Elisabeth Hübler-Umemoto, Pfarrerin an der Kreuzkirche. Neujahr 2012
in der Kreuzkirche Tokyo-Yokohama

Liebe Gemeinde,

ein außerordentliches Jahr liegt hinter uns.

Voller Dramatik, voller gesellschaftlicher Umbrüche, Existenznöte, Staatspleiten, Schicksalsschläge, Katastrophen, aber auch voller Neuanfänge, zaghaft, aber voller Hoffnung.

Dieses vergangene Jahr hat uns hier in Japan von einem Augenblick auf den anderen auf schreckliche Weise Neues zugemutet: Viele Menschen haben ihre Existenz, ihr Leben, ihre Heimat verloren. Viele Angehörige der deutschen Community sind aus Japan weggegangen. Nur manche sind zurückgekehrt.

Für uns als Gemeinde hat sich manches verändert und wird sich noch manches verändern, Arbeit hat sich vermehrt, das neue Pfarrhaus steht, die Nachfolge-Bewerber kündigen sich an.

Wir haben in Folge der Tsunami-Katastrophe viel Gutes erfahren dürfen: mehrere tausend Spenderinnen und Spendern haben uns Geld anvertraut für die Opfer der Katastrophe und spenden immer noch beträchtliche Summen. Und wir durften in Iwate viele wundervolle Menschen kennen lernen, die uns geholfen haben, die Spenden an die richtigen Orte zu bringen.

So gehen wir aus diesem vergangenen Jahr bereichert und beschenkt ins Neue.

Die Jahreslosung dieses Jahres 2012 ist der berühmte Satz des Apostels Paulus: Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.

Das klingt zunächst wie eine nachträgliche Interpretation des vergangenen Jahres. Bei so viel Unglück ist doch entscheidend gewesen, dass sich schwache Menschen zusammen gefunden haben, getan haben, was sie konnten, damit sich eine Zukunft nach der Katastrophe öffnet.

Manche haben sich in ihrer Ohnmacht geopfert und damit etwas bewegt.

Ich denke an jenen tunesischen Händler, der es satt hatte und auch gar nicht die Mittel, schon wieder Bestechungsgeld zu zahlen, einfach nur, um seinem Alltag in Ruhe nachgehen zu können. Und der vor sein Rathaus gegangen ist, sich mit Benzin übergossen und angesteckt hat. Dieses Fanal der äußersten Ohnmacht eines Menschen, der in seinem Leben nicht erfahren hat, dass er je sein Recht bekommt, hat die Länder im mittleren Osten in Bewegung gebracht, Regime gestürzt und Neuanfänge zaghaft auf den Weg gebracht.

Gottes Kraft in den Schwachen mächtig.

Welten haben sich bewegt, aus schrecklichem Unglück wird nach und nach ein neues Leben. Ich denke noch einmal an die Aufführung der 9. Symphonie von Beethoven in Kamaishi, wo die Menschen so entschlossen „Freude“ gesungen haben, gegen alle dunklen Erfahrungen angesungen, die Freude schon einmal anklingen ließen, auch wenn sie im Alltag vielleicht erst viel später eine Erfahrung wird. Hier wurde neue Hoffnung in Musik gekleidet, für alle hörbar.

Gottes Kraft in den Schwachen.

Lassen Sie mich den Paulinischen Satz einmal im Zusammenhang lesen: 2. Korinther 12, 6 – 10

"…wenn ich mich rühmen wollte, wäre ich nicht töricht; denn ich würde die Wahrheit sagen. Ich enthalte mich aber dessen, damit nicht jemand mich höher achte, als er an mir sieht oder von mir hört. Und damit ich mich wegen der hohen Offenbarungen nicht überhebe, ist mir gegeben ein Pfahl ins Fleisch, nämlich des Satans Engel, der mich mit Fäusten schlagen soll, damit ich mich nicht überhebe. Seinetwegen habe ich dreimal zum Herrn gefleht, dass er von mir weiche. Und er hat zu mir gesagt: Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, damit die Kraft Christi bei mir wohne. Darum bin ich guten Mutes in Schwachheit, in Misshandlungen, in Nöten, in Verfolgungen und Ängsten, um Christi willen; denn wenn ich schwach bin, so bin ich stark."

Bei Paulus sehe ich, wie es mir selber auch geht und Ihnen vielleicht auch: dass er Schwierigkeiten hat, sich seine Schwäche einzugestehen, sich gar mit seiner Schwäche abzufinden. Wie viel näher liegt es uns Menschen, unsere Schwächen zu verachten, zu verstecken, weg zu trainieren. Ein Ratschlag aus der Psychotherapie heißt: „Verwandle deine Schwächen in deine Stärken“, als ob es so gar nichts wäre, sein Leben in jede gewünschte Richtung zu lenken und jederzeit souverän zu bestimmen, wie ich mich gerade fühlen möchte.

Paulus hat erst diesen Pfahl im Fleisch gebraucht, den er mit keinem Trick weg bekommt, um etwas über sich und seinen Gott zu lernen:

Ich höre das folgendermaßen:

Du, Mensch, mach dir deine Verwundbarkeit nicht weg, sie ist das eigentlich Menschliche an dir. Wenn du verwundbar bleibst, bleibst du offen und ehrlich deinen Mitmenschen gegenüber. Dann bewahrst du dir die nötige Demut im Umgang mit den anderen, dann schaust du nicht hochmütig auf andere herab, die schon schwächeln, während du noch topp fit allen Anforderungen genügst. Dann kannst du vielleicht auch deinen Selbsthass ablegen im Gedanken an deine Schwachheit.

Es geht nicht um deine glänzende „Performance“ in der Begegnung mit anderen. Es geht nicht um schimmernde, makellose Fassaden, und was dahinter ist, geht niemanden etwas an. Solche Täuschung der Öffentlichkeit schafft Distanz, schafft Misstrauen und Machtmissbrauch.

Es gibt durchaus auch den Machtmissbrach dessen, der sich schwach darstellt: den Egoismus des kranken Menschen, der alle nach seiner Pfeife tanzen lässt und die Mitleidsgefühle seiner Umgebung ausbeutet. Das ist hier nicht gemeint!

Ich höre Paulus so:

Wer verwundbar ist, ist offen für den anderen, stellt sich nicht über ihn, sondern auf gleiche Höhe. Wir sind Menschen und wir sind uns genau an diesem Punkt gleich, unabhängig davon, was wir im Alltag gelten mögen:

Jede und jeder von uns lebt allein aus der Gnade Gottes, nicht aus sich selber, nicht aus seiner Stärke, sondern sogar aus seiner Schwäche, wenn er, wenn sie, die denn zulassen mag.

Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Dieser Satz stellt uns Menschen alle vor Gott auf eine gleiche Stufe. In ihm können wir einander begegnen, einander als Menschen erkennen, einander helfen und heilen.

In der Schwäche liegt das Geheimnis der Kraft Gottes verborgen.

Gott helfe uns in diesem kommenden Jahr, das zu entdecken: meine Schwäche ist nicht einfach mein fehlender Erfolg oder mein Versagen, sondern, wo ich verwundbar, wo ich schwach bin, will Gott mir zeigen, dass ich in allem, was ich bin und habe auf ihn vertrauen kann. Gott trägt und hält mein Leben. Gott zeigt die Wege, die sich öffnen, oft erst, wenn kein anderer Ausweg mehr möglich ist. Gott führt und begleitet. In diesem Vertrauen lassen Sie uns in das Jahr 2012 gehen, das so viel Neues und noch gänzlich Unbekanntes bereithält. Dass wir alles aus Gottes Hand nehmen und voller Vertrauen Schritt für Schritt machen können.

Dazu segne uns Gott. Amen.

Elisabeth Hübler-Umemoto, Pfarrerin an der Kreuzkirche.

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