoris oder auch verschiedene vaskuläre Risikofaktoren vorliegen und natürlich auch bei Patienten, die bereits einen Herzinfarkt, Schlaganfall oder einen sogenannten „Mini-Schlaganfall“ (TIA) erlitten haben. Bei ihnen kann die Einnahme von Triptanen regelrecht lebensgefährlich werden.

 

Neue Optionen

Da Menschen mit Migräne, die auch zu dieser Patientengruppe gehören, bislang keine wirksamen Therapieoptionen hatten, bestand die Notwendigkeit, neue Medikamente zur Akuttherapie der Migräne zu entwickeln, die keine vasokonstriktiven Eigenschaften haben. Zwei Substanzklassen wurden entwickelt und befinden sich in der klinischen Prüfung, die sogenannte Gruppe der „Ditane“ und der „Gepante“.

Zur ersten Gruppe gehört Lasmiditan. Wie ein Triptan ist auch diese Substanz ein Agonist am Serotonin 5 HT1F-Rezeptor, hat aber im Gegensatz zu dieser herkömmlichen Wirkstoffklasse keine vasokonstriktiven Eigenschaften [2]. In zwei großen Phase-3-Studien war Lasmiditan besser wirksamer in der Akuttherapie eines Migräneanfalls als Placebo [3, 4]. Die Substanz hat allerdings unangenehme zentrale Nebenwirkungen wie Benommenheitsmüdigkeit und Schwindel, die den praktischen Einsatz einschränken. Der Indikationsbereich für Lasmiditan wird sich daher sehr wahrscheinlich auf Patienten beschränken, die Kontraindikation für die Einnahme von Triptanen haben.

Der zweite neue Ansatz zur Therapie der Migräneattacke sind kleine Moleküle, die als Antagonisten am CGRP Rezeptor wirken, die sogenannte „Gepante“. In größeren randomisierten, Placebo-kontrollierten Studien zur Behandlung akuter Migräneattacken wurden Ubrogepant [5] und Rimegepant [6, 7] untersucht. Beide sind wirksamer als Placebo und haben im Gegensatz zu Lasmiditan nur geringe Nebenwirkungen.

Auch wenn direkte Vergleichsstudien mit Triptanen bisher nicht vorliegen, ist festzuhalten, dass sowohl Lasmiditan als auch die CGRP-Rezeptorantagonisten weniger wirksam zu sein scheinen als Triptane. „Aber dennoch sind sie für Patienten mit schwerer Migräne, bei denen Triptane kontraindiziert sind, eine lang ersehnte und wichtige Therapieoption. Man darf nicht vergessen, dass es für diese Patienten bislang gar keine Akuttherapie der Migräne gab. Jeder, der weiß, wie schmerzhaft und stark beeinträchtigend ein schwerer Migräneanfall sein kann, wird verstehen, dass in dieser Situation auch Therapien, die etwas weniger wirksam als erhofft sind, die Lebensqualität deutlich steigern können“, erklärt Professor Dr. Hans-Christoph Diener, Pressesprecher der DGN.

 

Literatur

  1. Diener H-C, Gaul C, Kropp P, et al. Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne, S1-Leitlinie [https://www.dgn.org/leitlinien]. Deutsche Gesellschaft für Neurologie; 2018 [
  2. Nelson DL, Phebus LA, Johnson KW, Wainscott DB, Cohen ML, Calligaro DO, et al. Preclinical pharmacological profile of the selective 5-HT1F receptor agonist lasmiditan. Cephalalgia. 2010;30(10):1159-69.
  3. Goadsby PJ, Wietecha LA, Dennehy EB, Kuca B, Case MG, Aurora SK, et al. Phase 3 randomized, placebo-controlled, double-blind study of lasmiditan for acute treatment of migraine. Brain. 2019.
  4. Kuca B, Silberstein SD, Wietecha L, Berg PH, Dozier G, Lipton RB. Lasmiditan is an effective acute treatment for migraine. A phase 3 randomized study. 2018;91(24):e2222-e32.
  5. Voss T, Lipton RB, Dodick DW, Dupre N, Ge JY, Bachman R, et al. A phase IIb randomized, double-blind, placebo-controlled trial of ubrogepant for the acute treatment of migraine. Cephalalgia. 2016;36(9):887-98.
  6. Croop R, Goadsby PJ, Stock DA, Conway CM, Forshaw M, Stock EG, et al. Efficacy, safety, and tolerability of rimegepant orally disintegrating tablet for the acute treatment of migraine: a randomised, phase 3, double-blind, placebo-controlled trial. Lancet. 2019.
  7. Lipton RB, Croop R, Stock EG, Stock DA, Morris BA, Frost M, et al. Rimegepant, an Oral Calcitonin Gene-Related Peptide Receptor Antagonist, for Migraine. The New England journal of medicine. 2019;381(2):142-9.

 

Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN)

sieht sich als neurologische Fachgesellschaft in der gesellschaftlichen Verantwortung, mit ihren über 9900 Mitgliedern die neurologische Krankenversorgung in Deutschland zu sichern. Dafür fördert die DGN Wissenschaft und Forschung sowie Lehre, Fort- und Weiterbildung in der Neurologie. Sie beteiligt sich an der gesundheitspolitischen Diskussion. Die DGN wurde im Jahr 1907 in Dresden gegründet. Sitz der Geschäftsstelle ist Berlin.

www.dgn.org

 

Weitere Informationen

 


Quelle: Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V., 27.09.2019 (tB).

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