Neue Hoffnung für Alzheimer-Patienten

Positive Signale für den Einsatz eines Krebsmedikaments

Berlin (16. Juli 2020) — Die Behandlung der Alzheimer-Erkrankung stagniert trotz des großen Wissenszuwachses der letzten Jahre und der Entwicklung neuer Medikamente. Hoffnungsvolle Therapieansätze enttäuschten in der klinischen Prüfung. Eine Phase-2-Studie gibt nun ein positives Signal für den Einsatz von Nilotinib, eigentlich ein Krebsmedikament, zur Behandlung der Alzheimer-Erkrankung. Demnach kann die Substanz bei Alzheimer-Patienten die pathologischen Proteinablagerungen im Gehirn reduzieren.

Nilotinib wird bereits für die Behandlung einer bestimmten Form der Leukämie eingesetzt. Nilotinb ist ein sogenannter Tyrosinkinase-Inhibitor und blockiert bestimmte Schritte im Stoffwechsel der Krebszellen und hemmt ihr Wachstum. Bei der Alzheimer-Erkrankung, einer chronischen neurodegenerativen Erkrankung, kommt es zur Produktion von fehlerhaften bzw. fehlgefalteten Proteinen (Beta-Amyloid, Tau-Protein), welche sich im Gehirn der Betroffenen in Form von Plaques oder als faserartige Fibrillen ablagern.

Im Alzheimer-Tiermodell reduzierte Nilotinib die Proteinablagerungen und fördert deren Abbau. In einer klinischen Phase-II-Studie wurden nun randomisiert, doppelblind und placebokontrolliert die Sicherheit und Verträglichkeit der Substanz sowie ihre Pharmakokinetik bzw. die Wirkung auf verschiedene Alzheimer-Biomarker untersucht. 37 Patienten (davon 27 Frauen) zwischen 50 und 85 Jahren (im Mittel 70,7±6,48 Jahre) mit leicht bis mittelgradiger Alzheimer-Demenz wurden zunächst für mindestens einen Monat stabil auf eine einheitliche medikamentöse Therapie eingestellt (Acetylcholinesterase-Hemmer, Galantamin, Rivastigmin oder Donepezil). Es erfolgten Ausgangsuntersuchungen des Gehirns (Positronen-Emissions-Tomographie und MRT) sowie der Rückenmarksflüssigkeit (Liquor). Die Patienten wurden 1:1 in zwei Gruppen randomisiert und erhielten über 26 Wochen entweder einmal täglich oral 150 mg Nilotinib, gefolgt von 300 mg täglich für weitere 26 Wochen – oder Placebo.

Im Ergebnis zeigte die PET-Bildgebung, dass in der Nilotinib-Gruppe die Amyloid-Plaques im Frontallappen des Gehirns gegenüber der Placebogruppe signifikant zurückgegangen waren. Im Liquor waren relevante Konzentrationen von Nilotinib nachweisbar; außerdem sanken die Konzentration von Beta-Amyloid-40 bereits nach sechs Monaten und von Beta-Amyloid-42 nach 12 Monaten deutlich ab. Auch die Tau-Protein-Menge („Phospho-Tau-181“) war nach sechs und 12 Monaten rückläufig und der Volumenverlust des Hippocampus,einee Hirnregion die für das Gedächnis wichtig ist, war im MRT-Bild nach 12 Monaten um 27% geringer ausgeprägt als in der Placebogruppe. Nilotinib wurde gut vertragen, mit 300 mg gab es mehr Nebenwirkungen (besonders Stimmungsschwankungen) als mit 150 mg. Schwere unerwünschte Ereignisse gab es in der Nilotinib-Gruppe nicht, in der Placebogruppe traten bei drei Patienten insgesamt fünf Ereignisse auf (Rhabdomyolyse, Bronchitis, Hypotonie, Schwindelattacke). Schwere kardiale Nebenwirkungen (wie sie in der Onkologie unter 600 mg/d beschrieben sind) gab es nicht. Orientierende klinische Tests wie der MMST („Mini-Mental-Status-Test“) und ADAS-Cog („Alzheimer’s Disease Assessment Scale“) zur Objektivierung kognitiver Fähigkeiten (Orientierung, Merkfähigkeit, Aufmerksamkeit / Rechenfähigkeit, Sprache) zeigten keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen, jedoch eine Tendenz zu besseren Werten in der Nilotinib-Gruppe.

„Diese relativ kleine Studie hat zunächst in erster Linie Sicherheit, Verträglichkeit und Effekte von Nilotinib auf Alzheimer-Biomarker untersucht – und das erfolgreich“, so Prof. Dr. Richard Dodel, Geriater und Neurologe an der Universität Duisburg-Essen. „Die Studie hatte jedoch zu wenige Patienten bzw. war gar nicht dazu konzipiert, um eine Verlaufsbeurteilung der Demenz zu ermöglichen. Dennoch hoffen wir darauf, dass sich der positive Trend hinsichtlich der kognitiven Tests künftig in großen klinischen Studien bestätigen lässt. Möglicherweise muss man die Patienten auch in noch früheren Erkrankungsstadien behandeln, um langfristig krankheitsmodifizierende Vorteile zu sehen.“

„Nach den negativen Ausgang von Studien zu verschiedenen, zunächst sehr hoffnungsvollen Therapieansätzen ist diese Studie ein positives Signal für die Alzheimer-Forschung. Angesichts der steigenden Zahlen der Betroffenen, stehen wir im Wettlauf mit der Zeit. Eine wirksame Therapie, die die Progression der Erkrankung aufhält, wäre ein Segen für die gesamte Menschheit“, erklärt Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Pressesprecher der Deutschen Gesellschaft für Neurologie.
[1] Turner RS, Hebron ML, Lawler A et al. Nilotinib Effects on Safety, Tolerability, and Biomarkers in Alzheimer’s Disease. Ann Neurol 2020; 88: 183–194


Originalpublikation

 

 


Quelle: Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V., 1607.2020 (tB).

Schlagwörter: ,

MEDICAL NEWS

IU School of Medicine researchers develop blood test for anxiety
COVID-19 pandemic increased rates and severity of depression, whether people…
COVID-19: Bacterial co-infection is a major risk factor for death,…
Regenstrief-led study shows enhanced spiritual care improves well-being of ICU…
Hidden bacteria presents a substantial risk of antimicrobial resistance in…

SCHMERZ PAINCARE

Hydromorphon Aristo® long ist das führende Präferenzpräparat bei Tumorschmerz
Sorgen und Versorgen – Schmerzmedizin konkret: „Sorge als identitätsstiftendes Element…
Problem Schmerzmittelkonsum
Post-Covid und Muskelschmerz
Kopfschmerz bei Übergebrauch von Schmerz- oder Migränemitteln

DIABETES

Wie das Dexom G7 abstrakte Zahlen mit Farben greifbar macht…
Diabetes mellitus: eine der großen Volkskrankheiten im Blickpunkt der Schmerzmedizin
Suliqua®: Einfacher hin zu einer guten glykämischen Kontrolle
Menschen mit Diabetes während der Corona-Pandemie unterversorgt? Studie zeigt auffällige…
Suliqua® zur Therapieoptimierung bei unzureichender BOT

ERNÄHRUNG

Positiver Effekt der grünen Mittelmeerdiät auf die Aorta
Natriumaufnahme und Herz-Kreislaufrisiko
Tierwohl-Fleisch aus Deutschland nur mäßig attraktiv in anderen Ländern
Diät: Gehirn verstärkt Signal an Hungersynapsen
Süßigkeiten verändern unser Gehirn

ONKOLOGIE

Strahlentherapie ist oft ebenso effizient wie die OP: Neues vom…
Zanubrutinib bei chronischer lymphatischer Leukämie: Zusatznutzen für bestimmte Betroffene
Eileiter-Entfernung als Vorbeugung gegen Eierstockkrebs akzeptiert
Antibiotika als Störfaktor bei CAR-T-Zell-Therapie
Bauchspeicheldrüsenkrebs: Spezielle Diät kann Erfolg der Chemotherapie beeinflussen

MULTIPLE SKLEROSE

Multiple Sklerose: Aktuelle Immunmodulatoren im Vergleich
Neuer Biomarker für Verlauf von Multipler Sklerose
Multiple Sklerose: Analysen aus Münster erhärten Verdacht gegen das Epstein-Barr-Virus
Aktuelle Daten zu Novartis Ofatumumab und Siponimod bestätigen Vorteil des…
Multiple Sklerose durch das Epstein-Barr-Virus – kommt die MS-Impfung?

PARKINSON

Meilenstein in der Parkinson-Forschung: Neuer Alpha-Synuclein-Test entdeckt die Nervenerkrankung vor…
Neue Erkenntnisse für die Parkinson-Therapie
Cochrane Review: Bewegung hilft, die Schwere von Bewegungssymptomen bei Parkinson…
Technische Innovationen für eine maßgeschneiderte Parkinson-Diagnostik und Therapie
Biomarker und Gene: neue Chancen und Herausforderungen für die Parkinson-Diagnose…