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Die Rolle der Mistel im Rahmen der komplementären Onkologie
Festvortrag zur Verleihung des SELF-Europa-Awards 2007 an Helixor
Von Dr. H. Matthes
Hamburg (1. März 2007) – Die Mistel wurde von Rudolf Steiner, dem Begründer der Anthroposophischen Medizin, Anfang des letzten Jahrhunderts zur Behandlung von Krebs in die Medizin eingeführt. Aufgrund des Außenseitercharakters des holistischen Medizinansatzes der Anthroposophischen Medizin blieb die Mistel zunächst auf ärztlicher Seite ein sog. Alternativpräparat. Auf Patientenseite stellt die Mistel bereits seit über 25 Jahren das am häufigsten eingesetzte Onkologikum in Deutschland dar ( 3 ).
Die Grundlagenforschung zur Mistel erbrachte in den letzten Jahren umfangreiche Daten zu ihrer Wirkung und Wirksamkeit. Analysen der Inhaltsstoffe zeigen zytotoxisch und immunmodulierend wirkende Mistellektine und Viscotoxine. Polysaccharide und Membranlipide der Mistel weisen immunmodulierende und –stimulierende Effekte auf. Ferner zeigt sich ein deutlich überadditiver Effekt des Mistelgesamtextraktes gegenüber seinen Einzelkomponenten. Insgesamt stellt der Mistelgesamtextrakt ein Substanzgemisch aus mehr als 1000 Einzelkomponenten dar, deren Hauptkomponenten wesentliche antitumoröse und gleichzeitig roborierende und stimulierende Effekte für den Organismus besitzen [Übersicht bei ( 4 )].
Die Datenlage zur Misteltherapie
Klinische Daten zum Einsatz von Mistelgesamtextrakten liegen für verschiedenen Tumorentitäten vor. Dabei handelt es sich häufig um retrospektive und nur wenige prospektive Studien sowie Kohortenstudien. Ein systematisches Review über 24 prospektive Studien, von denen 17 Studien randomisiert waren, und über 38 Kohortenstudien kommt zu einer positiven Beurteilung der Wirksamkeit der Mistel bzgl. einer signifikanten Lebensverlängerung (9 Studien) und einer Verbesserung der Lebensqualität (3 Studien). Keine Studie zeigte ein signifikant negatives Ergebnis und nur eine Studie wies einen negativen Trend bzgl. des Surrogatmarkers „krankheitsfreies Überleben“ auf. Eine in 2003 publizierte prospektive, multizentrisch, randomisierte und kontrollierte Studie von Piao et al. zeigte einen signifikanten positiven Effekt auf die Lebensqualität und die Reduktion von unerwünschten Wirkungen bei Standardchemotherapie, wenn die Mistel adjuvant zu einer Chemotherapie bei Mamma-, Ovarial- oder nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinom s.c. appliziert wurde ( 5 ).
Einsatzmöglichkeiten der Misteltherapie in der komplementären Medizin
Die s.c. Applikation der Mistel ist z. Z. der Therapiestandard und nur wenige Präparate sind bisher für andere Applikationsformen zugelassen. Eine Hochdosistherapie könnte zukünftig die Effektstärke der Mistelpräparate noch steigern: Studien mit sehr hoher s.c Misteldosis zeigen teilweise bessere tumordestruktive Effekte ( 7 ).
Darüber hinaus zeigen klinische Erfahrungen und eine erste Pilotstudie ( 6 ), dass unter einer höher dosierten Mistelapplikation in Form von intravenösen Infusionen über 2-3 Stunden der Effekt einer adjuvanten Misteltherapie bei Chemotherapie (Reduktion der Chemotherapie-assoziierten toxischen Nebenwirkungen und Lebensqualität) noch größer ist, als dies schon in der Piao-Studie ( 5 ) bei s.c. Misteltherapie gezeigt werden konnte.
Den höchsten zytotoxischen bzw. tumorablativen Effekt erreicht man durch intratumorale Mistelextrakt-Applikation. Durch hochdosierte Injektion von Mistelgesamtextrakten konnten in ersten Kasuistiken und Pilotstudien eindrucksvolle Ergebnisse erzielt werden.
Bei intratumoraler Mistelgesamtextraktapplikation beim hepatozellulären Karzinom (HCC) konnten Komplettremissionen erreicht werden ( 8,9 ).
Beim Pankreaskarzinom sind die Ergebnisse der Radiochemotherapie weiterhin sehr unbefriedigend. Im nicht operablen Stadium liegt die mittlere Lebenserwartung bei nur wenigen Monaten. Auch hier zeigt eine erste Pilotstudie mit intratumoraler Mistelapplikation viel versprechende Ergebnisse. Aufgrund der anatomisch häufig recht schwierigen transabdominalen Erreichbarkeit und auch wegen der Gefahr einer Tumorzellverschleppung in einem langen Punktionskanal wurde der Pankreastumor in der Pilotstudie überwiegend endosonographisch transgastrisch oder transduodenal punktiert und intratumoral die Mistel appliziert. Trotz der geringen Patientenzahl (n=12) zeigte sich in 58 % eine Remission bzw. stable disease, und die Lebensqualität stieg bei 83 % signifikant an. ( 10 ) Eine gleichartig konzipierte Studie der Mayo-Clinic (Rochester USA) mit einem cisplatinhaltigen Gel zur intratumoralen Pankreaskarzinomapplikation zeigt deutlich geringere Effekte (DDW 2005). Es ist daher wahrscheinlich, dass die intratumorale Mistelapplikation neben einem zytotoxischen auch einen immunologischen Effekt aufweist.
Eine interessante Hypothese bei der intratumoralen Mistelapplikation in Tumore ist die der Autovaccination. Durch den zytotoxischen Effekt der Mistel kommt es zur Nekrose und Apoptose mit Ausbildung von Tumorzellfragmenten, die bei gleichzeitiger Immunstimulation durch die Mistel und Aktivierung Antigen-präsentierender und immunkompetenter Zellen in Tumornähe zu einer Autovaccination führen. Dadurch wären die deutlich nachhaltigeren Effekte der Mistel gegenüber dem einfachen Einsatz zytotoxischer Substanzen, wie dem Cisplatingel beim Pankreaskarzinom oder den Alkoholinjektionen beim HCC, zu erklären.
Aus den guten Erfahrungen der intratumoralen Mistelapplikation ist auch die neueste Anwendungsmöglichkeit der Mistel entstanden. Thermoablative Verfahren spielen eine immer größere Rolle bei nichtresektablen Tumoren. Durch die Weiterentwicklung der Radiofrequenztherapie mit der derzeitigen Möglichkeit, mit bis zu drei bipolaren Elektroden eine sog. multipolare Radiofrequenzablation durchzuführen, können mittlerweile Tumore von 8-10 cm Durchmesser abladiert werden. Bei Ablation dieser großen Tumore ergeben sich zwei Probleme. Einerseits kommt es durch die thermisch induzierten Tumornekrosen häufig zu Einschmelzungen und damit postablativen Abszessbildungen und andererseits an den Tumorrändern durch den abgeschwächten thermischen Effekt zum Überleben einzelner Tumorzellen und damit zu Lokalrezidiven. Dies hat dazu geführt, dass, insbesondere bei größeren Tumoren, die kombinierte Anwendung von Radiofrequenzablation mit gleichzeitiger intratumoraler Misteltherapie nunmehr studiert wird. Erste Ergebnisse mit gleichzeitiger multipolarer Radiofrequenzablation und intratumoraler Misteltherapie zeigen eine verbesserte postablative Resorption der Nekrosen mit verminderten Abszessbildungen und auch selteneren Lokalrezidiven.
Weitere zukünftige Mistelanwendungen dürften prä- und perioperative i.v. Misteltherapiegaben sein, bei denen sich in Zwischenauswertungen erster Pilotstudien geringere Tumorzellausschwemmungen in das Knochenmark bei Mamma- und Kolonkarzinom zeigte. Ob dies auch mit einem verminderten postoperativen Auftreten von Metastasen verbunden ist, müssen klinische Nachbeobachtungen erst noch zeigen.
Fazit
Zusammenfassend ergeben sich für die Mistel derzeit weite Einsatzgebiete in der komplementären Onkologie. Gerade in der kombinierten Anwendung der Mistel zu konventionellen Therapieverfahren wie Radiochemotherapie und in der palliativen Therapiephase stellt die Misteltherapie mittlerweile die Standardtherapie dar. In qualitätsgesicherten Disease Management Programmen für Brustkrebs ist die Mistel als Standard in die konventionelle Onkologie vorgedrungen. Daher ist zu erwarten, dass auch für die innovativen Mistelapplikationsverfahren, wie der intravenösen und intratumoralen wie auch in Kombination mit thermoablativen Verfahren diese sich in der konventionelle Medizin etablieren und so zukünftig die Misteltherapie einen weiteren Einsatz findet und ihr breites Wirkspektrum zum Wohle der Patienten entfalten.
Autor
Dr. Harald Matthes
Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe
Kladower Damm 221
14089 Berlin
Literatur
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