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Masern

Hohes Risiko von tödlichen Spätfolgen

 

Würzburg (16. Juli 2013) – Nach einer Maserninfektion tragen vor allem Kleinkinder ein hohes Risiko, noch Jahre später an einer tödlichen Gehirnentzündung zu erkranken. Eine neue Studie zeigt jetzt: Das Risiko ist deutlich höher als angenommen. „Masern waren eine der meistgefürchteten und tödlichsten Seuchen der Welt. Dann kam die Impfung, und der Schrecken der vermeintlichen Kinderkrankheit geriet in Vergessenheit. Jetzt breiten sich die Viren auch in Deutschland wieder aus – als Spätfolge von Impfmüdigkeit und Fehlinformationen.“ Mit dieser Schlagzeile hat erst vor Kurzem der Spiegel über die „Spätfolgen der Impfangst“ berichtet. Nachrichten über Masern-Ausbrüche in Bayern, Berlin und Nordrhein-Westfalen waren der Meldung voraus gegangen.

 

Dass eine Maserninfektion vor allem bei Kleinkindern mit einem hohen Risiko für tödliche Komplikationen einhergeht, haben jetzt Wissenschaftler der Universität Würzburg und vom Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit in Oberschleißheim gezeigt. Galt früher die Annahme, dass eine spezielle Spätkomplikation der Masern in einem von 100.000 Fällen auftritt, berechneten sie das Durchschnittsrisiko für Kinder unter fünf Jahren auf einen Wert von 1 zu 3300. Ihre Studie haben die Forscher in der Fachzeitschrift PLOS One veröffentlicht.


SSPE: die gefürchtete Spätkomplikation

Subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE): So lautet der Fachausdruck für die gefürchtete Spätkomplikation einer Maserninfektion – eine Entzündung des Gehirns. „Die SSPE betrifft vor allem Kinder und tritt in der Regel erst mehrere Jahre nach der akuten Masern-Erkrankung auf. Sie führt zu einem schleichenden Verlust aller geistigen Fähigkeiten und endet im Wachkoma, in dem die Betroffenen nach wenigen Monaten oder auch Jahren versterben. Eine Behandlung der SSPE ist nicht möglich“, schildert Benedikt Weißbrich die Symptome dieser Krankheit. Weißbrich ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Virologie und Immunbiologie der Universität Würzburg und einer der Koordinatoren der Studie.

In der älteren Literatur wurde das Risiko für das Auftreten einer SSPE nach einer akuten Masernerkrankung mit 1 zu 100.000 angegeben. „Neuere Studien aus Großbritannien und den USA legten jedoch nahe, dass das Risiko deutlich größer ist“, sagt Weißbrich. Möglicherweise ist das Risiko im Lauf der Zeit gestiegen. Genauso gut sei es aber auch denkbar, dass die Fallzahlen vor allem von sehr jungen Kindern nicht richtig erfasst wurden. Tatsächlich ist die Berechnung des SSPE-Risikos schwierig, weil zwischen der akuten Maserninfektion und der SSPE-Erkrankung viele Jahre vergehen können.


31 SSPE-Fälle in sechs Jahren

Für Deutschland gab es hierzu bisher keine Daten. Aus diesem Grund haben das Institut für Virologie und Immunbiologie der Universität Würzburg und das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit eine gemeinsame Studie durchgeführt und das SSPE-Risiko untersucht.

„Wir haben SSPE-Fälle bei Kindern erfasst, die im Zeitraum zwischen 2003 bis 2009 in deutschen Kliniken behandelt worden waren“, erklärt Weißbrich. Als Datenquelle dienten die an der Universität Würzburg diagnostizierten SSPE-Fälle sowie die „Erhebungseinheit für seltene pädiatrische Infektionen in Deutschland“ (ESPED). Insgesamt 31 Kinder mit der Diagnose SSPE konnten die Forscher ermitteln. Um nun das SSPE-Risiko berechnen zu können, mussten sie im nächsten Schritt herausfinden, wann und wo diese Kinder an Masern erkrankt waren. „Diese Informationen waren zwar lückenhaft, aber für 13 Kinder konnte angenommen werden, dass im Zeitraum von 1994 bis 2001 eine Maserninfektion in Deutschland stattgefunden hatte“, sagt Weißbrich. Alle Kinder waren zum Zeitpunkt der Maserninfektion jünger als fünf Jahre.

Die Gesamtzahl der Masern-Erkrankungen in diesem Zeitraum konnten die Wissenschaftler aus der Krankenhausstatistik für die betroffene Altersgruppe extrapolieren. Sie betrug 42.600. Somit ergab sich ein SSPE-Risiko von 1 zu 3.300 nach Masernvirus-Infektionen in den ersten fünf Lebensjahren.


Fatale Konsequenzen für das erste Lebensjahr

„Unsere Studie liefert zum ersten Mal Daten zur Häufigkeit von SSPE-Fällen in Deutschland und zeigt, dass das Risiko einer SSPE bei Maserninfektionen in den ersten Lebensjahren beträchtlich und keinesfalls zu vernachlässigen ist“, fasst Weißbrich die Ergebnisse zusammen. Weiterhin zeige die Studie, dass das berechnete Durchschnittsrisiko von 1 zu 3.300 für die Altersgruppe unter fünf Jahren für Kinder im ersten Lebensjahr wahrscheinlich deutlich höher ist und für Kinder im fünften Lebensjahr entsprechend niedriger.

Das allerdings hat besondere Konsequenzen: Zwar schützt eine Masern-Impfung vor SSPE. Sie wird aber erst ab dem vollendeten elften Lebensmonat durchgeführt. „Gerade Kinder im ersten Lebensjahr, für die das SSPE-Risiko am höchsten ist, können somit durch eine Masern-Impfung nicht vor der SSPE geschützt werden“, warnt Weißbrich und appelliert deshalb dringend an alle Eltern, ihre Kinder impfen zu lassen. „Nur wenn so viele Menschen wie möglich gegen Masern immun sind, ist es möglich, die Krankheit zu eliminieren, und damit Kinder im ersten Lebensjahr vor einer schrecklichen Krankheit zu schützen“, sagt der Forscher. Aktuelle Meldedaten mit bisher schon mehr als 1000 Masernfällen im Jahr 2013 zeigten jedoch, dass Deutschland davon noch weit entfernt ist.


Stichwort Masern

Bei Masern handelt es sich um eine Virusinfektion, an der jährlich weltweit immer noch mehr als 100.000 Kinder sterben. Auch in Deutschland kommt es immer wieder zu Todesfällen durch Masern. Diese sind zum einen auf Komplikationen der Masern-Infektion zurückzuführen, die während der akuten Erkrankung auftreten, wie beispielsweise Gehirn- und Lungenentzündungen. Zum anderen verursacht das Masernvirus als Spätkomplikation die oben geschilderte Gehirnentzündung SSPE, die nahezu immer tödlich verläuft.

 

  • Schönberger K, Ludwig M-S, Wildner M, Weissbrich B (2013) Epidemiology of Subacute Sclerosing Panencephalitis (SSPE) in Germany from 2003 to 2009: A Risk Estimation. PLoS ONE 8(7): e68909. doi:10.1371/journal.pone.0068909

 

 

Weitere Informationen

 

 


 

Quelle: Julius-Maximilians-Universität Würzburg, 16.07.2013 (tB).

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