Frühe Anzeichen und wenig bekannte Komplikationen

Wenn die Haut auf Diabetes hinweist und Zuckerkranke Zähne verlieren

 

Wiesbaden (15. April 2012) – Auf dem diesjährigen Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) in Wiesbaden konzentrierte sich das Symposium „Von Kopf bis Fuß auf Diabetes eingestellt“ der Berlin-Chemie AG auf wenig beachtete und komplexe Folge- und Begleiterkrankungen des Diabetes mellitus. Intensiv referierten die Experten über Komplikationen wie die gefährliche und trotzdem häufig unterdiagnostizierte kardiale autonome diabetische Neuropathie und das gefürchtete diabetische Fußsyndrom. Besondere Aufmerksamkeit erlangten die Themen Zahnerkrankungen bei Diabetes und Hautsymptome als mögliche Vorboten eines unerkannten Diabetes. Einig waren sich alle Referenten, dass nur die umfassende und wiederholte Aufklärung der Patienten über mögliche Symptome der wichtigste Schritt zur Früherkennung der Erkrankung ist.

 

Rund 90 % der Diabetiker haben Hauterkrankungen, die unter Umständen anderen Diabetes-Symptomen vorangehen können. „Das macht sie als Frühwarnsystem interessant“, erklärte Prof. Dr. Marcus Maurer von der Berliner Charité. „Insbesondere sollten rezidivierende Hautinfekte und Juckreiz, aber auch Erythrasmen, wiederholte Follikulitiden und Candida-Infektionen den betreuenden Arzt an Diabetes denken lassen.“

 

Ursache und begünstigende Faktoren von Hautveränderungen bei Patienten mit Diabetes sind häufig Nervenschäden, Durchblutungsstörungen und Immundefizienz. Durch eine schlechte Durchblutung leidet die Nährstoffversorgung und Wundheilung, die Haut wird trocken und empfindlich und die schützende Hautbarriere damit oftmals gestört. Kleine Verletzungen an den Füßen bieten auf diesem Wege Bakterien und Pilzen schnell Zutritt. Nervenschädigungen lassen den Patienten einen warnenden Schmerz schlecht oder gar nicht spüren, Druckstellen entstehen und Juckreiz beginnt. Durch die Immundefizienz sind die Patienten zudem anfällig für Infekte.

 

Informieren sollte der Arzt die Patienten vor allem hinsichtlich der Hautpflege und der Selbstkontrolle. Duschen statt heiße Wannenbäder, tägliches Auftragen von rückfettender Hautpflege und regelmäßige Prüfung ihrer Haut sollte für die Betroffenen selbstverständlich werden. Wiederholt sollten sie auf mögliche Probleme wie Hornhautrisse, eitrige Hautveränderungen oder insgesamt gespannte, gerötete und überwärmte Haut aufmerksam gemacht werden. In diesen Fällen sollten Patienten den Arzt konsultieren, damit er bei Bedarf antiseptisch oder systemisch mit einer antibiotischen oder antimykotischen Primärtherapie beginnen oder sogar an den Dermatologen überweisen kann.

 

 

Häufig unbekannt: Eine Parodontitis trifft Diabetiker früher und härter

 

Kaum bekannt ist der Zusammenhang zwischen Diabetes und Zahnerkrankungen wie Karies, Gingivitis und Parodontitis. So kann die Parodontitis beispielsweise zu Zahnlockerung und -verlust führen. Auch kann bei schlechter Diabeteseinstellung die Wundheilung nach zahnchirurgischen Eingriffen gestört sein. „Umgekehrt können Entzündungen im Mund, wie Gingivitis und Parodontitis, die Insulinresistenz verstärken und damit wiederum die Stoffwechsellage verschlechtern. Überdies steigern parodontale Erkrankungen das Risiko für Komplikationen wie der diabetischen Nephropathie oder der ischämischen Herzkrankheit“, berichtete Dr. Anja Ratzmann von der Universität Greifswald, und fasste zusammen: „das kann zu einem Teufelskreis werden“.

 

Diabetiker sind prädestiniert für ein frühes Auftreten parodontaler Erkrankungen (Zahnbetterkrankungen). „Die Parodontitis-Prävalenz bei Diabetikern ist zwei- bis viermal höher als bei Nicht-Diabetikern. Hinzu kommt, dass die Verlaufsform bei ihnen oftmals schwerer ist“, erläuterte Ratzmann. Dabei korrelieren Diabetesdauer und Ausprägung der Parodontitis, wobei eine bakterielle Infektion eine Insulinresistenz verursachen kann [1].

 

Da nur ungefähr jeder dritte Patient den Zusammenhang zwischen Diabetes und Mundgesundheit kennt, ist zur Früherkennung eine umfassende Aufklärung wichtig: „Die Parodontitis-Behandlung sollte integraler Bestandteil des Diabetesmanagements sein“, forderte Ratzmann deshalb. Sie empfiehlt den Patienten mindestens zweimal jährlich eine zahnärztliche Kontrolle inklusive professioneller Zahnreinigung, subgingivaler Konkremententfernung und sorgfältige häusliche Mundhygiene.

 

 

Die Therapie des diabetischen Fußsyndroms ist langwierig – Vorbeugen ist besser

 

Etwa jeder zweite Diabetiker leidet unter einer sensorischen Neuropathie und damit unter einem erhöhten Risiko für die Entwicklung eines diabetischen Fußsyndroms (DFS), da viele Betroffene Infektionen und Verletzungen am Fuß zu spät oder gar nicht bemerken. „Die Folge einer sensorischen Neuropathie ist deshalb eine erhöhte Gefahr für Amputation und Mortalität“, beschrieb Dr. Andreas Lueg aus Hameln. In der DFS-Diagnostik helfen die Neuropathie-Symptom-Scores und der Neuropathie-Defizit-Score dabei, neuropathische Symptome und Defizite (beispielsweise Verluste von Vibrations- und Schmerzempfinden) zu erfassen und das Risiko des Patienten für ein DFS einzuschätzen. Nach Lueg gehören zur Ulkusprävention eine Identifikation der Hochrisiko-Patienten und – je nach Risiko-Schwere – monatliche bis jährliche Kontrollen der Patientenfüße und -schuhe. Da vor allem durch geeignetes Schuhwerk einem Ulkus vorgebeugt werden kann, ist eine Beratung beim Schuhkauf unerlässlich für Lueg. Die Aufklärung von Patienten und Angehörigen gehört zum Wichtigsten: „Wir müssen die Patienten auf die Gefahr von falschem Schuhwerk für ein diabetisches Fußsyndrom und damit für eine Amputation hinweisen“, betonte Lueg, „und zwar immer wieder, denn den Betroffenen fehlt der natürliche Schutz des Schmerzes.“

 

 

Deutlich erhöhte Sterblichkeit bei kardialer autonomer Neuropathie

 

„Autonome diabetische Neuropathien sind so häufig wie periphere, sie werden nur seltener diagnostiziert“, brachte es Privatdozentin Dr. Kornelia Konz von der Deutschen Klinik für Diagnostik in Wiesbaden auf den Punkt. Dabei beträgt die Koinzidenz der beiden Neuropathien über 50 %, „so dass bei einer peripheren Neuropathie auch immer an eine autonome diabetische Neuropathie gedacht werden sollte“, riet Konz. Eine kardiale autonome diabetische Neuropathie wird in der Regel früher erkannt und hat erhebliche prognostische Bedeutung im Vergleich zu den anderen Formen autonomer Neuropathien. Patienten mit kardialer autonomer Neuropathie (KADN) fallen durch verringerte Herzfrequenzvariation auf, gestörte zirkadiane Rhythmik von Blutdruck und Herzfrequenz, Ruhetachykardie, Belastungsintoleranz und orthostatische Hypotonie. Ihre Sterblichkeit ist zudem stark erhöht. „Schon die reduzierte Herzfrequenzvariation ist mit erhöhter Mortalität verbunden“, so Konz [2].

 

Zur Diagnostik einer kardialen autonomen Neuropathie eignen sich die Tests für Herzfrequenzvariation bei Taktatmung und Lagewechsel, der Orthostase-Test und das Valsalva-Manöver, wobei zwei pathologische Testergebnisse für eine KADN sprechen. „Der einzige kausale Therapieansatz“, referierte Konz, „ist eine gute Stoffwechseleinstellung von der Diabetesdiagnose an.“ Junge Patienten mit milder KADN könnten zudem durch kardiopulmonales Ausdauertraining ihre Herzfrequenzvariation verbessern.

 

 

Literatur/Referenzen

 

[1] Emrich L et al.; J Peridontol (1991): 123-131

[2] Vinik A et al., Diabetes Care 26 (2003): 1553-1579

 


 

Quelle: Symposium der Firma Berlin-Chemie zum Thema „Von Kopf bis Fuß auf Diabetes eingestellt. Frühe Anzeichen, akute Komplikationen und späte Folge des Diabetes mellitus“, Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) 2012, 15. April 2012, Wiesbaden. (tB)

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