Mit Blutzucker Strom erzeugen

Zürich, Schweiz (28. März 2023) — Wenn eine Brennstoffzelle unter der Haut Blutzucker aus dem Körper in elektrische Energie umwandelt, klingt das nach Science-​Fiction. Dabei funktioniert es einwandfrei, wie ein ETH-​Forschungsteam um den Biotechnologieprofessor Martin Fussenegger zeigt.

Bei Typ-​1-Diabetikern produziert der Körper kein Insulin. Deshalb müssen sich Betroffene das Hormon von aussen zuführen, um den Blutzuckerspiegel zu regulieren. Heutzutage geschieht dies meist über Insulinpumpen, die direkt am Körper sitzen. Solche Geräte, aber auch andere medizinische Anwendungen wie beispielsweise Herzschrittmacher, brauchen eine zuverlässige Energieversorgung. Diese wird derzeit vor allem mit Strom aus Batterien oder wiederaufladbaren Akkus sichergestellt.

Ein Team von Forschenden um Martin Fussenegger vom Departement Biosysteme der ETH Zürich in Basel hat nun eine futuristisch anmutende Idee verwirklicht: Sie haben eine implantierbare Brennstoffzelle entwickelt, die überschüssigen Blutzucker (Glukose) aus dem Gewebe nutzt, um daraus elektrische Energie zu erzeugen. Die Brennstoffzelle wiederum kombinierten die Forschenden mit bereits vor einigen Jahren in ihrer Gruppe entwickelten künstlichen Beta-​Zellen, die wie ihre natürlichen Vorbilder in der Bauchspeicheldrüse Insulin produzieren und den Blutzuckerspiegel wirksam senken.

«Besonders in westlichen Industrienationen nehmen viele Menschen mehr Kohlenhydrate zu sich als sie im Alltag benötigen», sagt ETH-​Professor Fussenegger. Das führe zu Übergewicht, Diabetes oder Herz-​Kreislauferkrankungen. «Das hat uns auf die Idee gebracht, diesen Überschuss an metabolischer Energie zu nutzen, um Strom für den Betrieb von biomedizinischen Geräten herzustellen», erklärt der Biotechnologe weiter.

 

Brennstoffzelle im Teebeutelchen-​Format

Kernstück der Brennstoffzelle ist die von Fusseneggers Team eigens für diese Anwendung geschaffene Anode (Elektrode). Diese besteht aus kupferbasierten Nanopartikeln und spaltet zur Stromerzeugung Glukose in Glukonsäure und ein Proton auf, was einen Stromkreislauf in Gang setzt.

Die Brennstoffzelle ist in ein Vlies eingewickelt und mit Alginat, einem für medizinische Anwendungen zugelassenen Algenprodukt, ummantelt. Dadurch ähnelt die Brennstoffzelle einem Teebeutelchen, das unter die Haut eingesetzt werden kann. Das Alginat saugt sich mit Körperflüssigkeit voll und lässt Glukose aus dem Gewebe in ihr Inneres passieren.

 

Diabetes-​Netzwerk mit eigener Stromversorgung

In einem zweiten Schritt haben die Forschenden die Brennstoffzelle mit einer Kapsel gekoppelt, die künstliche Beta-​Zellen enthält. Diese können mit elektrischem Strom oder blauem LED-​Licht dazu angeregt werden, Insulin zu produzieren und auszuschütten. Solche Designerzellen haben Fussenegger und seine Mitarbeitenden schon vor einiger Zeit getestet.

Das System kombiniert also dauerhafte Stromerzeugung und kontrollierte Insulinabgabe. Sobald die Brennstoffzelle einen Glukoseüberschuss registriert, springt die Stromproduktion an. Die elektrische Energie wird dann dazu genutzt, die Zellen zu stimulieren, sodass sie Insulin produzieren und ins Blut abgeben. Der Blutzuckerspiegel sinkt dadurch auf ein normales Mass. Sobald er unter einen bestimmten Schwellenwert fällt, stoppt die Strom-​ und damit die Insulinproduktion.

Die Brennstoffzelle liefert nicht nur genügend elektrische Energie, um die Designerzellen zu stimulieren, sie reicht auch aus, damit das implantierte System mit externen Geräten wie einem Smartphone kommunizieren kann. Das ermöglicht es potenziellen Nutzern, das System über eine entsprechende App zu justieren. Auch ein Arzt oder eine Ärztin könnte aus der Ferne darauf zugreifen und Anpassungen vornehmen. «Das neue System reguliert den Insulinpegel und damit den Blutzuckerstand autonom und könnte künftig zur Diabetesbehandlung eingesetzt werden», betont Fussenegger.

 

Langer, unsicherer Weg zur Marktreife

Das vorliegende System ist erst ein Prototyp. Die Forschenden haben es zwar im Mausmodell erfolgreich getestet, sie können es allerdings nicht zu einem markttauglichen Produkt weiterentwickeln. «Ein solches Gerät zur Marktreife zu bringen, übersteigt unsere finanziellen und personellen Mittel bei Weitem», so Fussenegger. Gefragt sei deshalb ein Industriepartner, der über entsprechende Mittel und Know-​how verfüge.

 

 

Originalpublikation

  • Maity, D., Ray, P.G., Buchmann, P., Mansouri, M. and Fussenegger, M. (2023), Blood-​Glucose-Powered Metabolic Fuel Cell for Self-​Sufficient Bioelectronics. Adv. Mater. Accepted Author Manuscript 2300890.
    DOI: 10.1002/adma.202300890

 

 

 

Abb. oben: Der Prototyp der Brennstoffzelle ist in ein Vlies eingepackt und etwas grösser als ein Daumennagel. © Fussenegger Lab, ETH Zürich

 

 


Quelle: Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich), 28.03.2023 (tB).

Schlagwörter:

MEDICAL NEWS

IU School of Medicine researchers develop blood test for anxiety
COVID-19 pandemic increased rates and severity of depression, whether people…
COVID-19: Bacterial co-infection is a major risk factor for death,…
Regenstrief-led study shows enhanced spiritual care improves well-being of ICU…
Hidden bacteria presents a substantial risk of antimicrobial resistance in…

SCHMERZ PAINCARE

Hydromorphon Aristo® long ist das führende Präferenzpräparat bei Tumorschmerz
Sorgen und Versorgen – Schmerzmedizin konkret: „Sorge als identitätsstiftendes Element…
Problem Schmerzmittelkonsum
Post-Covid und Muskelschmerz
Kopfschmerz bei Übergebrauch von Schmerz- oder Migränemitteln

DIABETES

Wie das Dexom G7 abstrakte Zahlen mit Farben greifbar macht…
Diabetes mellitus: eine der großen Volkskrankheiten im Blickpunkt der Schmerzmedizin
Suliqua®: Einfacher hin zu einer guten glykämischen Kontrolle
Menschen mit Diabetes während der Corona-Pandemie unterversorgt? Studie zeigt auffällige…
Suliqua® zur Therapieoptimierung bei unzureichender BOT

ERNÄHRUNG

Positiver Effekt der grünen Mittelmeerdiät auf die Aorta
Natriumaufnahme und Herz-Kreislaufrisiko
Tierwohl-Fleisch aus Deutschland nur mäßig attraktiv in anderen Ländern
Diät: Gehirn verstärkt Signal an Hungersynapsen
Süßigkeiten verändern unser Gehirn

ONKOLOGIE

Strahlentherapie ist oft ebenso effizient wie die OP: Neues vom…
Zanubrutinib bei chronischer lymphatischer Leukämie: Zusatznutzen für bestimmte Betroffene
Eileiter-Entfernung als Vorbeugung gegen Eierstockkrebs akzeptiert
Antibiotika als Störfaktor bei CAR-T-Zell-Therapie
Bauchspeicheldrüsenkrebs: Spezielle Diät kann Erfolg der Chemotherapie beeinflussen

MULTIPLE SKLEROSE

Multiple Sklerose: Aktuelle Immunmodulatoren im Vergleich
Neuer Biomarker für Verlauf von Multipler Sklerose
Multiple Sklerose: Analysen aus Münster erhärten Verdacht gegen das Epstein-Barr-Virus
Aktuelle Daten zu Novartis Ofatumumab und Siponimod bestätigen Vorteil des…
Multiple Sklerose durch das Epstein-Barr-Virus – kommt die MS-Impfung?

PARKINSON

Meilenstein in der Parkinson-Forschung: Neuer Alpha-Synuclein-Test entdeckt die Nervenerkrankung vor…
Neue Erkenntnisse für die Parkinson-Therapie
Cochrane Review: Bewegung hilft, die Schwere von Bewegungssymptomen bei Parkinson…
Technische Innovationen für eine maßgeschneiderte Parkinson-Diagnostik und Therapie
Biomarker und Gene: neue Chancen und Herausforderungen für die Parkinson-Diagnose…