Motivation bei Diabetes mellitus

Neue Wege gehen – hin zur erwünschten Lebensqualität

 

Wiesbaden (9. April 2013) – Um Diabetespatienten in verschiedensten Krankheitsphasen zu motivieren, sind soziale Kompetenzen von Ärzten gefragt. Ein Symposium der BERLIN-CHEMIE AG auf dem Wiesbadener Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) stellte patientenzentrierte Ansätze vor, die die Lebensqualität der Patienten im Auge behalten.

 

 

Wenn es um die Motivation übergewichtiger Patienten zur Gewichtsreduktion geht, „prallen im Sprechzimmer zwei Welten aufeinander“, sagte Dr. med. Christian Klepzig, Offenbach am Main. Auf der einen Seite sitzt der Mediziner, wohlwissend, dass jedes Kilogramm Körpergewicht weniger zu einer Verbesserung des Blutdrucks, metabolischer Werte und orthopädischer Probleme führt. Auf der anderen Seite sitzt der Patient, der mit all seinen Schwächen angenommen werden sollte. „Das Thema Übergewicht muss insgesamt wertfrei und realistisch angesprochen werden“, hob Klepzig hervor. Der Anstoß dazu, überhaupt über eine Gewichtsreduktion zu reden, müsse allerdings vom Patienten ausgehen. Der Mediziner aus Offenbach am Main wies darauf hin, dass die Wahrnehmung des Patienten im Hinblick auf seine Verzehrsmengen häufig verzerrt sei. Sehr hilfreich könne es zum Beispiel sein, den Gewichtsverlust zu visualisieren.

 

Klepzig stellte die Eignung des BMI als Goldstandard zur Beurteilung von Übergewicht in Frage. Ein hoher BMI bei einem sportlichen Menschen sei anders zu bewerten als bei einem bewegungsarmen Patienten. „Die wichtigste Rolle bei der Gewichtsreduktion spielt letztlich die körperliche Betätigung“, unterstrich Klepzig, denn: „Die Zusammenhänge zwischen Bewegung und langer Lebenserwartung sind wissenschaftlich besser belegt als jene zwischen gesunder Ernährung und langem Leben.“ Ein Schrittzähler kann nach Klepzigs Erfahrung beispielsweise sehr hilfreich sein, um übergewichtige Patienten langsam und in ihrem Tempo an ausreichend Bewegung heranzuführen. Als Arzt gelte es eventuell einfach zu akzeptieren, dass das Gewicht des Patienten gleichbleibt, wenn dafür seine Fitness steigt.

 

 

„Nur wer überzeugt ist, überzeugt!“

 

Mit dem Thema kontinuierliche Patienten-Motivation zu Beginn und während einer Insulintherapie hat Dr. med. Rolf Göbel viel Erfahrung: „Wenn die Patienten von ihrem Hausarzt an uns überwiesen werden, sind sie zunächst noch motiviert, aber auch ängstlich. Viele geben ihre Motivation an der Rezeption ab und überlassen alle weiteren Entscheidungen den Ärzten.“ Zu diesem Zeitpunkt gilt es dann insbesondere, Therapiebarrieren zu beseitigen und Komorbiditäten zu erkennen – besonders eine depressive Störung. „Für viele Patienten ist der Beginn einer Insulintherapie ein großer Schritt“, erklärte der Internist und Diabetologe aus Aßlar.

 

Ein wichtiger Grundsatz der Evidenz-basierten Medizin, der in neuen nationalen und internationalen Leitlinien betont wird, sei die Beteiligung des Patienten am medizinischen Entscheidungsprozess, bekräftigte Göbel. „Die wichtigste Ressource ist der Patient selbst. Was wünscht sich der Patient? Er muss die Therapieziele selbst erreichen, wir können ihn nur coachen und begleiten.“

 

Helfen könne der Arzt insbesondere dabei, die bestehenden Barrieren der Insulintherapie zu beseitigen. Dabei handele es sich vor allem um die Ängste der Patienten vor Spritzen und Nadeln, Gewichtszunahme und Hypoglykämien. In allen drei Bereichen könnten einfache Maßnahmen Abhilfe schaffen. „Die wichtigste Maßnahme ist immer eine gute Schulung“, sagte der Experte. Gegen die Angst vor der Gewichtszunahme helfe Ernährungsberatung, der Start einer moderaten Bewegungstherapie und der Einsatz von kurzwirksamen Analoginsulinen wie beispielsweise Liprolog®.

 

Göbel wies darauf hin, dass Insulin nach den neuen DDG-Leitlinien zwar weiterhin an zweiter Stelle der Therapie vorgesehen sei, die Insulinisierung in Deutschland jedoch nach wie vor um fünf bis sechs Jahre zu spät erfolge. Vor diesem Hintergrund sollten Ärzte zu Beginn einer Insulintherapie einen Aspekt grundsätzlich beherzigen, rät Göbel: „Eine positive Einstellung des Behandlers zu Insulin überträgt sich auf den Patienten. Nur wer überzeugt ist, überzeugt.“

 

 

Wege aus der Motivationsfalle

 

PD Dr. med. Matthias Frank, Neunkirchen, erklärte die Phasen, die Patienten beim Auftreten einer diabetesbedingten Folgeerkrankung durchlaufen: Angst (z.B. vor dem Tod), Hilflosigkeit, Ausgeliefertsein, die Frage nach der eigenen Schuld und der Kausalität der Erkrankung stehen im Raum, zudem Verdrängung und Wut. Erst am Ende dieses Prozesses steht die Akzeptanz. Viele Ärzte reagieren auf die komplexe Gefühlswelt des Patienten sachorientiert und verweisen auf die wissenschaftliche Publikationslage. Frank empfiehlt dagegen ein patientenorientiertes Vorgehen, damit die unmittelbar erfahrene Lebensqualität des Patienten in den Fokus rückt – für den Experten der wichtigste Motivationsfaktor. „Was definiert die Lebensqualität meines Patienten? Wir kennen seine erwünschte Lebensqualität nicht. Die kennt nur der Patient selbst. Wir dürfen dem Patienten nie unsere eigenen Vorstellungen überstülpen.“

 

Der Internist und Diabetologe erläuterte, mit welchen Methoden gemeinsam mit dem Patienten Therapieziele entwickelt werden können. Besonders geeignet sei seiner Erfahrung nach der sogenannte „WWSZ-Gesprächsstil“: „Dazu gehört das (Ab-)Warten auf das, was der Patient dem Arzt von sich aus mitteilen will, das Wiederholen wichtiger Aussagen, das Spiegeln (insbesondere von Emotionen) und am Ende das Zusammenfassen der Aussagen. Anschließen kann sich dann ein ‚Change-Talk‘: Was spricht für eine Verhaltensänderung? Welche Vorteile bringt es mir als Patient? Wann ist der richtige Zeitpunkt für die Veränderung?“

 

„Die Gretchenfrage der Motivation ist: Wie lässt sich die Angst vermeiden?“ Letztlich, erklärte Frank, könne nur der Patient selbst seinen Weg aus der Angst finden. „Aber wir können unseren Patienten neue Möglichkeiten aufzeigen. Zum Beispiel kann ein Wechsel der Therapiestrategie ein Weg aus der Motivationsfalle sein. Das ‚Andenken‘ neuer Lebenswege bedeutet Entlastung statt Belastung und fördert die Bereitschaft des Patienten zuzuhören.“ Die Erkenntnisse aus der Motivationspsychologie brachte der Experte auf den Punkt: „Wenn Sehnsüchte zugelassen, Barrieren umgangen und Widerstände vermieden werden, wird das Leben auch mit Folgeerkrankungen lebenswerter.“

 

 

Literatur

 

 

 


Quelle: Symposium der BERLIN-CHEMIE AG: „Der chronisch Kranke und sein Arzt“, Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) 2013, 09.04.2013, Wiesbaden (hB).

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