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ENS 2013
Personalisierte Therapie von Multiple Sklerose entscheidet über Behandlungserfolg
Barcelona, Spanien (10. Juni 2013) – Trotz zahlreicher neuer Behandlungsoptionen lässt sich Multiple Sklerose immer noch schwer in den Griff bekommen. Experten/-innen forderten beim Kongress der Europäischen Neurologengesellschaft in Barcelona massive Anstrengungen in der Pharmakogenetik, um Erfolg und Nebenwirkungen von Medikamenten individuell vorhersagbar zu machen. In neuen MS-Behandlungsrichtlinien wird auf patientenzentrierte Faktoren für Behandlungserfolge ein besonderer Schwerpunkt gelegt.
„Auch wenn uns mit der bevorstehenden Zulassung neuer Medikamente gegen Multiple Sklerose eine Reihe zusätzlicher Behandlungsoptionen zur Verfügung stehen, dürfen wir eines nicht aus den Augen verlieren: Die Krankheit ist nur dann gut in den Griff zu bekommen, wenn wir es schaffen, eine personalisierte, für den Einzelnen maßgeschneiderte Therapie anzubieten und Wirkungen und Nebenwirkungen eines Medikaments vorauszusagen. Leider stecken wir diesbezüglich immer noch in den Kinderschuhen“, sagte Prof. Dr. Xavier Montalban (MS-Zentrum Katalonien, Barcelona), beim 23. Meeting der Europäischen Neurologengesellschaft (ENS) in Barcelona, wo derzeit mehr als 3.000 Experten/-innen aktuelle Entwicklungen des Fachgebietes diskutieren. Prof. Montalban forderte mehr pharmakologische Forschung im Bereich der Biomarker und eine engere Zusammenarbeit mit den Patienten/-innen, um die Therapie zu optimieren. Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des Zentralnervensystems, die sich durch eine hohes Maß an Heterogenität auszeichnet: Klinischer Verlauf oder Schweregrad können von Person zu Person stark variieren. Inzwischen ist bekannt, dass bei ein- und derselben Behandlung höchst unterschiedliche Therapieerfolge erzielt werden können. „Trotz des bekannten Problems war personalisierte Therapie lange kein Thema – nicht zuletzt durch den Mangel an Möglichkeiten. Das dürfte sich aber in nächster Zeit ändern“, so Prof. Montalban.
Hochwirksame Medikamente, aber viele Risiken
„One drug fits all“ – ein Medikament für alle: Diese Herangehensweise hat in der Multiple-Sklerose-Therapie endgültig ausgedient. „Augenblicklich etablieren sich viele neue Behandlungsmöglichkeiten, es gibt berechtigte Hoffnung, dass wir künftig Betroffenen besser und schneller helfen können. 120 Jahre lang kannte wir die Krankheit, ohne sie behandeln zu können. 15 Jahren lang standen uns Medikamente ohne nennenswerte Nebenwirkungen zur Verfügung, die aber nur begrenzt wirksam waren“, so Prof. Montalban. Inzwischen gibt eine Reihe hochwirksamer Medikamente, die allerdings auch zahlreiche Risiken bergen – vom Haarausfall über Bradykardie bis zur Progressiven Multifokalen Leukenzephalopathie (PML), einer gefährlichen Virusinfektion aufgrund der immunsuppressiven Wirkung mancher Medikamente, die auch tödlich enden kann. „Inzwischen konnte ein Test entwickelt werden, mit dem sich die Wahrscheinlichkeit ermitteln lässt, mit der Patienten/-innen PML bekommen. Das ist ein erfreulicher Schritt in die richtige Richtung. Zunehmend kristallisieren sich die genetischen Ursachen für die unterschiedliche Wirksamkeit einzelner Medikamente heraus“, berichtete Prof. Montalban. Auf Interferon ?, das erste krankheitsmodifizierende Medikament, das zugelassen wurde, sprechen je nach erhobenen Kriterien 20 bis 55 Prozent der Patienten/-innen nicht an. Das hat in der Wissenschaft zu großen Anstrengungen geführt, Biomarker zu finden, die verlässlich Behandlungserfolg und Nebenwirkungen anzeigen. „Derzeit halten wir bei 100 möglichen Biomarkern ohne klarer Tendenz, was zeigt, wie komplex sich die MS-Forschung gestaltet und wie weit wir noch von einer personalisierten Medizin entfernt sind“, berichtete Prof. Montalban.
Gefährlich: Therapiewechsel oder Therapieabbruch
Durch ein Mehr an pharmakogenetischen Erkenntnissen wäre man unter Umständen auch in der Lage, die Konsequenzen einer Therapieumstellung zu prognostizieren. Auch hier liegt noch vieles im Dunklen, zum Schaden der Betroffenen. Wie problematisch sich ein Therapieumstieg auswirken kann, zeigt beispielsweise eine katalonische Studie, die beim ENS Kongress vorgestellt wurde: Die sieben Studienteilnehmer/-innen wurden nach rund fünf Jahren Krankheit auf das hochwirksame krankheitsmodifizierende Natalizumab eingestellt, weil die vorhergehende Behandlung versagt hatte. Für den Durchschnittszeitraum von rund 2,5 Jahren, in dem sie dieses Präparat nahmen, blieb ihr Gesundheitszustand stabil. Dann mussten sie aus verschiedenen Gründen wie PML-Risiko, Schwangerschaft oder allergischen Reaktionen auf andere, schwächere Medikamente umgestellt werden. Trotz der alternativen Medikation verschlechterte sich der neurologische Zustand der Betroffenen rapide. Nach rund drei Monaten zeigten sich bei vier von sieben Probanden/-innen neue Läsionen, bei zwei konnten sogar 40 neue Verletzungen des Zentralnervensystems festgestellt werden. Nur elf Monate später waren bei allen Patienten/-innen 40 bis 70 neue Läsionen zu sehen. „Wenn Medikamente wie Natalizumab abgesetzt werden, kann es zu desaströsen Rückfällen kommen, bei denen die Krankheit mit gesteigerter Aggressivität zurückkehrt. Wir müssen daher dringend an Strategien arbeiten, um für mehr Kontinuität zu sorgen. Diese gehen über Pharmakogenetik hinaus und erfordern ein ganzheitliches Behandlungskonzept“, so Prof. Montalban.
Neue Behandlungsleitlinien berücksichtigen individuelle Faktoren
Unter seiner Ägide werden derzeit evidenzbasierte Behandlungsleitlinien zur MS-Therapie aktualisiert und mit Unterstützung zahlreicher nationaler Fachgesellschaften grundlegend überarbeitet. Dabei wird nicht nur auf die vielen pharmakologischen Innovationen eingegangen, wie etwa orale Therapien oder Medikamente, die auf Basis von monoklonalen Antikörpern wirken. Sie legen auch einen besonderen Fokus auf die vielen individuellen Faktoren, die eine Therapie personalisieren und damit erfolgreicher machen: Dazu gehört zum einen die umfassende Patienten/-inneninformation und -beratung vor Behandlungsbeginn, damit sich die Betroffenen für eine Therapieoption entscheiden können und diese entsprechend mittragen. Zu diesem Zweck bieten die neuen Leitlinien auch Informationsmaterial für Patienten/-innen. „Anfangs gehören ganz grundlegende Fragen geklärt: Was ist für die Betroffenen selbst ein Therapieerfolg? Was nehmen sie beim therapeutischen Drahtseilakt eher in Kauf: schwere Nebenwirkungen oder frühzeitige Behinderung? Wie sieht die Familienplanung von Frauen aus?“, so Prof. Montalban. Anschließend ist eine Überwachung und gegebenenfalls Adaptierung des Therapieerfolges entscheidend. „Um erfolgreich zu sein, muss jede Therapieentscheidung in enger Abstimmung mit den Patienten/-innen erfolgen. Ein patientenzentriertes Vorgehen ist heute besser möglich denn je, denn MS bricht vor allem bei jungen Erwachsenen zwischen 20 und 40 aus, die in der Regel digital kompetent sind und über Internet oder Handy regen Kontakt mit den behandelnden Ärzte/-innen halten können. Die starke Einbindung der Patienten/-innen ist bei MS besonders wichtig, um die Compliance zu erhöhen“, so Prof. Montalban. Er hofft, dass die neuen Leitlinien rasch implementiert werden und mehr Bewusstsein für personalisierte Therapiemöglichkeiten bei Allgemeinmedizinern/-innen und Neurologen/-innen schaffen.
Quellen: ENS Abstract P 710: Development of a clinical practice guideline on the management of multiple sclerosis using the GRADE methodological approach; ENS Abstract 169: Personalised treatment of Multiple Sclerosis: Safety; ENS Abstract 171: Personalised treatment of Multiple Sclerosis: Shared decision-making and patient-centred care; ENS Abstract O231: Catastrophic multiple sclerosis rebound after natalizumab treatment discontinuation; Comabella, Manuel/Montalban, Xavier (2012): „Multiple sclerosis and immunological response: time for a personalized therapy?“ in: Hot Topics in Neurology And Psychiatry 2012; 13, pp.19-25. (tB)