Neuropathologie – von der molekularen Forschung zur Verbesserung von Diagnostik und Therapie

Ist die Alzheimer-Demenz ansteckend?

 

München (17. September 2014) – Eine wichtige Aufgabe für die moderne Medizin ist die Translation, also die Umsetzung von neuen Erkenntnissen aus der Forschung in eine bessere medizinische Versorgung der Patienten. Hierbei spielt die Neuropathologie als Bindeglied zwischen der Arbeit im Labor und der direkten ärztlichen Krankenversorgung eine zentrale Rolle.


Zwei aktuelle Beispiele, die in dieser Woche auf dem Kongress Neurowoche 2014 in München intensiv diskutiert werden, sind die maßgeschneiderte Therapie von Hirntumoren sowie die Frage nach der Entstehung, Diagnose und Therapie der Alzheimer-Demenz und der Parkinson-Erkrankung. „Die Neuropathologie arbeitet zum Beispiel an der Frage, ob die Alzheimer-Demenz und die Parkinson-Erkrankung sich wie Prion-Erkrankungen über eine Kettenreaktion im Gehirn ausbreiten und sich damit ähnlich wie eine Infektionskrankheit verhalten können“, berichtet Professor Dr. Armin Giese heute auf der Neurowoche, in deren Rahmen die Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Neuropathologie und Neuroanatomie (DGNN) stattfindet.

„Es gibt derzeit keinen Hinweis, dass man sich mit Alzheimer oder Parkinson beim sozialen Kontakt oder bei der Pflege von Patienten anstecken kann. Mögliche Übertragungswege z.B. durch Operationen und Bluttransfusionen sind aber ein derzeit ungeklärtes Risiko – in Tierexperimenten konnten solche Mechanismen gezeigt werden“, so Professor Giese weiter. Die Forschung zeige aber nicht nur neue Risiken, sondern auch neue Chancen. Das bessere Verständnis der molekularen Krankheitsprozesse eröffnet Möglichkeiten für eine bessere Früherkennung und Therapie


Ein Beispiel für Translation: Tumormarker für die optimale Therapie

Die moderne neuropathologische Diagnostik bei Hirntumoren umfasst nicht nur die detaillierte mikroskopische Untersuchung der entnommenen Gewebeproben, sondern zunehmend auch die Analyse molekulargenetischer Biomarker. Diese Daten helfen nicht nur, die genaue Art des Tumors sicher zu bestimmen, sie liefern auch ein besseres Verständnis der Biologie des Tumorgewebes und sind wichtig für die Wahl der optimalen Therapie. Nur so kann jedem Patienten die für ihn und seinen Hirntumor jeweils individuell beste Therapie zukommen. Denn auf Grundlage umfangreicher wissenschaftlicher Daten kann zunehmend genau vorhergesagt werden, welche speziellen Medikamente oder Behandlungsverfahren wirksam sind und welche nicht. Dies trägt auch dazu bei, unwirksame Therapien und deren Nebenwirkungen zu vermeiden.


Ähnlich einer Infektion? Ausbreitung von Alzheimer-Demenz und Parkinson-Krankheit

Wie vielfältig der Fortschritt in der molekularen Erforschung für die klinische Medizin von Bedeutung ist, ist am Beispiel der neurodegenerativen Krankheiten Alzheimer und Parkinson zu sehen. Die neuropathologische Untersuchung des Gehirns von betroffenen Patienten zeigt, dass alle häufigen neurodegenerativen Krankheiten durch die Ablagerung von aggregierten (verklumpten) Eiweißen in den betroffenen Hirnregionen gekennzeichnet sind. Bei Alzheimer sind dies z.B. das A-Beta und das Tau-Protein, bei Parkinson das Protein Alpha-Synuclein.

Die aktuelle Forschung zeigt, dass diese Ablagerungen nicht nur Folge der Erkrankung, sondern ganz zentral für die Krankheitsentwicklung sind. Zum einen können solche Proteinaggregate die Nervenzellen direkt schädigen und die entsprechenden Funktionsverluste wie Gedächtnis- oder Bewegungsstörungen auslösen, zum anderen zeigen molekulare Untersuchungen, dass diese Aggregate auch für die Krankheitsausbreitung im Gehirn von entscheidender Bedeutung sind.

Wie bei der Creutzfeldt-Jakub-Krankheit schon länger erkannt, können fehlgefaltete und aggregierte Eiweiße diese Fehlfaltung und Aggregation mittels eines Domino-Effekts auf gesunde Eiweiße übertragen. Eine wesentliche Erkenntnis ist, dass sich auch Alzheimer, Parkinson und einige andere verwandte neurodegenerative Krankheiten Prion-artig im Gehirn ausbreiten können.


Eine Frage der Sicherheit: Sind Alzheimer und Parkinson übertragbar?

Die Erkenntnis der Prion-Ähnlichkeit ist durchaus zweischneidig: Zum einen stellt sich die Sicherheitsfrage, ob auch diese Krankheiten z.B. durch neurochirurgische Instrumente oder Blutspenden übertragbar sein könnten – eine wichtige, aber schwer zu beantwortende Frage, die auch im Rahmen der Neurowoche von den Experten diskutiert wird (siehe Veranstaltungshinweis unten). Zum anderen ergeben sich aber auch ganz konkrete Chancen. Ergebnisse im Reagenzglas, in Zellkultur und im Tierversuch zeigen, dass es vielversprechende neue Wirkstoffe gibt, die die pathologische Proteinaggregation stoppen können. Diese Wirkstoffe lassen eine kausale Therapie dieser bisher unheilbar fortschreitenden Krankheiten möglich erscheinen. Zudem zeigen neueste Studien, dass man die Prion-artige Vermehrung dieser fehlgefalteten Eiweiße auch nutzen kann, um diese im Reagenzglas zu vervielfältigen und damit einen wesentlich empfindlicheren Nachweis z.B. im Liquor oder Blut zu ermöglichen. Das eröffnet für die Zukunft die Chance, diese Krankheiten früher zu erkennen – bevor größere Schäden im Gehirn entstanden sind – und damit wesentlich erfolgreicher zu behandeln.


Über das Fachgebiet Neuropathologie

Die Neuropathologie befasst sich mit der Diagnose und der Erforschung von Krankheiten des Nervensystems und der Skelettmuskulatur. Die Diagnostik erfolgt anhand von Gewebeproben, wobei meist neurochirurgisch entfernte krankhafte Gewebe (Tumoren, degenerative Veränderungen, Entzündungen etc.) untersucht werden. Weiterhin werden in der Neuropathologie Biopsate aus dem Zentralnervensystem (Gehirn, Rückenmark), dem peripheren Nervensystem und der Skelettmuskulatur sowie die Nervenflüssigkeit (Liquor) untersucht, daneben auch Biopsate aus anderen Organen (z.B. Haut oder Darm), um Veränderungen am Nervensystem abzuklären. Neuropathologen spielen eine zentrale Rolle bei der Behandlung von Patienten mit einem Gehirntumor – der histologische und molekulare neuropathologische Befund ist wesentlich für Prognose und Therapie. An Tumorzentren entscheiden Neuropathologen zusammen mit Neurochirurgen, Neuroonkologen, Neuroradiologen und Strahlentherapeuten über die Behandlung von Patienten mit einem Tumor des Nervensystems. Die autoptische Untersuchung des Gehirns von verstorbenen Patienten macht heutzutage einen kleineren Teil der Tätigkeit eines Neuropathologen aus, ist aber nach wie vor eine wichtige Maßnahme der Qualitätssicherung und eine wichtige Grundlage für die bessere Erforschung von Erkrankungen des Nervensystems.

In der Forschung untersuchen Neuropathologen die Mechanismen der Entstehung von Krankheiten, um so letztlich zur Entwicklung besserer Therapien für neurologische Krankheiten beizutragen. Die deutschsprachige Neuropathologie erbringt Spitzenforschung im internationalen Maßstab, so im Bereich der Hirntumoren, der neurodegenerativen Krankheiten wie Alzheimer-Krankheit, Parkinson-Krankheit, frontotemporale Demenz und Prion-Krankheiten, der Multiplen Sklerose, der Epilepsie, der Hirngefäßkrankheiten wie Schlaganfall oder der Muskelkrankheiten. Wesentliche Gründe für die positive wissenschaftliche Entwicklung der letzten Jahre waren die institutionelle und fachärztliche Verselbständigung des Faches und die ganz überwiegend universitäre Ansiedelung neuropathologischer Einrichtungen.

 

Über die Neurowoche

Die Neurowoche, der größte interdisziplinäre Kongress der deutschsprachigen klinischen Neuromedizin, findet vom 15. bis 19. September 2014 in München statt. Unter dem Motto „Köpfe – Impulse – Potenziale“ tauschen sich bis zu 7000 Experten für Gehirn und Nerven über die medizinischen, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen in der Neuromedizin aus. Veranstalter ist die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN). Beteiligt an der Neurowoche sind die Gesellschaft für Neuropädiatrie (GNP), die Deutsche Gesellschaft für Neuropathologie und Neuroanatomie (DGNN) mit ihren Jahrestagungen sowie die Deutsche Gesellschaft für Neuroradiologie (DGNR) und die Deutsche Gesellschaft für Neurochirurgie (DGNC).

 

 

Weitere Informationen

 

 

 


Quelle: Deutsche Gesellschaft für Neurologie, 17.09.2014 (tB).

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