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Auftaktveranstaltung „Woche des Hörens 2007“
Die psychische Dimension des Hörens
Von Prof. Dr. med. Claudia Spahn, Universitätsklinikum Freiburg, Freiburger Institut für Musikermedizin
Hamburg (14. September 2007) – Der Hörsinn ist der erste Sinn des Menschen in der embryonalen Entwicklung: Ab etwa der 20. Schwangerschaftswoche reagiert der Fötus im Mutterleib auf akustische Reize. In der Evolution hatte der Hörsinn die wichtige Aufgabe, Gefahrenquellen in der Umgebung zu identifizieren. Aus dieser lebensentscheidenden Funktion erklärt sich, dass die Hörwahrnehmung nicht abgeschaltet werden kann, Hören also permanent stattfindet. Im Unterschied zu anderen Sinneswahrnehmungen, zum Beispiel dem Sehen, sind wir unseren Höreindrücken ständig ausgesetzt und können dies nur dadurch beeinflussen, dass wir bestimmte Orte meiden oder unseren Ohren durch Kopfhörer selbst gewählte akustische Produkte anbieten und Umgebungsreize weitgehend auszuschalten versuchen.
Hören ist der zentrale menschliche Sinn für Kommunikation und damit unverzichtbar für den Austausch mit anderen Menschen. Aus diesem Grund ist Hören unmittelbar mit psychosozialen Vorgängen verbunden.
Um der Frage, was das Hören für uns bedeutet, auf den Grund zu gehen, hat die Fördergemeinschaft Gutes Hören eine psychologische Wirkungsanalyse in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse hier vorgestellt werden. Interessant an dieser Studie ist der qualitative Zugang, der es ermöglicht, auch tieferliegende, unbewusste Strukturen im Umgang mit dem Hören zu beleuchten. Diese Einsichten sind durch quantitative Untersuchungen sehr viel schwerer zu gewinnen, da dort in der Regel vorstrukturierte Fragebögen zum Einsatz kommen. Die Form des offenen Interviews – wie es in der vorliegenden Studie verwendet wurde – erlaubt es dagegen, von den Befragten ihre individuellen Gefühle und Einstellungen zu erfahren. Das Interviewmaterial wurde im Rahmen der psychoanalytischen Theorietradition interpretiert. Die psychoanalytische Theorie geht davon aus, dass menschliche Einstellungen und Verhaltensweisen auch Ausdruck nicht bewusster, zwiespältiger menschlicher Grundbedürfnisse sind.
Selbstbestimmung/Kontrollierbarkeit und Sich Anvertrauen/Ausgeliefertsein sind gegensätzliche menschliche Grundtendenzen, die gerade im Umgang mit dem Hören – nach den Ergebnissen der Studie – eine zentrale Rolle spielen. So wurden Hören und Hörminderung häufig mit Passivität und Ausgeliefertsein assoziiert und als unangenehm wahrgenommen. Bei einer Hörminderung treten deshalb typische psychologische Mechanismen auf, welche zunächst darauf abzielen, die Höreinschränkung zu ignorieren. Dies wird verstärkt durch den gesellschaftlichen „common sense“, dass kommunikative Fitness Selbstbestimmung erfordert. Hörsysteme können als Chance zur Selbstbestimmung wahrgenommen werden: Sie ermöglichen es, trotz nachlassender Hörfähigkeit, die für die psychische Integrität unverzichtbare zwischenmenschliche Kommunikation aufrechtzuerhalten. Die Studie zeigt, dass der Wunsch nach Selbstbestimmung einen enormen Stellenwert in unserer heutigen Gesellschaft hat. Hörsysteme schaffen eine Voraussetzung dafür, weiterhin ein selbstbestimmtes Leben zu führen.
Der rasante technische Fortschritt, der in der Hörgerätetechnologie in den letzten Jahren zu verzeichnen ist, kann wesentlich dazu beitragen, dass die Akzeptanz der Hörsysteme bei den Betroffenen steigt. Die Ergebnisse der Studie zeigen ebenfalls, dass Menschen eine vielschichtige Beziehung zum Hören haben und dass das Organsystem Ohr schamhaft besetzt sein kann. Ärzte und Hörgeräte-Akustiker sollten sich deshalb grundsätzlich darüber im Klaren sein, dass mit dem Hörvorgang komplexe psychische Vorgänge verbunden sein können, welche den Zugang zum Hörgerät erschweren.
Eine praktische Konsequenz aus den Studienergebnissen für Ärzte und Hörgeräte-Akustiker im Umgang mit dem Patienten und Kunden könnte sein, ein besonderes Augenmerk auf den Übergang von der Passivität in die Selbstbestimmung durch das Hörsystem zu richten.