Kinderintensivmedizin: Co-Pilot am Krankenbett

 

  • Forschungsverbund entwickelt digitales Alarmsystem für die Kinderintensivmedizin

 

Hannover (1. März 2021) — Die Arbeit auf Intensivstationen stellt Beschäftigte in der Krankenversorgung vor besondere Herausforderungen. Sie müssen sicher und zuverlässig erkennen, ob sich der Zustand ihrer schwerkranken Patientinnen und Patienten lebensbedrohlich verschlechtert und das unter hohem Zeitdruck, weil jede Minute zählt. Der Stresspegel steigt noch weiter, wenn es sich bei den Patientinnen und Patienten um Kinder und Jugendliche handelt. Denn in der pädiatrischen Intensivmedizin stehen Ärztinnen und Ärzte vor dem Problem, dass die Erkrankungen mitunter schwierig zu erkennen sind und zudem – je nach Alter und Geschlecht – unterschiedlich verlaufen. Unterstützung soll nun das Forschungsprojekt „Ein Lernendes und Interoperables, Smartes Expertensystem für die pädiatrische Intensivmedizin (ELISE)“ unter der Leitung von Dr. Thomas Jack, Oberarzt an der Klinik für Pädiatrische Kardiologie und Intensivmedizin der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) bringen. Ziel ist, Konzepte für ein digitales Entscheidungsunterstützungssystem zu entwickeln, das die für die Behandlung wichtigen Vital- und Laborwerte direkt am Patientenbett zusammenführt, analysiert und bei Bedarf sofort Alarm schlägt. Das Verbundprojekt mit dem Peter L. Reichertz Institut für Medizinische Informatik der TU Braunschweig und der MHH (PLRI), dem Fraunhofer Institut für Toxikologie und Experimentelle Medizin (ITEM), der Universität Münster und dem Softwareentwickler Medisite wird vom Bundesgesundheitsministerium über drei Jahre mit mehr als zwei Millionen Euro gefördert.

 

Aus Krankendaten computerlesbare Diagnosemodelle entwickeln

Schon jetzt hilft Medizininformatik bei der Dokumentation von Patientendaten. Das Patientendatenmanagementsystem (PDMS) sammelt die erfassten Vitalparameter wie Blutdruck, Herzfrequenz oder Körpertemperatur, speichert Laborwerte, Medikamentengaben oder Diagnosen und macht sie jederzeit verfügbar. „Das PDMS ist allerdings nicht in der Lage, diese Werte zu interpretieren und so kritische Situationen zu erkennen“, sagt Dr. Jack. Das soll nun mit Hilfe von ELISE für die Diagnose von schweren Organstörungen und damit verbundenem schwerer Kreislaufversagen möglich werden – ein Problem, das unter anderem häufig nach einer Operation auftritt.

„Wir wollen die Routinedaten und das Expertenwissen nutzen, um Diagnosemodelle für die Organdysfunktionen in computerlesbare Algorithmen umzuwandeln“, erklärt Dr. Antje Wulff, Medizininformatikerin am PLRI. In der gerade abgeschlossenen CADDIE-Studie ist das bereits für die Erkennung des Systemischen Inflammatorischen Response-Syndroms (SIRS) gelungen. SIRS zeigt ähnliche Symptome wie eine Sepsis und kann schwere Organfunktionsstörungen und in schweren Fällen auch den Tod des Patienten verursachen.

 

ELISE ist kein Ersatz für medizinisches Personal

Jetzt will das Forschungsteam die CADDIE-Idee weiterentwickeln. In einem ersten Schritt wird ELISE mit den Daten von 5.000 Patientinnen und Patienten gefüttert, die in den vergangenen Jahren in der Kinderintensivstation der MHH behandelt wurden. „Wir schauen zunächst, ob das System die Daten richtig interpretiert sozusagen im Rückblick die richtige Diagnose stellt“, sagt der Oberarzt. Gleichzeitig suchen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den vorhandenen Daten nach wiederkehrenden Mustern, um das digitale Unterstützungssystem gezielt zu trainieren. So soll ELISE lernen und schließlich selbst die Kriterien für ein drohendes Organversagen in Echtzeit erkennen und sofort melden.

Funktioniert das System und wird es zugelassen, ist der Weg frei für eine Live-Anwendung neben jedem Patientenbett, die Ärzte und Pflegekräfte entlasten soll. „Ein Computer kennt keinen Stress und hat immer Zeit, Daten auszuwerten“, sagt Dr. Jack. Medizinische Entscheidungen treffe aber nicht das System, sondern der Mensch, betont der Mediziner. „ELISE ist nur eine Art Co-Pilot, der als digitaler Weggefährte Ärzte und Pflegekräfte vom Zwang der Daten-Dauerkontrolle befreit und gewährleistet, dass lebensbedrohliche Entwicklungen sofort erkannt und somit rechtzeitig behandelt werden können.“

 

 

SERVICE

 

 

Abb. oben: Dr. Thomas Jack und Dr. Antje Wulff neben einem PDMS-Monitor auf der Kinderintensivstation. Copyright: Karin Kaiser / MHH

 


Quelle: Medizinische Hochschule Hannover, 01.03.2021 (tB).

Schlagwörter: ,

MEDICAL NEWS

IU School of Medicine researchers develop blood test for anxiety
COVID-19 pandemic increased rates and severity of depression, whether people…
COVID-19: Bacterial co-infection is a major risk factor for death,…
Regenstrief-led study shows enhanced spiritual care improves well-being of ICU…
Hidden bacteria presents a substantial risk of antimicrobial resistance in…

SCHMERZ PAINCARE

Hydromorphon Aristo® long ist das führende Präferenzpräparat bei Tumorschmerz
Sorgen und Versorgen – Schmerzmedizin konkret: „Sorge als identitätsstiftendes Element…
Problem Schmerzmittelkonsum
Post-Covid und Muskelschmerz
Kopfschmerz bei Übergebrauch von Schmerz- oder Migränemitteln

DIABETES

Wie das Dexom G7 abstrakte Zahlen mit Farben greifbar macht…
Diabetes mellitus: eine der großen Volkskrankheiten im Blickpunkt der Schmerzmedizin
Suliqua®: Einfacher hin zu einer guten glykämischen Kontrolle
Menschen mit Diabetes während der Corona-Pandemie unterversorgt? Studie zeigt auffällige…
Suliqua® zur Therapieoptimierung bei unzureichender BOT

ERNÄHRUNG

Positiver Effekt der grünen Mittelmeerdiät auf die Aorta
Natriumaufnahme und Herz-Kreislaufrisiko
Tierwohl-Fleisch aus Deutschland nur mäßig attraktiv in anderen Ländern
Diät: Gehirn verstärkt Signal an Hungersynapsen
Süßigkeiten verändern unser Gehirn

ONKOLOGIE

Strahlentherapie ist oft ebenso effizient wie die OP: Neues vom…
Zanubrutinib bei chronischer lymphatischer Leukämie: Zusatznutzen für bestimmte Betroffene
Eileiter-Entfernung als Vorbeugung gegen Eierstockkrebs akzeptiert
Antibiotika als Störfaktor bei CAR-T-Zell-Therapie
Bauchspeicheldrüsenkrebs: Spezielle Diät kann Erfolg der Chemotherapie beeinflussen

MULTIPLE SKLEROSE

Multiple Sklerose: Aktuelle Immunmodulatoren im Vergleich
Neuer Biomarker für Verlauf von Multipler Sklerose
Multiple Sklerose: Analysen aus Münster erhärten Verdacht gegen das Epstein-Barr-Virus
Aktuelle Daten zu Novartis Ofatumumab und Siponimod bestätigen Vorteil des…
Multiple Sklerose durch das Epstein-Barr-Virus – kommt die MS-Impfung?

PARKINSON

Meilenstein in der Parkinson-Forschung: Neuer Alpha-Synuclein-Test entdeckt die Nervenerkrankung vor…
Neue Erkenntnisse für die Parkinson-Therapie
Cochrane Review: Bewegung hilft, die Schwere von Bewegungssymptomen bei Parkinson…
Technische Innovationen für eine maßgeschneiderte Parkinson-Diagnostik und Therapie
Biomarker und Gene: neue Chancen und Herausforderungen für die Parkinson-Diagnose…