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Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN)

Zielgerichtete Vorbehandlung vor Transplantation statt Immunsuppression nach „Gießkannenprinzip“

 

Berlin (28. September 2018) – Auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) in Berlin stellte Prof. Dr. Martin Zeier, Universität Heidelberg, heute ein neuartiges Verfahren zur spezifischen Beeinflussung des Immunsystems nach (Nieren-) Transplantation vor, das zukünftig die nebenwirkungsreiche Immunsuppression obsolet machen könnte: Das TolerogenixX-Verfahren gewöhnt das Immunsystem des Empfängers vor der Transplantation an das Fremdgewebe und kann so Abstoßungen verhindern. Eine erste klinische Studie konnte bereits die Sicherheit des Verfahrens nachweisen.

In Deutschland leben gut 20.000 Menschen mit einer Spenderniere. Die Transplantation stellt aus medizinischer Sicht das beste Nierenersatzverfahren da, sie geht mit einer deutlich geringeren Sterblichkeitsrate als die Dialyse einher. Unabhängig davon wünschen sich nierenkranke Patienten in der Regel eine Transplantation, da sie dann nicht mehr von der Dialyse abhängig sind, der sie sich ansonsten dreimal pro Woche jeweils vier Stunden lang unterziehen müssen. Denn nur so kann die lebensnotwendige Reinigung des Bluts von Schadstoffen erfolgen– eine Aufgabe, die bei gesunden Menschen die Nieren übernehmen. Einige Patienten erhalten eine Lebendspende von ihrem Ehepartner oder einem Verwandten ersten Grades. Die Transplantation empfinden die meisten Patienten als ein großes Glück, da sie ihnen ermöglicht, ein nahezu „normales“ Leben zu führen.

Nahezu – denn transplantierte Patienten müssen (bislang) ihr Leben lang Medikamente einnehmen, damit der Körper das fremde Organ nicht abstößt. Bei den Medikamenten handelt es sich um sogenannte Immunsuppressiva, Wirkstoffe, die das Immunsystem schwächen und so Abwehrreaktionen des Körpers gegen das Organ unterbinden. Die Kehrseite der Medaille: Die Betroffenen sind anfällig für Infektionen und Krankheiten. Beispielsweise ist die Krebs-, insbesondere die Hautkrebsrate, bei Transplantierten deutlich erhöht. Hinzu kommen verschiedene Nebenwirkungen und Langzeitfolgen der Medikation, wie Posttransplantations-Diabetes oder Gefäßverkalkungen, die zu einer erhöhten Rate an kardiovaskulären Ereignissen führen. Hinzu kommt, dass die Immunsuppression auch keinen kompletten Schutz vor Abstoßungen bietet: Das 10-Jahres-Organüberleben liegt bei 60-70% [1], was bedeutet, dass jedes dritte Organ innerhalb einer Dekade verloren geht. Die akute Abstoßung spielt vor allem in den ersten Jahren nach Transplantation eine Rolle. Im Langzeitverlauf können ein Widerauftreten (Rekurrenz) der Grunderkrankung, chronische Abstoßungen und der Tod mit funktionierendem Nierentransplantat – in der Regel kardiovaskulär bedingt – das Transplantatüberleben beeinträchtigen. Gerade die beiden letztgenannten Faktoren sind potente „Driver“ für Transplantatverluste.

Die Transplantationsforschung bemüht sich seit Jahren, die Immunsuppression zu verbessern, bzw. die bestmögliche Balance zwischen ausreichendem Schutz des Transplantats und geringstmöglicher Nebenwirkungsrate zu finden. Es wurden auch immer wieder Therapieversuche unternommen, um die Standard-Immunsuppression bei Patienten mit einem vermeintlich geringeren Risiko für Abstoßungen (z.B. jene bei denen keine neugebeildeten donorspezifischen Antikörpern nachweisbar sind) zu reduzieren. Das Risiko ist aber hoch – denn letztlich steht ein wertvolles Spenderorgan auf dem Spiel.

Ein innovativer Forschungsansatz, der die Immunsuppression nach „Gießkannenprinzip“, so wie sie derzeit Therapiestandard ist, ganz obsolet machen könnte, kommt aus der Universität Heidelberg und wurde heute von Prof. Dr. Martin Zeier, Kongresspräsident der 10. Jahrestagung der DGfN, in Berlin vorgestellt. Die Idee ist, das Immunsystem des Empfängers nicht zu unterdrücken, sondern es vor einer Lebendspende an das fremde Gewebe zu gewöhnen und so eine Toleranz gegenüber dem Spenderorgan herbeizuführen. Dafür werden dem Lebendspender weiße Blutkörperchen mittels Leukapherese aus dem Blut entfernt, die dann mit der Substanz Mitomycin C speziell behandelt werden. Mit diesem Verfahren (TolerogenixX-Verfahren [2]) werden sie quasi zu Antigenen umgewandelt, die passgenau eine Immuntoleranz gegenüber dem Spenderorgan erzeugen. Die manipulierten Zellen werden dem Organempfänger eine Woche vor der Transplantation als Infusion verabreicht. Im Rahmen einer Phase-1-Studie konnte bereits im Vorjahr die Sicherheit des Verfahrens bestätigt werden. Nun müssen größere Studien folgen, um die (langfristige) Wirksamkeit des Verfahrens nachzuweisen. „Wir glauben, dass wir mit diesem innovativen Verfahren das Transplantatüberleben nachhaltig verbessern können. Außerdem würde durch die Reduzierung bzw. dem Wegfall der immunsuppressiven Therapie sowie ihrer Nebenwirkungen und Langzeitfolgen die Gesundheit der Patienten weniger bzw. gar nicht belastet, was sich dann natürlich auch positiv auf die Lebensqualität auswirkt“, erklärte Zeier.

 

Literaturverweise

  • Merion RM, Goodrich NP, Johnson R, McDonald SP, Russ GR, Gillespie BW, Collett D. Kidney transplant graft outcomes in 379 257 recipients on 3 continents. Am J Transplant. 2018 Aug;18(8):1914-1923
  • https://www.tolerogenixx.com

 

Weitere Informationen

 


Quelle: Deutsche Gesellschaft für Nephrologie e.V. (DGfN), 28.09.2018 (tB).

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