Natalizumab bei Multipler Sklerose

Schutz der Patienten vor der schweren Viruserkrankung PML

 

Berlin (29. Juni 2012) – Das Medikament Natalizumab gilt seit seiner Einführung in Europa vor etwa sechs Jahren als großer Fortschritt bei der Behandlung der schubförmigen Multiplen Sklerose. Allerdings kann bei Patienten, die bestimmte Risikofaktoren aufweisen, unter einer längeren Behandlung mit dem monoklonalen Antikörper als Nebenwirkung eine schwere Viruserkrankung auftreten, die progressive multifokale Leukenzephalopathie (PML). Dies wurde im Rahmen einer aktuellen Analyse klinischer Studien und eines schwedischen Registers bestätigt. Gleichzeitig wurde in Deutschland ein neuer Aufklärungsbogen für Patienten veröffentlicht.

 

„Nach zwei Jahren Therapie mit Natalizumab sollte – nach eingehender Nutzen-Risiko-Abwägung zwischen Patient und Arzt und ausführlicher Aufklärung – die schriftliche Einwilligung der Patienten erneuert werden. In den Risikogruppen muss zu diesem Zeitpunkt eine Therapiealternative angestrebt werden“, empfiehlt Professor Ralf Gold, MS-Experte aus Bochum und Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). Die DGN, das Krankheitsbezogene Kompetenznetz Multiple Sklerose (KKNMS) sowie die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) haben darauf bereits in der Vergangenheit hingewiesen. Die aktuellen Ergebnisse, die vor Kurzem im New England Journal of Medicine publiziert wurden, unterstreichen nun diese Vorsichtsmaßnahmen. Der entsprechende Patientenaufklärungsbogen zur Langzeittherapie mit Natalizumab ist aktualisiert auf den Webseiten des KKNMS verfügbar.

 

 

Seltene, aber schwerwiegende Hirninfektion

 

Die progressive multifokale Leukenzephalopathie ist eine schwere demyelinisierende Erkrankung des zentralen Nervensystems, die durch das JC-Virus (JCV) verursacht wird. Sie ist die am meisten gefürchtete Komplikation unter der Therapie mit Natalizumab, da die Erkrankung bei 20 Prozent dieser Patienten tödlich verläuft oder schwere Behinderungen verursacht. Das JCV ist ein humanes Polyomavirus 2; JC steht für die Initialen des Indexpatienten John Cunningham, bei dem das Virus als Ursache seiner Erkrankung erstmals beschrieben wurde. 60 Prozent der Menschen sind natürlicherweise mit dem Virus infiziert. Es wird aber erst pathogen, wenn es aus Blut und peripheren Organen ins Zentralnervensystem übertritt. Das Erkrankungsrisiko ist im Allgemeinen gering: So wurden bis zum Ende des Studienzeitraums 212 Fälle (Stand Mai 2012: 242) von weltweit insgesamt 99571 Patienten, die mit Natalizumab behandelt worden waren, bestätigt. Die Forscher errechneten eine Inzidenz von 2,1 Erkrankungen pro 1000 Patienten, die jedoch bei Patienten mit positivem JC-Antikörpernachweis, vorheriger immunsuppressiver Therapie und bei einer länger als zwei Jahre dauernden Behandlung mit Natalizumab um etwa das Fünffache auf 11,1 JCV-Erkrankungen pro 1000 ansteigt.

 

 

Individuelle Risikoabschätzung

 

Umgekehrt scheint das Risiko für die Viruserkrankung bei Personen, die keine JC-Antikörper haben, deutlich geringer zu sein. „Das Risiko, dass JCV-Antikörper-negative Patienten unter Natalizumab PML entwickeln, geht nach momentanem Erkenntnisstand gegen Null (0,09 Fälle pro 1000 Patienten). Wenn die Patienten aber JCV-positiv sind, eine immunsuppressive Vortherapie bekommen haben und mehr als zwei Jahre behandelt wurden, steigt das Risiko sogar auf 1: 90 an“, so Professor Gold. Deshalb werden verschiedene Möglichkeiten erforscht, um diejenigen MS-Patienten frühzeitig zu erkennen, bei denen ein erhöhtes PML-Risiko besteht. Die Bestimmung der JCV-Serologie stellt eine wichtige Option dar und wird derzeit von einem europäischen Zentrallabor kostenfrei angeboten. Der JCV-Antikörperstatus lässt sich durch eine einfache Blutuntersuchung testen und trägt dazu bei, das individuelle Risiko für das Auftreten einer PML einzuschätzen und weitere Subgruppen nachzuweisen.

 

„Zusätzlich sollten Risikoüberwachungsstrategien für seropositive Patienten definiert und optimiert werden“, so die Empfehlung von Professor Heinz Wiendl, Direktor der Klinik für Entzündliche Erkrankungen des Nervensystems und Neuroonkologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und Vorstandssprecher des KKNMS. Die Behandlung mit Natalizumab wird unter neurologischer Kontrolle durchgeführt. Beim Verdacht auf PML werden sofort MRT, Blutkontrollen und meist auch eine Liquoruntersuchung veranlasst. Die Natalizumab-Therapie wird bis zum Ausschluss von PML gestoppt.

 

 

Erster verfügbarer monoklonaler Antikörper zur Therapie von MS

 

Natalizumab ist zugelassen für die Behandlung der schubförmigen Multiplen Sklerose bei Patienten, die auf eine herkömmliche Therapie nicht ansprechen. Der monoklonale Antikörper ist gegen das Adhäsionsmolekül VLA-4 gerichtet und reduziert den Übertritt von Lymphozyten über die Blut-Hirn-Schranke. Durch diese Therapie wird oft eine deutliche Reduktion der Schubereignisse und Stabilisierung, teilweise sogar eine Verbesserung des Behinderungsgrads erzielt. Natalizumab wird als monatliche Infusion verabreicht und im Allgemeinen sehr gut vertragen. Es handelt sich um eines der wirksamsten Medikamente bei MS. Das Risiko, unter der Therapie PML zu entwickeln, hatte in den USA 2004 kurz nach der Einführung jedoch zur Marktrücknahme des Wirkstoffs geführt. 2006 erhielt Natalizumab wieder eine streng zu beachtende, enge Zulassung. Im gleichen Jahr wurde Natalizumab auch in Europa mit entsprechenden Warnhinweisen eingeführt.

 

Um Standards in der Therapie mit Natalizumab sicherzustellen, hat das KKNMS in enger Zusammenarbeit mit DGN, DMSG und den neurologischen Berufsverbänden BDN und BVDN bereits im vergangenen Jahr ein Qualitätshandbuch für Ärzte herausgegeben. Es kann über die Geschäftsstelle des KKNMS bestellt werden.

 

 

Literatur

 

 

 

Service

 

Patientenaufklärungsbogen zum Download unter www.kompetenznetz-multiplesklerose.de/de/eskalationstherapie/natalizumab

 


Quelle: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN), 29.06.2012 (tB).

MEDICAL NEWS

IU School of Medicine researchers develop blood test for anxiety
COVID-19 pandemic increased rates and severity of depression, whether people…
COVID-19: Bacterial co-infection is a major risk factor for death,…
Regenstrief-led study shows enhanced spiritual care improves well-being of ICU…
Hidden bacteria presents a substantial risk of antimicrobial resistance in…

SCHMERZ PAINCARE

Hydromorphon Aristo® long ist das führende Präferenzpräparat bei Tumorschmerz
Sorgen und Versorgen – Schmerzmedizin konkret: „Sorge als identitätsstiftendes Element…
Problem Schmerzmittelkonsum
Post-Covid und Muskelschmerz
Kopfschmerz bei Übergebrauch von Schmerz- oder Migränemitteln

DIABETES

Wie das Dexom G7 abstrakte Zahlen mit Farben greifbar macht…
Diabetes mellitus: eine der großen Volkskrankheiten im Blickpunkt der Schmerzmedizin
Suliqua®: Einfacher hin zu einer guten glykämischen Kontrolle
Menschen mit Diabetes während der Corona-Pandemie unterversorgt? Studie zeigt auffällige…
Suliqua® zur Therapieoptimierung bei unzureichender BOT

ERNÄHRUNG

Positiver Effekt der grünen Mittelmeerdiät auf die Aorta
Natriumaufnahme und Herz-Kreislaufrisiko
Tierwohl-Fleisch aus Deutschland nur mäßig attraktiv in anderen Ländern
Diät: Gehirn verstärkt Signal an Hungersynapsen
Süßigkeiten verändern unser Gehirn

ONKOLOGIE

Strahlentherapie ist oft ebenso effizient wie die OP: Neues vom…
Zanubrutinib bei chronischer lymphatischer Leukämie: Zusatznutzen für bestimmte Betroffene
Eileiter-Entfernung als Vorbeugung gegen Eierstockkrebs akzeptiert
Antibiotika als Störfaktor bei CAR-T-Zell-Therapie
Bauchspeicheldrüsenkrebs: Spezielle Diät kann Erfolg der Chemotherapie beeinflussen

MULTIPLE SKLEROSE

Multiple Sklerose: Aktuelle Immunmodulatoren im Vergleich
Neuer Biomarker für Verlauf von Multipler Sklerose
Multiple Sklerose: Analysen aus Münster erhärten Verdacht gegen das Epstein-Barr-Virus
Aktuelle Daten zu Novartis Ofatumumab und Siponimod bestätigen Vorteil des…
Multiple Sklerose durch das Epstein-Barr-Virus – kommt die MS-Impfung?

PARKINSON

Meilenstein in der Parkinson-Forschung: Neuer Alpha-Synuclein-Test entdeckt die Nervenerkrankung vor…
Neue Erkenntnisse für die Parkinson-Therapie
Cochrane Review: Bewegung hilft, die Schwere von Bewegungssymptomen bei Parkinson…
Technische Innovationen für eine maßgeschneiderte Parkinson-Diagnostik und Therapie
Biomarker und Gene: neue Chancen und Herausforderungen für die Parkinson-Diagnose…