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Maschinen im OP

Erste Studie zu computerbasierten Assistenzsystemen in der Chirurgie

 

Berlin (19. April 2010) – Ein Chirurg wird zunehmend von computerbasierten Assistenzsystemen unterstützt, die verhindern sollen, dass er bei der Operation versehentlich wichtige Gefäße oder Nerven verletzt. Lenken Maschinen die Operateure ab? Welche Chancen und Risiken ergeben sich aus den technisch unterstützten chirurgischen Eingriffen?

 

Professor Dr. Dietrich Manzey, seit 2003 Leiter des Fachgebietes Arbeits-, Ingenieur- und Organisationspsychologie an der TU Berlin, und Diplom-Psychologin Maria Luz (TU-Absolventin und derzeit am "Innovation Center for Computer Assisted Surgery" der Universität Leipzig) interessieren sich für die Interaktion von Menschen und Maschinen. Aktuell beschäftigen sie sich in einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit 230 000 Euro geförderten Projekt mit den Auswirkungen chirurgischer Assistenzsysteme auf Leistung, Beanspruchung und Situationsbewusstsein der Ärzte. Es ist die erste Studie dieser Art.

"In einer Simulation lassen wir die Operateure einen komplizierten Eingriff im Kopfbereich – eine Mastoidektomie – an einem Kunstkopf vornehmen. Das Assistenzsystem sagt ihnen dabei an, wo sie nicht fräsen dürfen", beschreibt Prof. Manzey den Versuchsaufbau. Untersucht wird dabei, ob der Einsatz solcher Systeme neben den unbestreitbaren Vorteilen unter Um-ständen auch neue Risiken mit sich bringt. In diesem Projekt kooperiert das TU-Institut mit dem "Innovation Center for Computer Assisted Surgery (ICCAS) der Universität Leipzig". Nach Abschluss des Projektes hoffen die Forscher künftig den Nutzen moderner OP-Systeme besser abschätzen und Hinweise auf ein sinnvolles Training mit den neuen Geräten geben zu können.

Eine Mastoidektomie muss zum Beispiel bei Komplikationen einer Mittelohrentzündung vorgenommen werden. Der Eingriff birgt einige Risiken, weil nahe dem Operationsfeld sensible Strukturen wie etwa die ableitende Hirn-vene (Gefahr von Blutungen), der Amboss der Gehörknöchelkette (Gefahr von Gehörverlust) oder der Fascialis-Nerv (Gefahr einer Gesichtslähmung) liegen. "Wir haben Daten von 14 Probanden erhoben, die keinerlei Erfahrung mit einer solchen Operation hatten", berichtet Maria Luz. Die Operateure waren im Durchschnitt 26 Jahre jung und kurz vor oder nach dem Ende ihres Medizinstudiums. Sie trainierten an zwei verschiedenen Tagen jeweils zwei Mal an dem Kunstkopf. An zwei weiteren Tagen wurde der Trainingskopf mit austauschbaren Elementen so verändert, dass die Gefahr von Komplikation größer war. "Unsere Novizen operierten je einmal mit und einmal ohne Assistenzsystem. Wie effektiv sie dabei waren, registrierten in den Kunstkopf eingelassene Sensoren. Die Daten wurden mit einer speziellen Software am Computer analysiert", sagt Maria Luz.

Wie gut die Neulinge gefräst hatten, wurde außerdem von einer erfahrenen Chirurgin beurteilt. Die Effizienz der Operation wurde mit der Stoppuhr bestimmt: Wie lange dauerte die OP? Um herauszufinden, wie stark die Probanden beansprucht waren, füllten sie nach dem Versuch einen multidimensionalen Fragebogen (Nasa-TLX) aus. Außerdem waren sie während des Versuchs aufgefordert, alle 90 Sekunden auf einen Ton mit dem Treten eines Fußpedals zu reagieren. Physiologische Daten wie Herzrate, Herzratenvariabilität, also die Fähigkeit eines Organismus, die Frequenz des Herzrhythmus zu verändern, Atmungsrate und Blutdruck der Probanden wurden gemessen. Zusätzlich prüfte man das Situationsbewusstsein der Operateure: Sie wurden mitten in der OP unterbrochen und zu ihrem bisherigen Operationsstatus befragt.

Im Ergebnis bescheinigen die Forscher dem Assistenzsystem "ein großes Potenzial". Bei der Operation ohne Assistenzsystem verursachten drei von 14 Probanden Verletzungen – mit Assistenzsystem keiner. Bei der Qualität der Fräsleistung konnte kein Unterschied festgestellt werden. "Wir können also feststellen, dass bei gleichbleibender Operationsqualität die Sicherheit für die Patienten steigt", fasst Maria Luz zusammen. Die Effizienz sinkt dagegen erwartungsgemäß: Für die herkömmliche OP benötigten die Probanden im Durchschnitt 64 Minuten, nutzten sie das Assistenzsystem dauerte die OP 100 Minuten. Die Operateure fühlten sich mit Assistenz-system zwar mehr beansprucht und brauchten länger um auf einen Ton mit dem Fußpedal zu reagieren, ihre physiologischen Daten zeigten jedoch, dass sie dabei entspannter waren.

Das Forschungsprojekt endet im September 2010. Bis dahin wollen die Forscherinnen und Forscher die Untersuchung mit erfahrenen Chirurgen wiederholen. "Außerdem planen wir eine Trainingsstudie, in der die Ergeb-nisse von mit dem System trainierten Probanden mit klassisch trainierten Personen verglichen werden", sagt Maria Luz. Ziel sei es zu vergleichen, ob die mit dem System trainierten Probanden die OP auch ohne Assistenzsystem genauso gut ausführen können wie die klassisch trainierten Probanden. So soll ein eventuelles Ausfallen des Assistenzsystems simuliert und überprüft werden, ob die mit dem System trainierten Operateure dann immer noch in der Lage sind die OP risikofrei durchzuführen.

Autorin: Andrea Puppe/

 

 


Quelle: Pressemitteilung der TU-Berlin vom 19.04.2010 (tB).

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