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Im Gleichtakt mit dem Mond

 

Würzburg (27. Januar 2021) — Hat der Mond Einfluss auf den Menstruationszyklus der Frau? Diese Frage wird seit Langem heiß diskutiert. Eine neue Studie Würzburger Chronobiologen spricht jetzt für solch einen Einfluss. Es ist allerdings kompliziert.

Der Blog „Ladyplanet. Natürlich Frau sein“ ist sich sicher: „Unser Zyklus ist an den des Mondes gekoppelt. Die offensichtlichste Verbindung ist die Länge der beiden Zyklen“, ist dort zu lesen. Zum gegenteiligen Schluss kommt der Berliner Tagesspiegel: „Die Zykluslänge der Frauen ist ein Durchschnittswert, bei einigen dauert er länger, bei anderen ist er kürzer. Selbst ein und dieselbe Frau kann unterschiedlich lange Zyklen haben. Gäbe es tatsächlich eine Verbindung zum Mond, sollten alle Frauen ihre fruchtbaren Tage zugleich haben“, heißt es dort im Wissensteil.

Was also stimmt? Ein Team um die Würzburger Chronobiologin Charlotte Förster hat jetzt den Zusammenhang von Mond- und Menstruationszyklus von Frauen mit wissenschaftlichen Methoden unter die Lupe genommen. Das Ergebnis: Vermutlich waren das menschliche Fortpflanzungsverhalten und der Zyklus der Frau noch in der Antike synchron mit dem Mondzyklus. Moderne Lebensgewohnheiten und künstliches Licht haben diesen Gleichtakt allerdings heute weitgehend verändert. Förster ist Inhaberin des Lehrstuhls für Neurobiologie und Genetik der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU). Die Ergebnisse ihrer Studie sind jetzt online in der Fachzeitschrift Science Advances veröffentlicht.


Korrelation zwischen Mondphasen, Schwangerschaft und Geburtenrate

„Wir kennen viele Tierarten, bei denen das Fortpflanzungsverhalten mit dem Mondzyklus synchronisiert ist, um so den Fortpflanzungserfolg zu erhöhen“, sagt Charlotte Förster. Nachdem der Menstruationszyklus von Frauen ähnlich lang ist wie der Mondzyklus mit seinen rund 29,5 Tagen, liege der Verdacht nahe, dass es auch bei ihnen einen Zusammenhang gibt. Dafür sprechen auch eine Reihe weiterer Befunde: So zeigen mehrere ältere Studien, dass Frauen, deren Zyklen im Gleichtakt mit dem des Mondes schwingen, die höchste Wahrscheinlichkeit haben, schwanger zu werden. Zwei große Längsschnittstudien weisen eine signifikante Korrelation zwischen Geburtenrate und Mondphase nach mit einem leichten Anstieg der Geburtenrate bei Vollmond und einer entsprechenden Absenkung zu Neumond. Neuere Erkenntnisse deuten darüber hinaus darauf hin, dass Geburten bei Vollmond eher in der Nacht stattfinden und bei Neumond eher tagsüber.

Um den Einfluss des Mondes auf die menschliche Fortpflanzung zu klären, haben Förster und ihre Kollegen aus München, Buenos Aires und den USA den Verlauf der Menstruationszyklen von 22 Frauen untersucht, die darüber Tagebuch geführt haben – teilweise über einen Zeitraum von 32 Jahren hinweg. „Unseres Wissens nach wurde dieser Ansatz zur Auswertung solcher Langzeitdaten bisher noch nicht verwendet“, sagt Förster. Stattdessen hätten frühere Studien eine große Anzahl von Frauen in ihrer Gesamtheit analysiert, wobei die Ergebnisse verschiedener Frauen, Altersgruppen, Jahre und Jahreszeiten kombiniert wurden.


Der Mond kreist in mehreren Zyklen um die Erde

Die Aufzeichnungen der 22 Frauen hat das Team jeweils mit dem Mondzyklus korreliert. Wobei „Mondzyklus“ eigentlich eine unzulässige Vereinfachung darstellt. „Wissenschaftlich betrachtet, weist der Mond drei verschiedene Zyklen auf, die seine Helligkeit und die Schwerkraft, mit der er auf der Erde einwirkt, periodisch verändern“, sagt Förster. Da gibt es zum einen den Wechsel zwischen Voll- und Neumond, der sich – mit leichten Schwankungen – im Durchschnitt alle 29,53 Tage vollzieht. Zum zweiten kreist der Mond nicht auf einer festen Bahn um die Erde; stattdessen schwankt seine Position relativ zum Äquator. Mal steht er mehr im Norden, mal mehr im Süden. Dieser Zyklus dauert 27,32 Tage. Ein wenig länger ist der dritte Zyklus mit durchschnittlich 27,55 Tagen. Er ergibt sich aus der Tatsache, dass der Mond auf einer elliptischen Bahn die Erde begleitet und ihr dementsprechend mal näher, mal ferner ist.

All diese Zyklen beeinflussen die Intensität des Mondlichts und die Schwerkraft, die beispielsweise in den Gezeiten sichtbar wird, auf unterschiedliche Weise. Zusätzlich stehen sie in Wechselwirkung zueinander und können in größeren Abständen zu besonderen Konstellationen führen, die mit besonderen Phänomen einhergehen, wie etwa einer Sonnenfinsternis, die Teil eines festen Zyklus ist, in dem sich rund alle 18 Jahre eine solche Verdunklung der Sonne wiederholt.


Mondlicht ist der stärkste Taktgeber

„Alle drei Mondzyklen beeinflussen das Einsetzen der Menstruation bei Frauen“: So lautet das Urteil der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach Auswertung der Aufzeichnungen der Studienteilnehmerinnen. Dabei scheint das nächtliche Mondlicht der stärkste Taktgeber zu sein, aber die Gravitationskräfte des Mondes tragen ebenfalls dazu bei.

Natürlich: Nicht alle Frauen folgen dem Wechsel von Hell und Dunkel am nächtlichen Himmel – und wenn, dann normalerweise auch nur für gewisse Zeiträume. Im Durchschnitt verläuft bei Frauen unter 35 Jahren die Menstruation in knapp einem Viertel der aufgezeichneten Zeit synchron mit dem Voll- oder Neumond. Bei Frauen jenseits der 35 ist dies im Durchschnitt in nur noch knapp einem Zehntel der Zeit der Fall. Nicht nur mit dem Alter nimmt die Übereinstimmung von Mond- und Menstruationszyklus ab: Sie scheint auch in dem Maß zu sinken, in dem Frauen des Nachts künstlichen Lichtquellen ausgesetzt sind. Typische „Nachteulen“, die spät zu Bett gehen und dementsprechend lange das Licht brennen lassen, zeigen jedenfalls keine offensichtliche Synchronisation mit dem Mond.


Ein Sinn für die Schwerkraft

Dass die Synchronisation nur sporadisch auftritt, und sich die Frauen in den Verläufen ihrer Menstruationszyklen voneinander unterscheiden, spricht nach Ansicht der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dafür, dass der Hell-Dunkel-Zyklus des Mondes allein kein starker Taktgeber ist. Sie halten es deshalb für wahrscheinlich, dass auch die Schwerkraft die Monatszyklen beeinflusst. „In den zweiten Hälften der Jahre 1961, 1979, 1997 und 2015 waren die Menstruationszyklen von sieben von neun Frauen synchron mit dem Wechsel von Voll- und Neumond“, sagt Charlotte Förster. Dieser Intervall von 18 Jahren entspricht exakt dem Rhythmus, in dem sich die drei Mondzyklen zu ganz besonderen Konstellationen kombinieren. Diese Konjunktion könnte die Stärke des Mondes als Taktgeber verstärkt haben.

Die Beobachtung, dass die Schwerkraft Menschen einen Rhythmus vorgibt, könnte erklären, warum bestimmte Zyklen, wie beispielsweise Menstruation, aber auch Schlafbeginn und Schlafdauer, vorübergehend entweder an den Vollmond oder den Neumond gekoppelt sind: In beiden Phasen ist der Einfluss der Schwerkraft des Mondes auf die Erde ähnlich groß. Effekte der Schwerkraft könnten auch die Beobachtung einer Studie erklären, nach der sowohl der Schlafbeginn als auch die Schlafdauer von Studierenden mit dem Mondzyklus synchron laufen – obwohl sie in Seattle leben, einer Stadt, die auch nachts so hell ist, dass das Mondlicht kaum wahrnehmbar ist.

Für Förster und ihre Kollegen legen all diese Beobachtungen den Schluss nahe, dass der menschliche Organismus nicht nur auf schnelle Änderungen der Schwerkraft, wie sie das Gleichgewichtssystem wahrnimmt, reagieren kann, sondern auch auf langsame, periodisch wiederkehrende Gravitationsänderungen. Dabei sind sich die Wissenschaftler allerdings der eingeschränkten Aussagekraft ihrer Studie aufgrund der relativ geringen Anzahl der untersuchten Frauen bewusst. Ihre Hoffnung richtet sich deshalb auf den Einsatz so simpler wie moderner Technik: einer Handy-App. Damit werde es möglich, die Beziehung von Menstruations- und Mondzyklen und den Einfluss von künstlichem Licht bei einer großen Anzahl von Frauen auf der ganzen Welt zu untersuchen.

Originalpublikation

  • Women temporarily synchronize their menstrual cycles with the luminance and gravimetric cycles of the Moon. C. Helfrich-Förster, S. Monecke, I. Spiousas, T. Hovestadt, O. Mitesser, T. A. Wehr. Sciences Advances, 27. Januar 2021. DOI: 10.1126/sciadv.abe1358

 

 


Quelle: Julius-Maximilians-Universität Würzburg, 27.01.2021 (tB).

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