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Corona-Krisenmanagement muss Schutz der psychischen Gesundheit umfassen

 

Berlin (27. Mai 2020) — Menschen sind soziale Wesen. Das Leben in Gemeinschaft ist entscheidend für Wohlbefinden, Gesundheit und sogar für das Überleben. Sowohl Kontaktsperren als auch Quarantänemaßnahmen bedeuten soziale Isolierung und haben negative psychosoziale Folgen. Ein verantwortungsvolles Krisenmanagement muss deshalb neben Maßnahmen des Infektionsschutzes auch Maßnahmen zum Schutz der psychischen Gesundheit umfassen.

 

Menschen sind soziale Wesen

Sowohl die bevölkerungsweiten Verordnungen zur Einschränkung der räumlichen Nähe zu anderen Personen als auch die Quarantänemaßnahmen im engeren Sinne sind unweigerlich mit einer sozialen Isolierung verbunden. Mit diesen Maßnahmen verfolgt die Bundesregierung das Ziel, die Ausbreitung von COVID-19 zu verlangsamen, um die COVID-19-Krankheitslast in der Bevölkerung zu reduzieren und eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern. Gleichzeitig können diese einschneidenden Maßnahmen auch die Gesundheit, insbesondere die psychische Gesundheit der Menschen gefährden. Menschen sind soziale Wesen. Das Leben in Gemeinschaft und die Beziehung ist entscheidend für Wohlbefinden, Gesundheit und sogar das Überleben. Deshalb ist soziale Unterstützung bei der Bewältigung schwieriger Zeiten besonders wichtig.

 

Isolations- und Quarantänemaßnahmen haben negative psychosoziale Folgen

Wissenschaftliche Studien belegen konsistent negative psychosoziale Folgen von Isolations- und Quarantänemaßnahmen bei früheren Ausbrüchen von Infektionserkrankungen wie der SARS-Pandemie und lokalen MERS-CoV-Ausbrüchen. Sowohl bei gesunden als auch insbesondere bei Menschen mit psychischen Vorerkrankungen stellten sich Depressivität, Ängstlichkeit, Wut, Stresserleben, Schlafstörungen, Sorgen, Einsamkeit und ein verstärktes Stigmatisierungserleben ein. Erhöhte psychosoziale Belastungen traten bereits während der Isolations- und Quarantänemaßnahmen auf und ließen sich auch noch Monate und gar Jahre danach nachweisen. Längerfristig bestanden insbesondere depressive und posttraumatische Belastungssymptome. Menschen mit psychischen Vorerkrankungen sind besonders vulnerabel für psychische Belastungen im Zusammenhang mit Isolationsmaßnahmen. Es hat sich gezeigt, dass klare Informationen und soziale Unterstützung die Folgen teilweise abmildern können.

 

Corona-Krisenmanagement muss Schutz der psychischen Gesundheit umfassen

Aus Sicht der DGPPN bedarf es deshalb eines umfassenden psychosozialen Krisenmanagements, das in eine übergeordnete Public-Health-Strategie einzubetten ist. Dies umfasst

  • allgemeine Initiativen zum Erhalt und zur Förderung der psychischen Gesundheit der Bevölkerung und
  • inbesondere Maßnahmen für Menschen mit psychischen Vorerkrankungen und für Menschen in akuten psychischen Krisen.

Zu den allgemeinen Initiativen zählen Informations- und Aufklärungsangebote sowie Präventions- und Interventionsansätze zur Reduktion der psychosozialen Folgen bereits während und nach der Pandemie. Dies beinhaltet die Förderung von Gesundheit und Resilienz durch einen entsprechenden Lebensstil, zum Beispiel durch Tagesstrukturierung, Bewegungserhalt, gesunde Ernährung und maßvollen Umgang mit Alkohol sowie Schlafhygiene. Zum anderen verdient der Erhalt der sozialen Beziehungen besondere Aufmerksamkeit. Moderne technische Kommunikationsmöglichkeiten sollten hier ausgeschöpft werden. Zudem sind psychotherapeutische Unterstützungsangebote zum Stress-Management, zur Förderung positiver Aktivitäten (z. B. Kreativität/Musikalität, Sport und Bewegung, Genuss), der Selbstwirksamkeit und zur Schulung der Entspannungsfähigkeit wichtige Ressourcen. Der e-Health-Sektor bietet dafür z. T. kostenfreie Möglichkeiten über App- und onlinebasierte Angebote.

Für Personen mit psychischen Vorerkrankungen und klinisch manifester Belastung muss auch während der Pandemie der Zugang zu einer gestuften Versorgung flächendeckend gewährleistet werden. Das umfasst Angebote von der niedrigschwelligen Beratung bis zur psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung. Dies muss kommuniziert werden, da die Gefahr besteht, das Betroffene nicht rechtzeitig Hilfe suchen. Obgleich telefonische Beratung, entsprechende Krisen-Hotlines und Telefon- und Videosprechstunden eine wichtige Rolle spielen, bedarf es auch weiterhin persönlicher Kontaktmöglichkeiten unter entsprechendem Schutz. Besondere Beachtung sollten auch die Bedarfe und möglichen Belastungen von Angehörigen von vulnerablen und belasteten Personengruppen finden (z. B. pflegende Angehörige von Demenzkranken).

 

Weiterführende Forschung ist dringend notwendig

Obwohl negative Folgen von Isolations- und Quarantänemaßnahmen gut belegt sind, bleiben noch viele Forschungsfragen offen. Dringender Forschungsbedarf besteht zu den psychosozialen Folgen von Isolations- und Quarantänemaßnahmen für ältere und hochbetagte Menschen. Zudem ist wenig darüber bekannt, wie sich soziale Ungleichheit unter Pandemiebedingungen weiter verschärft. Wir müssen besser verstehen, welche Faktoren (wie z.B. Optimismus, Selbstwirksamkeit, soziale Netzwerke, oder auch genetische Einflüsse) die individuelle Resilienz der Betroffenen in der Pandemiesituation verbessern oder vermindern. Auch zu bestimmten psychischen Aspekten, wie dem Auftreten von Psychosen, Somatisierung, Suizidalität, Substanzmissbrauch und dem möglicherweise vermehrten Auftreten nicht stoffgebundener Süchte (zum Beispiel Computerspielsucht) wie auch zu Veränderungen im Sozialverhalten (Aggressivität und Reizbarkeit) liegen bisher zu wenige Erkenntnisse vor. Dazu ist dringend weitere Forschung erforderlich.

 

 

Die DGPPN ist Mitglied im Kompetenznetz Public Health zu COVID-19, einem Ad-hoc-Zusammenschluss von über 25 wissenschaftlichen Fachgesellschaften aus dem Bereich Public Health, die ihre methodische, epidemiologische, statistische, sozialwissenschaftliche und (bevölkerungs-)medizinische Fachkenntnis bündeln. Gemeinsam vertreten sie mehrere Tausend Wissenschaftler*innen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. www.public-health-covid19.de

 

 


Quelle: Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V. (DGPPN), 27.05.2020 (tB).

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