DPR

Pflegekammern im Halbfinale

 

Berlin (6. Juli 2012) – In Rheinland-Pfalz und in Schleswig-Holstein haben Initiativen zur Errichtung von Pflegekammern es in die nächste Runde geschafft. Beide Landesregierungen wollen Pflegekammern errichten – wenn die Pflegenden selber es mit Mehrheit wollen.

Mit zunehmender Wahrscheinlichkeit einer Kammergründung rüsten auch die Gegner auf. Vor und hinter den Kulissen wird mit allen Mitteln versucht zu bremsen. Wahrscheinlich haben die einen Angst vor einem Machtzuwachs für die Pflegeberufe und die anderen vor Mitgliederschwund. Das würde natürlich keiner zugeben.

 

Es geht vordergründig immer um Grundrechte und deren drohende unerträgliche Beeinträchtigung. Übersehen wird dabei, dass das Verfassungsgericht enge Grenzen für die Einrichtung einer Selbstverwaltung mit Pflichtmitgliedschaft gesteckt hat. Der angesehene Sozialrechtler Prof. Gerhard Igl hat in seinem Gutachten für den DPR (Igl, 2008) deutlich gemacht, dass es keinen juristischen Hinderungsgrund für Pflegekammern gibt.

Hier ein paar Stilblüten aus den Argumenten der Gegner einer Pflegekammer (kursiv) und jeweils eine direkte Entgegnung:

 

  • Die Initiative sei eine Idee von Verbandsfunktionären oder Leuten aus der Verwaltung.
    Tatsächlich wird die Forderung einer Kammergründung seit fast 20 Jahren von Einzelpersonen und Berufsverbänden verfolgt. In den Berufsverbänden sind diese Positionen demokratisch durch Entscheidungen in den Gremien legitimiert!

  • Kammern seien undemokratisch.
    Kammern versammeln alle Mitglieder einer Berufsgruppe. Diese wählen ihre Vertreter in den Gremien. Wahlen sind ein demokratischen Grundprinzip.

  • Die Kammermitglieder hätten keine nennenswerten Vorteile, müssen dafür auch noch Geld bezahlen.
    Kammern bieten sicher keine unmittelbaren Vorteile, wie z.B. ein Berufsverband. Aber sie tragen mittelbar zum Ansehen des Berufes bei und regulieren die pflegerische Berufspraxis und die Weiterbildung. Das schafft Klarheit und setzt Maßstäbe, die sich sehr wohl positiv auf die Arbeitsbedingungen auswirken.

  • Die Berufsaufsicht würde missbraucht, um die angestellten Berufsangehörigen unter Druck zu setzen.
    Ein klassisches Killerargument. Wenn ich gegen etwas bin, verbreite ich die diffuse Behauptung, dadurch könnte Missbrauch betrieben werden. Das gilt für alles im Leben. Heute gibt es bei ‚Missbrauch‘ etablierte Verfahren zum Schutz von Arbeitnehmern und es käme mit der Kammer eine weitere Institution hinzu, die bestimmte Arten von Missbrauch (z.B. Übertragung von berufsfremden Aufgaben) verhindern kann. Ansonsten gilt, was zum Prinzip der Selbstverwaltung gesagt wurde.

  • Die Kammer wird wie eine Arbeitgeberorganisation betrachtet – und damit als Gegner.
    Hier wird verkannt, dass die Kammer aus der Berufsgruppe selbst entsteht und diese repräsentiert. Ihr Auftrag ist der Schutz der Öffentlichkeit vor schlechter Pflegepraxis. Es kann doch niemand in der Berufsgruppe ernsthaft wollen, dass jemand die/der für den Beruf nicht qualifiziert ist, weiter praktizieren darf. Zu Versorgungsproblemen, die durch schlechte Rahmenbedingungen entstehen und für die die Träger verantwortlich sind, kann eine Kammer wesentlich besser Einfluss nehmen als das bisherige Interessenvertretungen dies können. Warum ist wohl die Ärzteschaft die dominierende Berufsgruppe im Gesundheitswesen?

  • Die Kammer würde Einkommensteuerdaten erhalten.
    Es ist noch nicht einmal klar, welche Gebühren und wie strukturiert diese erhoben werden. Man kann darauf vertrauen, dass Datenschutzbestimmungen eingehalten werden.

  • Es werde Klagen gegen die Pflichtmitgliedschaft geben.
    Interessanterweise haben schon Arbeitgebervertreter hier Unterstützung für klagende Mitarbeiter angekündigt – ein Schelm wer Böses dabei denkt. Nach der Gründung von Psychotherapeutenkammern vor 10 Jahren gab es auch eine Reihe von Klagen – alle erfolglos!

 

Man kann Kammern durchaus als nicht optimale Lösung ansehen. Es wäre möglicherweise besser, alle Kammern im Gesundheitswesen abzuschaffen und stattdessen …? Tja, das sind die unlösbaren Probleme: Keine Regierung hat genügend Macht, um die bestehenden Kammern abzuschaffen – und wollen wir wirklich die Alternative, dass Politik alleine alles regelt? Oder noch schlimmer, Arbeitgeber und Arbeitnehmervertreter verhandeln das Gesundheitssystem und dessen Qualität?

Wenn die Pflegeberufe eine Rolle im System spielen wollen und dadurch die pflegerische Perspektive in die Gestaltung des Gesundheits- und Pflegewesens maßgeblich einfließen soll, geht es nicht ohne Kammern. Die Befürworter von Pflegekammern sind davon überzeugt, dass damit die Versorgung besser wird und es auch den Pflegenden besser gehen wird.

 


 

Quelle: Deutscher Pflegerat (DPR), 06.07.2012 (tB).

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