MEDIZIN

DOC-CHECK LOGIN

Epilepsie-Varianten

Gemeinsame genetische Risikofaktoren bei häufigen Epilepsiesyndromen entdeckt

 

Berlin (19. September 2014) – Epilepsien sind eine klinisch heterogene Gruppe neurologischer Erkrankungen. Trotz starker Evidenz für die Vererbbarkeit der Erkrankung erbrachte die Suche nach gemeinsamen genetischen Risikofaktoren, die allen Epilepsien zugrunde liegen, bislang keine klaren Ergebnisse. Eine in Lancet Neurology erschienene Arbeit eines kürzlich formierten weltweiten Konsortiums (International League Against Epilepsy Consortium on Genetics of Complex Epilepsies) mit deutscher und europäischer Beteiligung hat das jetzt geändert: „Dies ist die erste weltweite Studie die zeigt, dass es gemeinsame und distinkte genetische Risikofaktoren für die verschiedenen Formen der Epilepsie gibt“, erklärt Prof. Dr. med. Holger Lerche heute auf der Neurowoche 2014 in München, Europas größtem Neurologenkongress. Die Wissenschaftler konnten drei Risiko-Loci für Epilepsie identifizieren [1]. Holger Lerche, Ärztlicher Direktor der Abteilung Neurologie mit Schwerpunkt Epileptologie der Universität Tübingen, ist einer der Autoren der Studie.

Epilepsien treten mit einer Häufigkeit von 0,5 bis 1% auf; knapp die Hälfte davon beginnt bereits im Kindesalter. Mindestens 50% davon sind genetisch bedingt, wobei die Ursache in den meisten Fällen multifaktoriell bzw. polygen ist. Nur wenige Prozent der sogenannten idiopathischen/genetischen Epilepsien folgen einem monogenen Erbgang. Epidemiologische Untersuchungen der genetischen Variation des menschlichen Genoms, genomweite Assoziationsstudien (GWAS), sind darauf ausgelegt, einen bestimmten Phänotyp mit bestimmten Haplotypen bzw. Allelen zu assoziieren. Bei Epilepsie wiesen GWAS bislang nur geringeren Erfolg auf, spezielle Risiko-Loci zu identifizieren – aufgrund zu kleiner Stichproben und dadurch mangelhafter Aussagekraft.


Fokale und generalisierte Epilepsien – die beiden größten klinischen Subtypen

Der GWAS unter deutscher und europäischer Beteiligung ist mit dem Nachweis der drei Risiko-Loci ein großer Schritt gelungen, denn: „Für Diabetiker, für Schizophrenie oder Migräne gibt es diese Nachweise längst, allein für die Schizophrenie sind 100 Risiko-Loci nachgewiesen, für die Migräne sind es knapp 20“, erklärt Lerche.

Für ihre Studie kombinierten die Wissenschaftler nun genomweite Assoziationsdaten aus 12 Kohorten von Probanden diverser Ethnien mit Epilepsie und Kontrollpersonen aus populationsbasierten Datensets, die aus drei Kontinenten stammten. Insgesamt wurden 8696 Epilepsiefälle und 26 157 Kontrollprobanden in die Analyse eingeschlossen. Phänotypisiert wurden Personen mit idiopathischer/genetischer generalisierter Epilepsie (n= 2600), fokaler Epilepsie (n=5300) und nicht klassifizierbarer Epilepsie. Bei den fokalen Epilepsien ist die Übererregung auf ein Gehirnareal beschränkt, bei den generalisierten Epilepsien erstrecken sich die Anfallszeichen über beide Hemisphären.


Einer der drei Risiko-Loci ist im „Epilepsie-Gen“ SCN1A

Nummer eins der drei so identifizierten Loci liegt in SCN1A – dem wichtigsten Epilepsie-Gen, das bei seltenen monogenetisch vererbten Epilepsien, wie dem Dravet-Syndrom, mutiert ist. Der durch das Gen kodierte Natriumkanal, der in inhibitorischen Nervenzellen des Gehirns exprimiert wird, verliert beim Dravet-Syndrom seine Funktion, was zu einer verminderten Hemmung im Gehirn führt. Die mit häufigen Epilepsien assoziierte Variante in SCN1A kann als „Risikofaktor mit geringer Effektstärke“ betrachtet werden, erklärt Lerche. Bislang nicht mit Epilepsie in Verbindung gebracht wurde Kandidat 2 in der Nähe von PCDH7. Das Gen kodiert ein Protocadherin-Molekül und kann ebenfalls als Risikofaktor für alle Epilepsien gelten. Für die Kohorte der idiopathischen/genetischen generalisierten Epilepsien fanden die Forscher ein einzelnes Signal, den dritten Kandidaten, der mit dem Gen VRK2 in Verbindung gebracht wird.


Weitere Entschlüsselung der genetischen Architektur der Epilepsien

Die Daten liefern weitere Evidenz über die genetische Architektur der Epilepsien mit dem Ziel einer besseren Krankheitsklassifikation und –prognose. Die Ergebnisse legen nahe, dass spezifische Loci pleiotropisch allgemein das Risiko für Epilepsie erhöhen oder Effekte auf einen spezifischen Subtyp haben können. Welche therapeutischen Konsequenzen sich daraus ergeben ist noch nicht klar. Lerche: „Bei Vorliegen schwerwiegender SCN1A Mutationen vermeidet man bereits heute Substanzen, die Natriumkanäle blockieren. Häufige SCN1A Varianten könnten auch für die häufigen Epilepsien ein Teilfaktor werden, der Auskunft darüber geben könnte, welche Medikamente ansprechen und welche nicht“. Diese Frage werde gerade in internationalen Forschungsin
itiativen untersucht.


Quellen

 

[1] International League Against Epilepsy Consortium on Complex Epilepsies. Genetic determinants of common epilepsies: a meta-analysis of genome-wide association studies. The Lancet Neurology, 2014; Vol. 13, Iss. 9, pp. 893 – 903. DOI:10.1016/S1474-4422(14)70171-1
http://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736%2814%2960460-8/abstract

 

Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN)

sieht sich als medizinische Fachgesellschaft in der gesellschaftlichen Verantwortung, mit ihren mehr als 7500 Mitgliedern die Qualität der neurologischen Krankenversorgung in Deutschland zu sichern. Dafür fördert die DGN Wissenschaft und Forschung sowie Lehre, Fort- und Weiterbildung in der Neurologie. Sie beteiligt sich an der gesundheitspolitischen Diskussion. Die DGN wurde im Jahr 1907 in Dresden gegründet. Sitz der Geschäftsstelle ist seit 2008 Berlin.

 

 

Weitere Informationen

 

 


Quelle: Deutsche Gesellschaft für Neurologie  e.V. (DGN), 19.09.2014 (tB).

MEDICAL NEWS

IU School of Medicine researchers develop blood test for anxiety
COVID-19 pandemic increased rates and severity of depression, whether people…
COVID-19: Bacterial co-infection is a major risk factor for death,…
Regenstrief-led study shows enhanced spiritual care improves well-being of ICU…
Hidden bacteria presents a substantial risk of antimicrobial resistance in…

SCHMERZ PAINCARE

Hydromorphon Aristo® long ist das führende Präferenzpräparat bei Tumorschmerz
Sorgen und Versorgen – Schmerzmedizin konkret: „Sorge als identitätsstiftendes Element…
Problem Schmerzmittelkonsum
Post-Covid und Muskelschmerz
Kopfschmerz bei Übergebrauch von Schmerz- oder Migränemitteln

DIABETES

Wie das Dexom G7 abstrakte Zahlen mit Farben greifbar macht…
Diabetes mellitus: eine der großen Volkskrankheiten im Blickpunkt der Schmerzmedizin
Suliqua®: Einfacher hin zu einer guten glykämischen Kontrolle
Menschen mit Diabetes während der Corona-Pandemie unterversorgt? Studie zeigt auffällige…
Suliqua® zur Therapieoptimierung bei unzureichender BOT

ERNÄHRUNG

Positiver Effekt der grünen Mittelmeerdiät auf die Aorta
Natriumaufnahme und Herz-Kreislaufrisiko
Tierwohl-Fleisch aus Deutschland nur mäßig attraktiv in anderen Ländern
Diät: Gehirn verstärkt Signal an Hungersynapsen
Süßigkeiten verändern unser Gehirn

ONKOLOGIE

Strahlentherapie ist oft ebenso effizient wie die OP: Neues vom…
Zanubrutinib bei chronischer lymphatischer Leukämie: Zusatznutzen für bestimmte Betroffene
Eileiter-Entfernung als Vorbeugung gegen Eierstockkrebs akzeptiert
Antibiotika als Störfaktor bei CAR-T-Zell-Therapie
Bauchspeicheldrüsenkrebs: Spezielle Diät kann Erfolg der Chemotherapie beeinflussen

MULTIPLE SKLEROSE

Multiple Sklerose: Aktuelle Immunmodulatoren im Vergleich
Neuer Biomarker für Verlauf von Multipler Sklerose
Multiple Sklerose: Analysen aus Münster erhärten Verdacht gegen das Epstein-Barr-Virus
Aktuelle Daten zu Novartis Ofatumumab und Siponimod bestätigen Vorteil des…
Multiple Sklerose durch das Epstein-Barr-Virus – kommt die MS-Impfung?

PARKINSON

Meilenstein in der Parkinson-Forschung: Neuer Alpha-Synuclein-Test entdeckt die Nervenerkrankung vor…
Neue Erkenntnisse für die Parkinson-Therapie
Cochrane Review: Bewegung hilft, die Schwere von Bewegungssymptomen bei Parkinson…
Technische Innovationen für eine maßgeschneiderte Parkinson-Diagnostik und Therapie
Biomarker und Gene: neue Chancen und Herausforderungen für die Parkinson-Diagnose…