Fettleibigkeit und Diabetes

Du bist, was deine Eltern gegessen haben!

 

Neuherberg (14. März 2016) –  Wissenschaftler am Helmholtz Zentrum München haben in Zusammenarbeit mit der Technischen Universität München und dem Deutschen Zentrum für Diabetesforschung (DZD) nachgewiesen, dass durch Ernährung verursachte Fettleibigkeit und Diabetes sowohl über Eizellen als auch über Spermien epigenetisch* an die Nachkommen vererbt werden können. Die Ergebnisse wurden kürzlich in der Zeitschrift ‚Nature Genetics‘ veröffentlicht. Ein Video-Interview mit den Autoren finden sie hier.


Für Ihre Studien verwendete das Team vom Institut für Experimentelle Genetik (IEG) Mäuse, die aufgrund einer fettreichen Nahrung fettleibig geworden waren und einen Typ-2-Diabetes entwickelt hatten. Ihre Nachkommen wurden ausschließlich über in vitro-Fertilisation (künstliche Befruchtung) von isolierten Eizellen und Spermien gewonnen, sodass Veränderungen bei den Nachkommen nur über diese Zellen weitergegeben wurden. Ausgetragen wurden die Nachkommen von gesunden Leihmüttern. Dadurch konnten die Wissenschaftler zusätzliche Faktoren wie beispielsweise Verhaltensweisen der Eltern und Einflüsse der Mutter während der Schwangerschaft und des Säugens ausschließen.

 

„Es zeigte sich, dass sowohl Eizellen als auch Spermien epigenetische Information weitergeben, die insbesondere bei den weiblichen Nachkommen zu einer starken Fettleibigkeit führten“, erläutert Prof. Johannes Beckers, Leiter der Studie. Bei den männlichen Nachkommen hingegen war der Blutzuckerspiegel stärker betroffen als bei den weiblichen Geschwistern. Die Daten zeigen außerdem, dass – wie beim Menschen auch – der mütterliche Beitrag zur Veränderung des Stoffwechsels bei den Nachkommen größer ist, als der des Vaters.

 

 

Mögliche Erklärung für rasante Ausbreitung von Diabetes weltweit

 

„Diese Art der epigenetischen Vererbung einer durch Fehlernährung erworbenen Stoffwechselstörung könnte eine weitere wichtige Ursache für den weltweiten dramatischen Anstieg der Diabetes Prävalenz seit der 1960er Jahre sein“, betont Prof. Martin Hrabě de Angelis, Direktor des IEG und Initiator der Studie. Der weltweit beobachtete Anstieg an Diabetikern lässt sich durch die Veränderung der Gene selbst (DNA) nämlich kaum erklären – dazu schreitet der Anstieg zu schnell voran. Da epigenetische Vererbung im Gegensatz zur genetischen Vererbung prinzipiell reversibel ist, ergeben sich aus diesen Beobachtungen neue Möglichkeiten, die Entstehung von Adipositas und Diabetes zu beeinflussen, so die Wissenschaftler.

 

Sowohl Jean-Baptiste Lamarck als auch Charles Darwin schlossen in ihren Theorien zur Vererbung und Evolution explizit die Möglichkeit ein, dass Eigenschaften und Merkmale, die Eltern während ihres Lebens durch Interaktion mit ihrer Umwelt erwerben, an ihre Nachkommen weitergegeben werden könnten. Erst in der Neo-Darwinistischen „Synthetischen Theorie der Evolution“, welche die Theorien der Selektion von Darwin und der Genetik von Gregor Mendel verbindet, wurde die Vererbung erworbener Eigenschaften abgelehnt. „Aus Sicht der Grundlagenforschung liegt die Bedeutung der Arbeit daher insbesondere darin, dass hier zum ersten Mal nachgewiesen wurde, dass eine erworbene Stoffwechselstörung über Oozyten und Spermien an die Nachkommen epigenetisch vererbt werden kann – ähnlich den Vorstellungen von Lamarck und Darwin“, kommentiert Prof. Johannes Beckers.

 

 

Anmerkung

 

* Epigenetik: Im Gegensatz zur Genetik bezeichnet der Begriff Epigenetik die Vererbung von Eigenschaften, die nicht in der primären Sequenz der DNA (den Genen) fixiert sind. Als Träger dieser epigenetischen Information gelten bislang insbesondere RNA-Transkripte und chemische Modifikationen des Chromatins (beispielsweise an der DNA oder den Histonen).

 

Original-Publikation

  • Huypens, P. et al. (2016). Epigenetic germline inheritance of diet induced obesity and insulin resistance, Nature Genetics, DOI: 10.1038/ng.3527
    Link zur Publikation:
    http://dx.10.1038/ng.3527.org  

 

 

Das Helmholtz Zentrum München verfolgt als Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt das Ziel, personalisierte Medizin für die Diagnose, Therapie und Prävention weit verbreiteter Volkskrankheiten wie Diabetes mellitus und Lungenerkrankungen zu entwickeln. Dafür untersucht es das Zusammenwirken von Genetik, Umweltfaktoren und Lebensstil. Der Hauptsitz des Zentrums liegt in Neuherberg im Norden Münchens. Das Helmholtz Zentrum München beschäftigt rund 2.300 Mitarbeiter und ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, der 18 naturwissenschaftlich-technische und medizinisch-biologische Forschungszentren mit rund 37.000 Beschäftigten angehören.

 

Die Technische Universität München (TUM) ist mit mehr als 500 Professorinnen und Professoren, rund 10.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und 39.000 Studierenden eine der forschungsstärksten Technischen Universitäten Europas. Ihre Schwerpunkte sind die Ingenieurwissenschaften, Naturwissenschaften, Lebenswissenschaften und Medizin, ergänzt um Wirtschafts- und Bildungswissenschaften. Die TUM handelt als unternehmerische Universität, die Talente fördert und Mehrwert für die Gesellschaft schafft. Dabei profitiert sie von starken Partnern in Wissenschaft und Wirtschaft. Weltweit ist sie mit einem Campus in Singapur sowie Verbindungsbüros in Brüssel, Kairo, Mumbai, Peking, San Francisco und São Paulo vertreten. An der TUM haben Nobelpreisträger und Erfinder wie Rudolf Diesel, Carl von Linde und Rudolf Mößbauer geforscht. 2006 und 2012 wurde sie als Exzellenzuniversität ausgezeichnet. In internationalen Rankings gehört sie regelmäßig zu den besten Universitäten Deutschlands. 

 

Ziel der Forschung des Instituts für Experimentelle Genetik (IEG) ist, Ursachen und Entstehung menschlicher Erkrankungen zu verstehen. Durch seine leitende Funktion in interdisziplinären und internationalen Konsortien hat das IEG eine weltweit führende Position in der systemischen Untersuchung von Mausmodellen für Krankheiten des Menschen und der Aufklärung von beteiligten Genen. Schwerpunkt bilden dabei Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes. Das IEG ist Gründer der Deutschen Mausklinik (GMC) und leitet das Europäische Maus Mutanten Archiv (EMMA). Zudem koordiniert das IEG die europäische Forschungsinfrastruktur Infrafrontier (ESFRI). Das IEG ist Teil des Helmholtz Diabetes Center (HDC). Dem IEG gehört die Abteilung Genomanalysezentrum (GAC) an, die die Entwicklung komplexer Krankheiten und den Umwelteinfluss bei ihrer Entstehung untersucht.

 

Das Deutsche Zentrum für Diabetesforschung e.V. (DZD) ist eines der sechs Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung. Es bündelt Experten auf dem Gebiet der Diabetesforschung und verzahnt Grundlagenforschung, Epidemiologie und klinische Anwendung. Ziel des DZD ist es, über einen neuartigen, integrativen Forschungsansatz einen wesentlichen Beitrag zur erfolgreichen, maßgeschneiderten Prävention, Diagnose und Therapie des Diabetes mellitus zu leisten. Mitglieder des Verbunds sind das Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt, das Deutsche Diabetes-Zentrum DDZ in Düsseldorf, das Deutsche Institut für Ernährungsforschung DIfE in Potsdam-Rehbrücke, das Institut für Diabetesforschung und Metabolische Erkrankungen des Helmholtz Zentrum München an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen und das Paul-Langerhans-Institut Dresden des Helmholtz Zentrum München am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus der TU Dresden, assoziierte Partner an den Universitäten in Heidelberg, Köln, Leipzig, Lübeck und München sowie weitere Projektpartner.

 

 


Quelle: Helmholtz Zentrum München, Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt (GmbH), 08.03.2016 (tB).

MEDICAL NEWS

IU School of Medicine researchers develop blood test for anxiety
COVID-19 pandemic increased rates and severity of depression, whether people…
COVID-19: Bacterial co-infection is a major risk factor for death,…
Regenstrief-led study shows enhanced spiritual care improves well-being of ICU…
Hidden bacteria presents a substantial risk of antimicrobial resistance in…

SCHMERZ PAINCARE

Hydromorphon Aristo® long ist das führende Präferenzpräparat bei Tumorschmerz
Sorgen und Versorgen – Schmerzmedizin konkret: „Sorge als identitätsstiftendes Element…
Problem Schmerzmittelkonsum
Post-Covid und Muskelschmerz
Kopfschmerz bei Übergebrauch von Schmerz- oder Migränemitteln

DIABETES

Wie das Dexom G7 abstrakte Zahlen mit Farben greifbar macht…
Diabetes mellitus: eine der großen Volkskrankheiten im Blickpunkt der Schmerzmedizin
Suliqua®: Einfacher hin zu einer guten glykämischen Kontrolle
Menschen mit Diabetes während der Corona-Pandemie unterversorgt? Studie zeigt auffällige…
Suliqua® zur Therapieoptimierung bei unzureichender BOT

ERNÄHRUNG

Positiver Effekt der grünen Mittelmeerdiät auf die Aorta
Natriumaufnahme und Herz-Kreislaufrisiko
Tierwohl-Fleisch aus Deutschland nur mäßig attraktiv in anderen Ländern
Diät: Gehirn verstärkt Signal an Hungersynapsen
Süßigkeiten verändern unser Gehirn

ONKOLOGIE

Strahlentherapie ist oft ebenso effizient wie die OP: Neues vom…
Zanubrutinib bei chronischer lymphatischer Leukämie: Zusatznutzen für bestimmte Betroffene
Eileiter-Entfernung als Vorbeugung gegen Eierstockkrebs akzeptiert
Antibiotika als Störfaktor bei CAR-T-Zell-Therapie
Bauchspeicheldrüsenkrebs: Spezielle Diät kann Erfolg der Chemotherapie beeinflussen

MULTIPLE SKLEROSE

Multiple Sklerose: Aktuelle Immunmodulatoren im Vergleich
Neuer Biomarker für Verlauf von Multipler Sklerose
Multiple Sklerose: Analysen aus Münster erhärten Verdacht gegen das Epstein-Barr-Virus
Aktuelle Daten zu Novartis Ofatumumab und Siponimod bestätigen Vorteil des…
Multiple Sklerose durch das Epstein-Barr-Virus – kommt die MS-Impfung?

PARKINSON

Meilenstein in der Parkinson-Forschung: Neuer Alpha-Synuclein-Test entdeckt die Nervenerkrankung vor…
Neue Erkenntnisse für die Parkinson-Therapie
Cochrane Review: Bewegung hilft, die Schwere von Bewegungssymptomen bei Parkinson…
Technische Innovationen für eine maßgeschneiderte Parkinson-Diagnostik und Therapie
Biomarker und Gene: neue Chancen und Herausforderungen für die Parkinson-Diagnose…