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IQWiG: Schlaganfallbehandlung:

Dipyridamol plus ASS bietet keine Vorteile

 

  • Zusatznutzen gegenüber ASS und Clopidogrel ist nicht belegt

  • Schwere Blutungen treten bei Kombinationsbehandlung häufiger auf

 

Berlin (11. April 2011) – Nach einem Schlaganfall ist die Kombination der beiden gerinnungshemmenden Wirkstoffe Dipyridamol und Acetylsalicylsäure (ASS) einer alleinigen Gabe von ASS oder Clopidogrel nicht überlegen. Sie bietet Patientinnen und Patienten keine Vorteile etwa in Form von weniger Folgekomplikationen oder einer geringeren Rate von erneuten Schlaganfällen. Es gibt aber Belege für einen höheren Schaden, denn insbesondere schwere Blutungen treten unter Dipyridamol plus ASS häufiger auf. Zu diesem Ergebnis kommt der am 11. April 2011 veröffentlichte Abschlussbericht des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG).

 

 

Behandlung soll weitere Schlaganfälle und Folgekomplikationen verhindern

 

Bei einem Schlaganfall werden Teile des Gehirns plötzlich nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt. Ursache ist in den meisten Fällen eine Gefäßverkalkung oder ein eingeschwemmtes Blutgerinnsel (ischämischer Schlaganfall). Bei Patientinnen und Patienten, die einen Schlaganfall überlebt haben, treten häufig weitere Schlaganfälle auf. Zudem haben sie ein hohes Risiko für andere Herz-Kreislauf-Komplikationen wie etwa Herzinfarkte. Deshalb spielt gezielte Vorbeugung gegen Folgeerkrankungen, die sogenannte Sekundärprävention eine wichtige Rolle.

 

Dabei werden unter anderem Medikamente eingesetzt, die dafür sorgen, dass das Blut nicht so schnell gerinnt. Medikamente aus der Gruppe der Thrombozytenaggregationshemmer hemmen die Funktion der Blutplättchen. Sie verhindern, dass die Blutplättchen an verletzten Blutgefäßen oder aneinander haften und auf diese Weise Blutgerinnsel formen können, die ein Gefäß verstopfen (Thrombozyt = Blutplättchen; Aggregation = Zusammenkleben, sich verbinden).

 

Drei wichtige Wirkstoffe aus dieser Gruppe sind: Acetylsalicylsäure (ASS), Clopidogrel und Dipyridamol, wobei ASS als der bekannteste und am besten untersuchte Plättchenhemmer gelten kann. Den Nutzen von Clopidogrel (im Vergleich mit ASS) in der Sekundärprävention bei Patienten mit Herz- und/oder Gefäßerkrankungen hatte das IQWiG bereits in einem früheren Bericht bewertet. Demnach gibt es keine Belege, dass Clopidogrel gegenüber ASS nach einem Schlaganfall einen Vorteil bietet.

 

 

Vergleich mit anderen Arzneimitteln und mit Scheinmedikament

 

Dipyridamol ist ein seit Jahrzehnten bekanntes Arzneimittel. Es ist für die Sekundärprävention nach (ischämischem) Schlaganfall in Deutschland nur in der Kombination mit ASS zugelassen. Das von der Firma Boehringer Ingelheim entwickelte und seit 2002 unter dem Handelsnamen Aggrenox ® vertriebene Präparat wird in mehreren Leitlinien für die Behandlung des ischämischen Schlaganfalls empfohlen. Allerdings werden Risiken von Dipyridamol in der Wissenschaft seit langem kontrovers diskutiert.

 

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hatte das IQWiG beauftragt zu prüfen, welchen möglichen Nutzen und Schaden die Kombinationsbehandlung bei Patientinnen und Patienten nach einem Schlaganfall oder nach einer sogenannten transitorisch ischämischen Attacke (TIA) haben können. Unter einer TIA versteht man allgemein einen Schlaganfall, dessen Symptome weniger als 24 Stunden bestehen. Dabei sollte Dipyridamol plus ASS sowohl mit einem Scheinmedikament (Placebo) als auch mit anderen Medikamenten verglichen werden.

 

 

Hersteller lieferte alle angeforderten Studiendaten

 

In die Nutzenbewertung einbeziehen konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler insgesamt 6 randomisierte kontrollierte Studien (RCTs). Bei 3 Studien handelt es sich um Kurzzeitstudien mit einer Dauer von 7 bis 30 Tagen, die übrigen liefen zwischen 1 und 4,5 Jahren. In einigen Studien wurden ASS und Dipyridamol gegen Placebo getestet, in anderen auch mit Einzelwirkstoffen (ASS oder Clopidogrel) verglichen. Eine Studie war bisher nicht publiziert. Boehringer Ingelheim, der Sponsor dieser Studie, lieferte dem IQWiG jedoch alle angeforderten Daten sowie Zusatzinformationen zu bereits publizierten Studien.

 

 

Negative Nutzen-Schaden-Bilanz im Vergleich zu ASS und Clopidogrel

 

Im Vergleich mit den Einzelwirkstoffen ASS oder Clopidogrel schneidet Dipyridamol plus ASS nicht besser ab: Weder reduziert die Kombinationsbehandlung effektiver als ASS oder Clopidogrel die Sterblichkeit, noch verhindert sie wirkungsvoller weitere Schlaganfälle oder andere gefäßbedingte Akut-Erkrankungen (z.B. Herzinfarkt). Auch bei keinem anderen der untersuchten und für Patienten bedeutungsvollen Aspekte der Therapie zeigte sich Dipyridamol plus ASS überlegen.

 

Das IQWiG fand aber Belege für höhere Schäden: So erlitten Patientinnen und Patienten in der Langzeittherapie mit Dipyridamol plus ASS insbesondere häufiger schwerwiegende Blutungen, bei Patientinnen und Patienten unter 65 Jahren kam es auch häufiger zu Blutungen innerhalb des Schädels. Für andere schwerwiegende Nebenwirkungen zeigten sich keine Unterschiede. Insgesamt brachen aber Teilnehmerinnen und Teilnehmer unter Kombinationstherapie die Studien häufiger wegen unerwünschter Ereignisse ab.

 

Studien, die Dipyridamol plus ASS mit einem Scheinmedikament (Placebo) verglichen, lieferten sowohl Hinweise auf einen Nutzen als auch auf einen Schaden: In der Langzeittherapie traten erneute, nicht tödliche Schlaganfälle seltener auf, Blutungen waren jedoch häufiger.

 

 

Kombinationspräparate müssen geprüft werden

 

Pharmafirmen entwickeln Kombinationspräparate in der Erwartung, dass sich so ein höherer Nutzen erreichen lässt als durch die Gabe von Einzelsubstanzen. Doch tatsächlich sind Kombinationen nicht immer überlegen und dann auch nicht sinnvoll. Denn Kombinationspräparate können Effekte haben, die sich aus den Effekten der Einzelsubstanzen nicht vorhersagen lassen. Nicht nur der Nutzen, sondern auch der Schaden kann in der Kombinationsbehandlung größer oder kleiner ausfallen. Das liegt daran, dass sich Wirkstoffe in der Kombination wechselseitig verstärken oder schwächen können.

 

So hatte der IQWiG-Bericht zu Clopidogrel und ASS bei der Behandlung des akuten Koronarsyndroms gezeigt, dass der Nutzen durch die Kombination dieser beiden Wirkstoffe steigt: Das Risiko für einen Herzinfarkt kann messbar sinken. Allerdings wächst auch das Risiko für Blutungen und damit der mögliche Schaden. Bei der Behandlung des Schlaganfalls hingegen waren klinische Studien zu dem Ergebnis gekommen, dass der Schaden deutlich stärker zunimmt als der Nutzen, wenn man ASS gemeinsam mit Clopidogrel verabreicht. Diese Kombinationsbehandlung von ASS und Clopidogrel ist nicht zur Vorbeugung von Schlaganfällen zugelassen.

 

Kombinationspräparate müssen deshalb auch als solche in klinischen Studien geprüft und mit den Einzelsubstanzen verglichen werden.

 

 

Einschluss der ESPRIT-Studie würde Fazit nicht ändern

 

Dem Auftrag des G-BA entsprechend wurden nur solche Studien eingeschlossen, in denen die Wirkstoffe auch entsprechend der Zulassung in Deutschland eingesetzt wurden. Das ist notwendig, weil die Nutzenbewertung die deutsche Versorgungssituation abbilden soll.

 

Aus diesem Grund konnte auch die so genannte ESPRIT-Studie nicht in den Bericht eingeschlossen werden. Auf diese Studie war im Stellungnahmeverfahren zum Vorbericht hingewiesen worden. Allerdings waren die Medikamente sowohl im Prüfarm als auch im Kontrollarm der Studie nicht zulassungskonform angewendet worden. So konnte Dipyridamol sowohl in freier Kombination als auch als Fixkombination verabreicht werden. Zudem wurde ASS anders, in der Regel niedriger dosiert. "Letztlich wurden nur 8% der Studienteilnehmer so behandelt, wie es die deutsche Zulassung des Kombinationspräparats vorsieht", erklärt Dr. Thomas Kaiser, Leiter des Ressorts Arzneimittelbewertung im IQWiG. "Mangels geeigneter Studien wissen wir nicht, ob die unterschiedlichen Dosierungen von ASS gleichwertig sind, insbesondere auch dann, wenn ASS zusammen mit Dipyridamol gegeben wird. Wir konnten die ESPRIT-Studie daher nicht einbeziehen", so Kaiser. Das IQWiG hat aber geprüft, wie sich ein Einschluss der Ergebnisse der ESPRIT-Studie auswirken würde: "Am Fazit des Berichts hätte sich auch dann nichts geändert", sagt Thomas Kaiser.

 

 

Zum Ablauf der Berichtserstellung

 

Die vorläufigen Ergebnisse, den sogenannten Vorbericht, hatte das IQWiG im September 2010 veröffentlicht und zur Diskussion gestellt. Nach dem Ende des Stellungnahmeverfahrens wurde der Vorbericht überarbeitet und als Abschlussbericht im Februar 2011 an den Auftraggeber versandt. Die schriftlichen Stellungnahmen werden in einem eigenen Dokument zeitgleich mit dem Abschlussbericht publiziert. Der Bericht wurde gemeinsam mit externen Sachverständigen erstellt.

 

Einen Überblick über Hintergrund, Vorgehensweise und weitere Ergebnisse des Abschlussberichts gibt folgende Kurzfassung: https://www.iqwig.de/download/A09-01_Kurzfassung_Abschlussbericht_Dipyridamol_ASS_nach_Schlaganfall_oder_TIA.pdf   (PDF, 104 kB).

 

 


Quelle: Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), 11.04.2011 (tB).

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