Abb. 1: Komplettsystem (hinten: sensorischer Strumpf mit Strumpfelektronik, Mitte: Basisstation (schwarzes Gehäuse), vorne: Meldeeinheit). Fraunhofer IBMT.Forschungsprojekt »UlcPrävent« hilft Druckentlastung mittels Dekubitus-Strumpf optimieren

Der »intelligente« Strumpf – Eine textilbasierte Lösung gegen das Diabetische Fußsyndrom

 

St. Ingbert (21. Juni 2012) – Das Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik (IBMT) entwickelt im Rahmen des Forschungsprojekts »UlcPrävent« eine textilbasierte Drucksensorik zum flexiblen und individuellen Einsatz in Dekubitus-Strümpfen. Diese kommt beispielsweise bei der Behandlung von Diabetespatienten zum Einsatz, wo einer Druckentlastung oder optimierten Druckverteilung aufgrund der verminderten sensorischen Wahrnehmung an den unteren Extremitäten wie Fuß und Unterschenkel, eine große Bedeutung zukommt.

 

Diabetes mellitus ist eine stark verbreitete Volkskrankheit, von der nach Angaben der Internationalen Diabetes Föderation (IDF) etwa 12 % der Bevölkerung Deutschlands betroffen sind. Aufgrund der Altersstruktur aber auch aufgrund der Zunahme des Anteils Übergewichtiger ist mit einer deutlichen Erhöhung der Fallzahlen in den kommenden Jahren zu rechnen. Eine sehr häufig mit der Grunderkrankung einhergehende gesundheitliche Beeinträchtigung ist das Diabetische Fußsyndrom (DFS). Unter diesem Syndrom werden offene, schwer heilende Wunden an den unteren Extremitäten (Fuß und Unterschenkel) verstanden, deren Ursache unter anderem in einer Mangeldurchblutung des Gewebes gesehen wird. Hierzu kommt es nicht nur, weil das Gefäßsystem durch die Zuckerkrankheit in Mitleidenschaft gezogen wird, sondern auch, weil durch eine Polyneuropathie als diabetische Folgeerkrankung die sensorische Wahrnehmung an den unteren Extremitäten stark eingeschränkt ist. Patienten sind daher nicht mehr in der Lage zu spüren, ob etwa ein Schuh drückt oder ob ein Fuß umgelagert werden müsste, etwa weil er beim Sitzen auf der Couch bereits zu lange stets auf derselben Partie aufgelegen hat. Bei Gesunden ist das Umlagern ein unwillkürlicher Prozess, bei dem eine komfortablere Position eingenommen werden soll. Fehlt diese Wahrnehmung, kann es zu Druckgeschwüren (Dekubiti) und den damit verbundenen nachhaltigen Gewebsschädigungen kommen, die in nicht seltenen Fällen zur Amputation der betroffenen Gliedmaße führen. Bei der Behandlung von Diabetes- und Dekubituspatienten spielt die Druckentlastung bzw. die optimale Druckverteilung betroffener Körperpartien eine dominante Rolle.

Im Rahmen des vom BMBF geförderten Forschungsprojekts »UlcPrävent« wurde eine textilbasierte Drucksensorik entwickelt, die flexibel und individuell in speziellen Dekubitus-Strümpfen implementiert ist. Damit ist eine objektive Messung der Druckbelastung gefährdeter Fußpartien möglich. Dieses Konzept eines »Anti-Dekubitus-Strumpfes« geht zurück auf eine Idee von Dr. med. Phillip Schöttes (Unfallklinikum Dortmund), der das Projekt auch als klinischer Berater begleitete.

Durch das textilbasierte Druckmesssystem erfolgt eine permanente Erfassung des Belastungszustands gefährdeter Körperpartien und über ein Analyse- und Warnsystem wird der Patient entsprechend alarmiert. In Verbindung mit diesem System können die Patienten gezielt kritische Belastungssituationen hinsichtlich der Entstehung von Geschwüren vermeiden. Dadurch werden sowohl schwere Krankheitsbilder erheblich eingeschränkt als auch das Wohlbefinden der Patienten deutlich verbessert. Es ist das Ziel, das textilbasierte Mikromesssystem als Element in der Prävention und Therapie von Diabetespatienten zu etablieren, um so in Zukunft die Geschwürbildung bei Diabetikern gezielt und nachhaltig zu reduzieren.

Die Herausforderung dieses Forschungsprojekts bestand im Wesentlichen darin, eine alltagstaugliche Lösung zu finden, die vom Patienten nicht als störend empfunden wird. Dazu musste beispielsweise die Elektronik möglichst klein umgesetzt werden. Auf extrem geringen Energieverbrauch war ebenfalls zu achten.

Von Seiten des Fraunhofer IBMT waren zwei Abteilungen an den Entwicklungsarbeiten beteiligt: Die Abteilung »Biomedizinische Mikrosysteme« entwickelte die Elektronik und die Software für Strümpfe und Meldeeinheit sowie für die drahtlose Übermittlung der erfassten Sensordaten vom Strumpf zu der am Handgelenk getragenen Meldeeinheit. Die Entwicklung der Meldeeinheit erfolgte in der Abteilung »Medizintechnik & Neuroprothetik«.


Detallierte Systembeschreibung

Ein Dekubitus-Strumpf, von denen ein Patient zwei tragen kann, enthält textilbasierte Sensoren, welche eine ortsaufgelöste Druckbelastung besonders im Bereich der Ferse registrieren. Diese Sensoren werden an eine derzeit am Strumpf getragene, in Zukunft aber in den Strumpf zu integrierende Elektronik angeschlossen. Die Elektronik ermittelt das Gefährdungspotenzial anhand der gemessenen Drücke unter Einbeziehung der Dauer der Belastung. Mit Hilfe einer drahtlosen, bidirektionalen Schnittstelle steht die Sensorik mit einer Meldeeinheit, welche am Handgelenk getragen werden, kann in ständiger Verbindung. Diese Einheit soll dabei den Patienten diskret darüber informieren, dass eine akute Gefährdung vorliegt. Wenn die Sensorik innerhalb eines definierten Zeitraums keine Umlagerung feststellt, wird eine entsprechende Aufforderung an den Patienten erfolgen. Über eine entwickelte Basisstation, welche in direkter Verbindung zum Dekubitus-Strumpf steht, können die gemessenen Werte aller sensorischer Knoten mitgeloggt werden, um so die zeitliche Druckbelastung bei einer Dekubitusentstehung rekonstruieren zu können.

Ein Microcontroller übernimmt die Steuerung – wegen seiner Genügsamkeit im Hinblick auf Stromverbrauch wird ein Controller der Baureihe MSP430 von Texas Instruments eingesetzt. Die von den Messstellen im Strumpf mit Hilfe eines analogen Multiplexers bezogenen Messwerte werden im controllereigenen A/D-Umsetzer (10 bit) digitalisiert und anschließend weiterverarbeitet.

Die Umsetzung einer Funkschnittstelle, welche auf einem Standard, wie etwa Bluetooth oder ZigBee, beruht, ist verlockend, weil dadurch mehr Komponenten kommerziell verfügbar werden und eine Interoperabilität zu anderen Geräten, wie etwa einem Mobiltelefon prinzipiell bestünde. Bei genauer Betrachtung der einschlägigen Funkstandards und der marktverfügbaren Chip-Lösungen stellte sich jedoch heraus, dass dies durch einen wesentlich höheren Energiebedarf erkauft werden müsste. Dies gilt nicht nur für die Strumpf-Seite, sondern auch für die Meldeeinheit, die ebenfalls mobil sein muss. Aus diesem Grund wurde eine proprietäre Lösung unter Verwendung eines Transceivers der Fa. Zarlink, Kanada, eingesetzt (ZL70250). Er zeichnet sich durch einen sehr niedrigen Stromverbrauch von unter 2 mA sowohl im Sende- wie im Empfangsbetrieb aus. Dabei wird nicht das sonst so populäre 2,4-GHz-ISM-Band eingesetzt, sondern das schmalbandige 868-Mhz-Band.


Projektpartner

 

Das UlcPrävent-Konsortium umfasst 7 Partner und wird vom ITV Denkendorf koordiniert:

 

  • ITV Denkendorf,
  • ITV Prod Denkendorf,
  • Fa. Otto Bock Healthcare, Duderstadt,
  • Fa. Elbau, Berlin,
  • Fa. Zimmermann, Weiler-Simmerberg,
  • Fa. Julius Zorn, Aichach,
  • Fraunhofer IBMT, St. Ingbert

 

Das Projekt »UlcPrävent« (FKZ 16SV3713) wurde vom BMBF gefördert. Förderzeitraum: 01.11.2008 bis 30.04.2012

Abb. 2: Prototypschaltung der Strumpf-Elektronik nach einem ersten Miniaturisierungsschritt. Zur Energieversorgung dient eine wieder aufladbare Batterie (rechts im Bild). Fraunhofer IBMT.

 

Abb. 2: Prototypschaltung der Strumpf-Elektronik nach einem ersten Miniaturisierungsschritt. Zur Energieversorgung dient eine wieder aufladbare Batterie (rechts im Bild). Fraunhofer IBMT.

 

 

Weitere Informationen

 

http://www.ibmt.fraunhofer.de/de/Arbeitsgebiete/ibmt-biomedizinische-mikrosysteme.html

http://www.ibmt.fraunhofer.de

 


 

Quelle: Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik IBMT, 21.06.2012 (tB).

 

 

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