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G-BA-Vorgaben zur Nutzenbewertung sehen individuellen Zusatznutzen nicht vor

Deutsche Patienten mit pharmakoresistenter Epilepsie erneut benachteiligt

 

Frankfurt am Main (19. Februar 2015) – Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat am 6. November 2014 seinen Beschluss bekanntgegeben, für Perampanel (Fycompa®) erneut keinen Zusatznutzen im Vergleich zu den vom G-BA definierten konventionellen Antiepileptika anzuerkennen.1 Zur Begründung führt der G-BA an, dass „ die vom G-BA bestimmte zweckmäßige Vergleichstherapie nicht umgesetzt“ und daher „für die Bewertung des Zusatznutzens gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie des G-BA nicht geeignet“ sei.1


Die Fachgesellschaften, Patientenorganisationen und der Hersteller Eisai reagierten mit Bestürzung über die abermals gescheiterte Anerkennung eines Zusatznutzens durch den G-BA, zumal die Fachgesellschaften im Vorfeld immer wieder davor gewarnt hatten, die Bewertung des Zusatznutzens auf die Festlegung und Einhaltung formal-methodischer Kriterien zu begrenzen: ohne die besondere Ausgangssituation der Patienten mit Pharmakoresistenz zu berücksichtigen.2,3,4 So hatten Fachvertreter der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie (DGfE) dem G-BA wiederholt dargelegt, dass sich der Zusatznutzen eines Antiepileptikums aufgrund des heterogenen Krankheitsbilds und individuell sehr unterschiedlichen Ansprechens nicht über einen direkten oder indirekten Head-to-Head-Gruppenvergleich definieren lässt.2,3,4 Daher war die Ausarbeitung eines alternativen Wegs zwischen dem formalen Vorgehen des G-BA und den Ansichten der Fachgesellschaften (DGfE und DGN) vorgeschlagen worden, damit neu zugelassene Substanzen wie Perampanel den deutschen Patienten nicht vorenthalten würden.3 Auf das Angebot, gemeinsam Vorschläge zur sinnvollen Bewertung des Zusatznutzens neuer Antiepileptika zu etablieren, sei der G-BA allerdings nicht adäquat eingegangen – zum Nachteil der betroffenen Patienten.5

 

Als „unbegreiflich“ bezeichneten die Vertreter der deutschen Epilepsie-Selbsthilfeverbände den aktuellen G-BA-Beschluss: Weder seien „die Einwände der DGfE berücksichtigt worden, noch die Erfahrungen der Patienten, die mit diesem neuen Antiepileptikum anfallsfrei geworden bzw. eine deutliche Reduktion der Anfälle erfahren“ hätten.6 Durch die Entscheidung des G-BA würden „Patienten in Deutschland gegenüber Patienten aus dem Rest Europas schwer benachteiligt“, was aus der Sicht der Betroffenen nicht hinnehmbar sei. Die Selbsthilfeverbände appellierten daher in einer gemeinsamen Stellungnahme an „alle Entscheidungsträger im Gesundheitswesen und der Politik“, sich mit ihnen gemeinsam dafür einzusetzen, „dass auch Menschen mit Epilepsie, die bisher als therapieresistent gelten, weiterhin eine Chance bekommen und auch sie von den Fortschritten im Bereich der medikamentösen Epilepsiebehandlung profitieren können“.6

 

Wie der Hersteller Eisai bedauerte, trage der Beschluss des G-BA „den ungefähr 4.000 an Epilepsie erkrankten Menschen in Deutschland, die bereits den positiven Nutzen von Perampanel erleben konnten, nicht Rechnung“. Im Gegensatz zu Deutschland würden alle anderen europäischen Länder „bei ihrem Entscheidungsprozess einem flexiblen, patientenorientierten Ansatz“ folgen, so Gary Hendler, Präsident und CEO von Eisai Europa, Nahost und Afrika (EMEA). Das Unternehmen werde sich dennoch weiterhin um Gespräche mit dem G-BA bemühen, um eine Lösung für diejenigen Patienten zu finden, die auf neue Epilepsiebehandlungen wie Perampanel angewiesen seien.7

 

Eisai hat vor Kurzem die Zulassung von Perampanel für eine neue Indikation bei der EMA beantragt: Auf Basis der Daten aus der randomisierten, multizentrischen, doppelblinden, placebokontrollierten Parallelgruppenstudie 332 bezieht sich der Antrag zur Zulassungserweiterung vom 25.8.2014 auf die Zusatztherapie bei primär generalisierten tonisch-klonischen Anfällen (primary generalised tonic-clonic seizures, PGTC-Anfälle).8

 

Perampanel ist in über 35 Ländern weltweit verfügbar.7 Der hochselektive, nicht-kompetitive Antagonist des Glutamat-Rezeptortyps AMPA ist als Zusatztherapie für Patienten ab 12 Jahren mit fokalen Anfällen (mit oder ohne sekundäre Generalisierung) indiziert.9

 

 

Perampanel und der G-BA: Vorgeschichte

 

  • Perampanel (Fycompa®) war am 23. Juli 2012 von der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) als erstes und bislang einziges Antiepileptikum zugelassen worden, das selektiv an AMPA-Rezeptoren angreift und damit als First-in-Class-Antiepileptikum eine neue Wirkstoffklasse vertritt.
  • Im Frühjahr 2013 gab der G-BA im Rahmen der frühen Nutzenbewertung bekannt, dass „der Zusatznutzen im Verhältnis zur zweckmäßigen Vergleichstherapie“ nicht belegt sei.1
  • Daraufhin hatten Fachgesellschaften (DGfE und DGN), Patientenorganisationen und Hersteller mehrfach Widerspruch eingelegt und den G-BA aufgefordert, bei der Beurteilung von Perampanel auf die fach- und krankheitsspezifischen Besonderheiten der Epilepsietherapie einzugehen und dazu einen konstruktiven Dialog angeboten.10,11
  • Das Unternehmen Eisai stellte einen neuen Antrag zur Nutzenbewertung, dem der G-BA am 6. Februar 2014 stattgab. Dies wurde mit der Maßgabe verbunden, die Neubewertung auf der Grundlage derjenigen Daten vorzunehmen, die bereits Gegenstand der ersten Dossiereinreichung gewesen waren (Beratungsgespräch vom 23.10.2013).
  • Für die Wahl der zweckmäßigen Vergleichstherapie nahm der G-BA eine Neufassung vor, die von den Fachgesellschaften begrüßt wurde, da sie der individuellen antiepileptischen Therapiewahl bei refraktärer Epilepsie besser gerecht wird.3 Das methodische Vorgehen des G-BA wurde hingegen beibehalten, so dass auch der zweite Beschluss des G-BA auf methodischen statt auf klinischen Überlegungen basierte.

 

 

Warum erfordert die Ausgangssituation in der Epilepsie alternative Bewertungskriterien?

 

Epilepsien haben erhebliche soziökonomische Folgen, die für den Patienten nicht nur zum Führerschein- und Arbeitsplatzverlust, sondern auch zur sozialen Ausgrenzung und Stigmatisierung führen können.3 Das Erreichen von Anfallsfreiheit bzw. die Reduktion von Anfällen gehört daher zu den wichtigsten Zielen der Epilepsietherapie.

 

Allerdings handelt es sich bei den Epilepsien um eine heterogene Gruppe sehr unterschiedlicher Erkrankungen, die sich ätiologisch, im Verlauf sowie im Therapiemanagement erheblich voneinander unterscheiden.3 Gleichzeitig reagieren Epilepsie-Patienten auf die Behandlung mit Antiepileptika ausgesprochen individuell – selbst, wenn sie an der gleichen Form der Epilepsie erkrankt sind. Ein Anteil von etwa 30% aller Epilepsie-Patienten, d.h. ca. 200.000 Patienten in Deutschland, spricht auf die bislang verfügbaren medikamentösen Therapieoptionen nicht an:3 Definitionsgemäß werden Patienten mit Epilepsie als pharmakoresistent bezeichnet, wenn sie auf mehr als zwei Antiepileptika nicht angesprochen haben.12 Diese Patientengruppe ist dringend auf neue Therapieoptionen und innovative Wirkansätze angewiesen.3

 

Aufgrund des individuellen und heterogenen Ansprechprofils der therapierefraktären Patienten ist die Definition eines Zusatznutzens für ein neues Antiepileptikum über einen alleinigen direkten oder indirekten Gruppenvergleich nicht möglich. Die Fachgesellschaften plädieren daher für einen pragmatischen Ansatz und für die Bewertung neu zugelassener Antiepileptika durch das IQWiG und den G-BA einen Zusatznutzen anzuerkennen, wenn die Wirksamkeit an einer bislang pharmakoresistenten Gruppe von Patienten in adäquaten Studien nachgewiesen wurde (d.h. als das klinisch relevante und statistisch signifikante Ansprechen nach den Zulassungskriterien von >50% Anfallsreduktion).2,3

 

 

Perampanel in der Praxis

 

Die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Perampanel als Zusatztherapie bei der Behandlung von fokalen Anfällen wurde sowohl in den Zulassungsstudien als auch im klinischen Praxisalltag nachgewiesen:13 In einer multizentrischen, sechsmonatigen Beobachtungsstudie an neun Epilepsie-Zentren in Deutschland und Österreich erzielte die Hälfte der 281 Patienten mit hochrefraktärer Epilepsie unter Perampanel eine mindestens 50%ige Besserung der Anfallshäufigkeit. Dabei erzielten 15% der Patienten im Beobachtungszeitraum sogar Anfallsfreiheit.13

 

 

Referenzen 

  1. Nutzenbewertungsverfahren zum Wirkstoff Perampanel. Verfügbar unter: http://www.g-ba.de/informationen/nutzenbewertung/39/#tab/beschluesse – (letzter Zugriff: 02/2015)
  2. Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie (DGfE) für die Nutzenbewertung und den praktischen Einsatz neu zugelassener Antiepileptika (AED) vom 25.05.2013. Verfügbar unter: http://www.dgfe.info/cweb2/cgi-bin-noauth/cache/VAL_BLOB/5037/5037/1354/Empfehlung%20Nutzenbewertung%20neue%20Antiepileptika%20DGfE%2025052013.pdf (letzter Zugriff: 02/2015)
  3. Stellungnahme der DGfE zur Nutzenbewertung Perampanel vom 4.9.2014. Verfügbar unter: http://www.dgfe.info/cweb2/cgi-bin-noauth/cache/VAL_BLOB/5583/5583/1459/Stellungnahme%20zur%20Nutzenbewertung%20Perampanel%202014.pdf  (letzter Zugriff: 02/2015)
  4. Stellungnahme der Epilepsie-Selbsthilfeverbände Deutschlands zur Nutzenbewertung des Antiepileptikums Fycompa® (Wirkstoff: Perampanel) durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) vom 15.08.2014. http://www.epilepsie-vereinigung.de/2014/09/stellungnahme-der-epilepsie-selbsthilfeverbaende-deutschland/ (letzter Zugriff: 02/2015)
  5. Stellungnahme der DGfE zur Nutzenbewertung von Perampanel: Beschluß des G-BA geht zu Lasten der Patienten. Verfügbar unter: http://www.dgfe.info/home/index,id,552,selid,3736,type,VAL_MEMO.html – (letzter Zugriff: 02/2015)
  6. Gemeinsame Stellungnahme der Epilepsie-Selbsthilfeverbände Deutschlands – 14.11.2014: Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA) gefährdet Fortschritte in der Epilepsie-Behandlung. Verfügbar unter:  http://www.epilepsie-vereinigung.de/wp-content/uploads/2014/11/Stellungnahme-der-Epilepsieselbsthilfe-Deutschland-vom-14.11.14-zuG-BA-Entscheidung-Perampanel-vom-06.11.14.pdf – (letzter Zugriff: 02/2015)
  7. Pressemitteilung von Eisai (6.11.2014): „Eisai fassungslos angesichts des Beschlusses des Gemeinsamen Bundesausschusses, der die Bedürfnisse von Epilepsie-Patienten ignoriert und den nachgewiesenen Zusatznutzen des First-in-Class Medikaments Fycompa® (Perampanel) nicht anerkennt“.
  8. Pressemitteilung von Eisai (25.08.2014): „Eisai beantragt EU-Marktzulassung für Fycompa® (Perampanel) als Zusatztherapie bei primär generalisierten tonisch-klonischen Anfällen“.
  9. Fycompa® (Perampanel) Fachinformation, Stand November 2013.
  10. Stellungnahme zu Perampanel April 2013: Deutsche Gesellschaft für Epileptologie e.V. (DGfE) und Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN) Stellungnahmen der DGfE/DGN – Verfügbar unter: http://www.dgfe.info/home/index,id,552,selid,3736,type,VAL_MEMO.html – (letzter Zugriff: 02/2015)
  11. Pressemitteilung von Eisai (7.3.2013): „Eisai ist entsetzt über die Entscheidung des G-BA zum innovativen Antiepileptikum Fycompa®“.
  12. Kwan P, Arzimanoglou A, Berg AT, Brodie MJ, Allen Hauser W, Mathern G, Moshé SL, Perucca E, Wiebe S, French J. Definition of drug resistant epilepsy: consensus proposal by the ad hoc Task Force of the ILAE Commission on Therapeutic Strategies. Epilepsia. 2010; 51: 1069-1077.
  13. Steinhoff BJ, Hamer H, Trinka E, Schulze-Bonhage A, Bien C, Mayer T, Baumgartner C, Lerche H, Noachtar S. A multicenter survey of clinical experiences with perampanel in real life in Germany and Austria. Epilepsy Res. 2014;108(5):986-988.

 


Quelle:  Eisai, 19.02.2015 (tB).

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