Medizinprodukteverordnung

Hersteller müssen sich auf die neuen Regelungen vorbereiten

Bonn / Berlin (18. April 2016) – Die Hersteller müssen sich schnellstens auf die Anwendung der anstehenden europäischen Verordnung zu Medizinprodukten (Medical Device Regulation – MDR) vorbereiten, auch wenn sie noch nicht beschlossen und verkündet ist. Wer noch nicht mit den Vorbereitungen begonnen habe, laufe Gefahr, erheblichen Schaden zu erleiden. Das war das Fazit der Experten der MedInform-Konferenz "Empfehlungen zur Umsetzung der MDR in der industriellen Praxis" am 14. April 2016 in Bonn. MedInform ist der Informations- und Seminar-Service des Bundesverbandes Medizintechnologie (BVMed).


Mit der Frage, wie die Industrie schon jetzt und in Zukunft von der zu erwartenden MDR betroffen ist, befasste sich Dr. Joachim Wilke, Director Regulatory Affairs und Policy Europe bei Medtronic. Die wesentlichen Diskussionspunkte des Trilogs zwischen Kommission, Rat und Parlament sind die Regulierungen zu Gefahrstoffen, Scrutiny, Produkthaftung, Klinischer Bewertung/Studien und Aufbereitung von Einmalprodukten. Abgeschlossen sind die Beratungen zu Gefahrstoffen, Scrutiny und Produkthaftung. Die letzten Abstimmungen zur klinischen Prüfung / Bewertung und zur Aufbereitung von Medizinprodukten stehen noch aus. Mit dem Abschluss des Trilogs wird Mitte dieses Jahres, und mit der Veröffentlichung der MDR Ende dieses Jahres, spätestens Anfang nächsten Jahres, gerechnet, so Wilke.

In den noch nicht abschließend im Trilog verhandelten Regelungen zur Umsetzungszeitschiene der MDR ist aktuell eine Übergangsfrist von drei Jahren vorgesehen. Nach der Übergangsfrist, müssen die Medizinprodukte zwingend über ein MDR-Zertifikat verfügen, wenn sie "erstmalig" in der EU in den Verkehr gebracht werden sollen. Ein weiteres "Inverkehrbringen" (Abverkauf) von Produkten, die mit einem Zertifikat nach den Richtlinien über aktive Implantate (AIMDD) oder über sonstige Medizinprodukte (MDD) vor Ablauf der Übergangsfrist "erstmalig" in der EU in den Verkehr gebracht wurden, soll im Rahmen der Laufzeit dieser Zertifikate ermöglicht werden.

Wilke nannte mehrere wesentliche Änderungen bei der Gefahrstoff-Regulierung. Eckpunkte sind insbesondere die große Anzahl zu berücksichtigender Stoffe (CMRs, also krebserzeugende, erbgutverändernde und fortpflanzungsgefährdende Stoffe, der Klassen 1a oder 1b, und hormonell wirksame Stoffe), die Anforderungen an die Technische Dokumentation sowie die Produktkennzeichnung unter Berücksichtigung zukünftiger Kommissionsrichtlinien (SCENIHR). Wesentliche Regelungspunkte zum Scrutiny-Verfahren sind die betroffenen Produktgruppen, Ausschlusskriterien, Selektionskriterien, der Expertengremiumsentscheid sowie die Zeitschiene.
Von besonderer Bedeutung für die Industrie seien auch die noch nicht endgültig entschiedenen Regelungen zur Klinischen Bewertung von Produkten, die bereits seit vielen Jahren auf dem Markt sind. Darüber hinaus seien auch die MDR-Anforderungen zur Auslegungsprüfung für Klasse IIb Implantate, die Höherklassifizierung von Produkten sowie generell der Aufwand zur Überarbeitung der technischen Dokumentation, der Produktkennzeichnung und des Qualitätsmanagements zu beachten.

Stefan Preiß vom TÜV SÜD Product Service gab Empfehlungen zur Umsetzung der MDR in der industriellen Praxis und schilderte die Erwartungen einer Benannten Stelle an MDR-angepasste Qualitätsmanagementsysteme (QMS). Basis seiner Ausführungen war die Norm ISO 13485:2016 zum Medizinprodukte-Qualitätsmanagementsystem. Diese Norm beinhalte wesentliche Änderungen gegenüber der vorherigen Fassung der Norm EN ISO 13485. Wesentliche Audit-Themen sind die Entwicklung und die Prozessvalidierung. Bei der Produktvalidierung an der Nullserie müssen auch die Produkte unter Serienbedingungen hergestellt werden. Beim Entwicklungs-Transfer müssen auch die Produktion sowie die einzelnen Fertigungsschritte und das Personal parallel berücksichtigt werden. Schon jetzt sollte der Hersteller vor Inkrafttreten der MDR die Zertifizierung nach neuem Recht unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Übergangszeiten in Angriff nehmen. Die Zeit sei sehr knapp, unterstrich Preiß. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass sich die Benannten Stellen im Hinblick auf das anstehende neue EU-Recht vorbereiten und Genehmigungen erhalten müssen. Der Hersteller sollte die Dokumentationen aller seiner Medizinprodukte im Hinblick auf neue Anforderungen überprüfen. Vieles werde übernommen, aber es gäbe auch wesentliche Neuerungen. So erhielten die klinischen Daten über den Lebenszyklus des Produktes erhöhte Relevanz. Dabei würden Mediziner stärker gefordert – sowohl beim Hersteller als auch bei den Benannten Stellen. Starke Einschränkungen gäbe es auch bei der Hinzuziehung von Ergebnissen vergleichbarer Produkte von anderen Herstellern. Auch sei auf die Änderungen von Klassifizierungsregeln und die detaillierteren Anforderungen an die Kennzeichnung zu achten.

Berater Dr. Peter Curle von Ernst & Young in Basel empfahl den Herstellern ebenfalls eine frühzeitige Vorbereitung auf die neuen Regelungen. Die neue MDR hat Auswirkungen auf viele Bereiche des Unternehmens. Dabei sind drei unterschiedliche Phasen mit unterschiedlichen Anforderungen betroffen: vor Veröffentlichung des neuen Rechts, bei dessen Inkrafttreten und zum Ende der Übergangsfrist. Einzubinden sind die Führungsebene mit verschiedenen Ausrichtungen, die Geschäftsebenen, der Finanzbereich und die Verwaltung. Zu Problemen für ein Unternehmen können nicht nur die Medizinprodukte selbst führen. Ebenso stellen sich Fragen zum Personal, das Kennen und Anwenden der neuen Regeln in den unterschiedlichen Bereichen, die Zusammenarbeit verschiedener Bereiche, die Kommunikation und die jeweilige Information der richtigen bzw. im weitesten Sinne betroffenen Stellen und Personen.

In der anschließenden Diskussion wurde die Vermutung geäußert, dass die mit dem neuen Recht verbundenen Kosten zur Aufgabe einzelner Produktbereiche und sogar zur Übernahme kleinerer Unternehmen führen könnten. Bei der Übernahme neuer Geschäftsbereiche sollten nicht nur das Produkt selbst, sondern auch dessen technische Dokumentation, das erforderliche Personal, der Zeitaufwand zur Ausrichtung des Produkts auf das neue Recht und die mit allem verbundenen Kosten geprüft und berücksichtigt werden. Curle empfahl einzukalkulieren, dass auch bei den Benannten Stellen aufgrund der Anforderungen des anstehenden neuen Rechts Engpässe entstehen, die auch mit Kampf um Ressourcen verbunden sind, was wiederum nur bedingte Auftragsaufnahmen zur Folge hat.

Mit der Vorbereitung auf die MDR-Umsetzung im Unternehmen befasste sich Barbara Lengert, Senior Manager Strategic Regulatory Affairs von Johnson & Johnson Medical. Prämisse sei Teamarbeit. Wenn insbesondere große Unternehmen noch nicht mit den Vorbereitungen angefangen hätten, dann seien sie zu spät dran. Kleine Unternehmen müssten jetzt mit den Vorbereitungen auf die neuen Anforderungen beginnen. Schwerpunkte der neuen Regelungen seien Sicherheit, Rückverfolgbarkeit und Transparenz, die zusätzliche Überprüfung vor der Markteinführung, klinische Bewertungen, UDI, zentrales Vigilanz-Reporting, Wiederaufbereitung von Einmalprodukten, gefährliche Substanzen sowie Re-Klassifizierung. Lengert schlug vor, ein "Marathon"-Team zu bilden. Aufgabe des Teams sollte die Einbindung verschiedener Funktionen (Regulatory Affairs, Governmental & Public Affairs, Legal, Clinical, Medical, R&D) und die regelmäßige Information des Managements bis zur obersten Ebene sein. In allen Punkten müsse sich das Team die Frage stellen: Wer muss über was Bescheid wissen? Wichtig sei auch, alles möglichst positiv zu formulieren, hob Lengert hervor. Auch seien die betroffenen Personen und Stellen der Firma in anderen Staaten einzubeziehen, damit dort gleiche Inhalte wie im deutschen Unternehmen vertreten werden. Um dies alles zu erreichen, sollte das "Marathon"-Team Positionspapiere erstellen und Lobbying betreiben, Auswirkungen wie längere Zulassungszeiten, höhere Kosten oder Design-Änderungen antizipieren, mit den Benannten Stellen Informationen austauschen und Pilotprojekte durchführen. Bei der Bewertung der Auswirkungen der neuen Anforderungen soll das Qualitätsmanagementsystem nach der MDR und der Norm ISO 13485 mit einbezogen werden.

Über die aktuelle Entwicklung im deutschen Medizinprodukterecht berichtete Esther Steinhauer, Referentin im Referat Medizinprodukterecht im Bundesgesundheitsministerium. Sie stellte den aktuellen Stand zur Änderung des Medizinproduktegesetzes, zur Zweiten Verordnung zur Änderung medizinprodukterechtlicher Vorschriften sowie zu Unangekündigten Audits nach der Empfehlung 2013/473/EU vor. Mit der beabsichtigten Änderung des Medizinproduktegesetzes (MPG) sollen Klarstellungen erfolgen und Korrekturen aufgrund praktischer Erfahrungen vorgenommen werden. Das Inkrafttreten ist für den 1. Januar 2017 vorgesehen. Der Entwurf des Änderungsgesetzes soll in Kürze erfolgen. Die Abgabe von Medizinprodukten soll umfassender geregelt werden. Auch Beratungsstellen sollen Medizinprodukte abgeben dürfen. Auch Fragen zur Abgrenzung von Medizinprodukten sollen einbezogen werden. Hersteller und Benannte Stellen sollen bei der Bundesoberbehörde Entscheidungen über die Einstufung als Medizinprodukt der Klasse Is / Im beantragen können.

Durch die Zweite Verordnung zur Änderung medizinprodukterechtlicher Vorschriften soll die Medizinprodukte-Betreiberverordnung (MPBetreibV) umfassend geändert werden. Die Stellungnahmen der beteiligten Stellen liegen dem Bundesgesundheitsministerium vor. Die Verordnung soll Mitte 2016 verkündet und am 1. Januar 2017 zusammen mit der Änderung des MPG in Kraft treten. Die wichtigsten Änderungen betreffen die Konkretisierung des Anwendungsbereichs, eine klare Verteilung von Verantwortlichkeiten, Anforderungen an Anwender, die Einführung eines Beauftragten für Medizinproduktesicherheit sowie die Anpassung der Vorschriften für sicherheits- und messtechnische Kontrollen.

Mit den unangekündigten Audits setzte sich aus Herstellersicht Dr. Angela Graf vom Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) auseinander. Unter der Federführung des Bundesgesundheitsministeriums wurde die "AG UAA" gegründet. Mitglieder sind das BMG, die ZLG, Benannte Stellen und die Medizinprodukteindustrie (BAH, BPI, BVMed, Spectaris, VDDI, VDGH, ZVEI). Ziel der AG UAA ist das gemeinsame Verständnis zwischen Herstellern und Benannten Stellen über die Umsetzung der Empfehlung 2013/473/EU. Kernfragen seien: Welche Art von UAA erfasst die Empfehlung? Wie häufig müssen UAAs durchgeführt werden? Welche Qualifikation müssen Auditoren vorweisen? Wie kann die Unabhängigkeit der Auditoren gewährleistet werden? Wer ist überwachungswürdiger "wichtiger Lieferant / Unterauftragnehmer von entscheidender Bedeutung"? Wie und wo werden Stichprobentests durchgeführt? Die neuen Vorschriften beeinflussen die Bearbeitungszeiten bei den europäischen Benannten Stellen, was dazu führt, dass einige Benannte Stellen derzeit keine neuen Projekte und Kunden annehmen können. Zudem seien die unangekündigten Audits in der Praxis vor allem ein relevanter Kostenfaktor sowohl für die Benannten Stellen als auch für Unternehmen und Unterauftragsunternehmer. Grafs Fazit: Der Skandal um verunreinigte Brustimplantate ist keine geeignete Begründung für gesetzgeberische Aktivitäten. Regelhafte, nicht anlassbezogene, unangekündigte Audits sind aus Sicht der Industrie nicht verpflichtend durchzuführen, eine uneinheitliche Umsetzung führt zu ungleichem Wettbewerb. Die Belastung der Benannten Stellen durch diese unangekündigten Audits könnte dazu führen, dass diese andere Aufgaben nicht mehr bzw. nicht in einem angemessenen Zeitrahmen erfüllen können. Hersteller müssen ihrerseits mit erheblichen Belastungen rechnen. Der Leitfaden des BMG und der ZLG könnte dabei helfen, die erheblichen Konsequenzen in der praktischen Umsetzung zu mildern, damit das System am Laufen bleibt.


Quelle: BVMed – Bundesverband Medizintechnologie e.V., 18.04.2016 (tB).

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