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Kein Anhaltspunkt für einen Nutzen von EMDR bei Angststörungen

 

  • Schwache Studien liefern unzureichende Daten

 

Köln (8. Oktober 2019) — Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR) wird bislang hauptsächlich in der Traumatherapie eingesetzt. Hier bezahlen die Krankenkassen die Behandlung. Traumatische Ereignisse sollen dabei mit Hilfe der Aktivierung beider Gehirnhälften, zum Beispiel durch das Verfolgen eines hin und her bewegten Fingers mit den Augen, aufgearbeitet werden. Im Auftrag des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat nun eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe der Universität Witten/Herdecke und der Fernuniversität Hagen untersucht, ob eine EMDR-Behandlung auch bei Angststörungen hilft. Die schlechte Studienlage lässt allerdings keine Aussagen zum Nutzen und Schaden von EMDR bei Angststörungen zu. Geeignete Studien zur gesundheitsökonomischen Bewertung fehlen ebenfalls.

Zu diesem vorläufigen HTA-Bericht bittet das Institut nun bis zum 04. November 2019 um Stellungnahmen. Es handelt sich dabei um ein sogenanntes Health Technology Assessment (kurz: HTA) in dem durch Gesetzesauftrag 2016 gestarteten IQWiG-Verfahren ThemenCheck Medizin. Die Fragestellungen der HTA-Berichte gehen stets auf Vorschläge von Bürgerinnen und Bürgern zurück – auch für den vorliegenden Bericht.

 

Angststörungen sind keine Seltenheit

Angststörungen sind in Deutschland mit rund 15 Prozent in der Bevölkerung häufiger als alle anderen psychischen Störungen. Frauen sind mit rund 21 Prozent öfter betroffen als Männer mit rund 9 Prozent.

Angststörungen treten auf, ohne dass sich die Patientinnen und Patienten in einer objektiv bedrohlichen Situation befinden. Dabei unterscheidet man zwei Gruppen: Bei phobischen Störungen wird die Angst durch bestimmte Reize oder Situationen ausgelöst (z. B. Menschenmengen, Tiere, Ärzte oder Höhe). Bei Patientinnen und Patienten mit „anderen Angststörungen“ treten sie unabhängig von externen Auslösern auf (z.B. plötzliche Panikattacken oder belastende Angstzustände im Alltag, deren Auslösung nicht nachvollziehbar ist).

Als Ursachen für Angststörungen werden sowohl psychosoziale, psychologische und genetische als auch medizinische Ursachen diskutiert, die sich je nach Typ der Angststörung unterscheiden können. Je nach Ausprägung der Symptome kann es zu starken Einschränkungen im Leben der Betroffenen kommen: Angstbesetzte Situationen werden oft vermieden, sodass der soziale Kontakt beeinträchtigt sein kann. Das Ausüben eines Berufes oder sogar Alltagsaktivitäten wie Einkaufen oder Straßenbahnfahren sind zuweilen unmöglich.

 

Gehirntraining soll Ängste mindern

Die klassische EMDR-Methode folgt dem Behandlungsprotokoll von Dr. Francine Shapiro, die das Verfahren Ende der 1980er Jahre entwickelt hat: Nach einer Stabilisierungsphase wird in der Therapie ein prägnantes Bild des angstauslösenden Ereignisses identifiziert. Während die Patientin oder der Patient sich dieses Bild wieder vorstellt, leitet die Therapeutin oder der Therapeut dazu an, die Augen von Seite zu Seite zu bewegen, indem über einen kurzen Zeitraum zwei Finger im Blickfeld der Patientin oder des Patienten hin und her bewegt werden. Alternativ dazu können auch Töne im Wechsel rechts und links abgespielt werden oder die Patientenhände werden wechselweise berührt.

Durch die wechselnden optischen, akustischen oder Berührungsreize soll neurobiologisch eine beidseitige Stimulation der beiden Gehirnhälften erzeugt werden. Nach mehreren Wiederholungen der EMDR-Behandlung sollte die negative Reaktion auf die Erinnerung immer schwächer werden – die Angststörung wird abgebaut.

 

Studien ohne Aussagekraft

Zwar haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler 22 für die Fragestellung relevante Studien identifizieren können – wegen ausgeprägter methodischer Mängel dieser Studien (hohes Verzerrungspotenzial, ungeeignete Vergleichsgruppen, zu kurze Nachbeobachtung nach der Intervention oder auch mangelhafte Aussagen zur Randomisierung) konnten sie daraus aber keinen Anhaltspunkt für einen Nutzen der EMDR-Behandlung bei Angststörungen im Vergleich zu etablierten Therapieverfahren oder auch im Vergleich zu keiner Behandlung ableiten. Dies gilt für die patientenrelevanten Endpunkte Angst, Depression, angstspezifische Effekte wie Vermeidungsverhalten oder körperliche Symptome, gesundheitsbezogene Lebensqualität und psychosoziale Aspekte.

 

Keine geeigneten gesundheitsökonomischen Studien

Weil das Wissenschaftsteam keine geeigneten Studien identifizieren konnte, bleibt die gesundheitsökonomische Bewertung der Behandlung von Angststörungen mit EMDR ebenfalls offen.

 

Das IQWiG bittet um Stellungnahmen und Themen-Vorschläge

Interessierte Personen und Institutionen können nun bis zum 06. November 2019 schriftliche Stellungnahmen zum vorläufigen HTA-Bericht „Angststörungen: Führt der ergänzende Einsatz der Eye Movement Desensitization and Reprocessing Therapie bei psychotherapeutischen Behandlungs- und Anwendungsformen zu besseren Ergebnissen?“ beim IQWiG einreichen. Diese werden ausgewertet und gegebenenfalls in einer mündlichen Anhörung mit den Stellungnehmenden diskutiert. Danach wird der vorläufige HTA-Bericht finalisiert. Außerdem schreiben die Autorinnen und Autoren eine allgemein verständliche Version (HTA kompakt), und das IQWiG ergänzt das Paket um einen Herausgeberkommentar.

Alle Dokumente werden auf der Website „ThemenCheck-Medizin.iqwig.de“ veröffentlicht sowie an den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) und das Bundesgesundheitsministerium (BMG) übermittelt.

Unabhängig von diesem HTA-Bericht ist es jederzeit möglich, Vorschläge für neue Themen einzureichen. Sie werden in der nächsten ThemenCheck-Auswahlrunde begutachtet, die im August 2020 beginnt.

 

Weiterführende Informationen

 


Quelle: Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), 08.10.2019 (tB).

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