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Nutzen von Gliniden ist nicht belegt
Bislang nur Kurzzeiteffekte untersucht / IQWiG fordert Langzeitstudien
Berlin (4. Juni 2009) – Der Nutzen von Gliniden bei der Behandlung des Typ-2-Diabetes ist wissenschaftlich nicht belegt. Auch im Vergleich mit weiteren in Tablettenform verfügbaren Antidiabetika wie Metformin und Sulfonylharnstoffen schneiden Glinide nicht besser ab. Somit fehlt auch ein Beleg für einen Zusatznutzen. Obwohl Repaglinid seit 10 Jahren und Nateglinid seit 8 Jahren in Deutschland zugelassen sind, gibt es bislang keine relevanten Studien, die länger als 14 Monate dauerten. Zu diesem Ergebnis kommt der Abschlussbericht, den das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) am 4. Juni 2009 vorgelegt hat.
Therapieoption für Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2
Meist wird eine Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2, auch Altersdiabetes genannt, mit nichtmedikamentösen Therapien wie z.B. Ernährungsumstellung, Gewichtsreduktion und sportlicher Bewegung begonnen. Wird der Blutzucker dadurch nicht ausreichend gesenkt, können zusätzlich Medikamente eingesetzt werden.
Dazu stehen außer Insulin auch die sogenannten oralen Antidiabetika (OAD) zur Verfügung. Neben den Gliniden gehören zum Beispiel auch Sulfonylharnstoffe, Metformin und Glitazone zu dieser Gruppe. Die einzelnen Substanzen haben dabei unterschiedliche Wirkungsweisen. Glinide regen die Produktion von Insulin in der Bauchspeicheldrüse an. Eine besondere Eigenschaft der Glinide ist unter anderem die schnelle Wirkung: Vor der Mahlzeit eingenommen, senken Glinide den Blutzucker nach dem Essen vergleichsweise rasch wieder ab.
In Deutschland zugelassen und damit Gegenstand dieser IQWiG-Untersuchung sind zurzeit zwei Substanzen der Wirkstoffgruppe Glinide: Repaglinid (NovoNorm® von NovoNordisk) und Nateglinid (Starlix® von Novartis). Die Zulassung der beiden Substanzen unterscheidet sich allerdings leicht: Während Repaglinid sowohl für die Monotherapie als auch für die Therapie in Kombination mit dem Wirkstoff Metformin zugelassen ist, darf Nateglinid hierzulande nur zusammen mit Metformin verordnet werden.
Keine Langzeitstudien vorhanden
Ziel der vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) beauftragten Untersuchung war es, den Nutzen einer langfristigen Anwendung von Gliniden zu bewerten. Insgesamt wurden von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern 10 relevante Studien identifiziert, 8 davon zu Repaglinid und 2 zu Nateglinid. Eingeschlossen wurden dabei Studien mit einer Mindestbehandlungsdauer von 24 Wochen. Bei diesem Beobachtungszeitraum ist davon auszugehen, dass die Patienten stabil auf das neue Medikament eingestellt sind.
Keine der eingeschlossenen Studien dauerte länger als 14 Monate. Weder zu Repaglinid noch zu Nateglinid lagen also Langzeitstudien vor, die auf die Untersuchung von Diabetes-Folgeerkrankungen ausgerichtet waren. Das überrascht auch deshalb, weil beide Wirkstoffe schon seit über sieben Jahren zugelassen sind. Die Autorinnen und Autoren kommen daher zu dem Ergebnis, dass ein Nutzen der Glinide aufgrund fehlender Studien nicht belegt ist. Sie sehen hier Forschungsbedarf und fordern weitere Studien, in denen die langfristige Anwendung von Gliniden untersucht wird.
Aussagen zu wichtigen patientenrelevanten Endpunkten nicht möglich
Auch bei der Auswertung der vorhandenen Studien blieben wesentliche Fragen unbeantwortet. Das lag vor allem daran, dass in den verfügbaren Studien viele der im Berichtsplan des Instituts festgelegten Therapieziele, wie z.B. Vermeidung von Folgekomplikationen, gesundheitsbezogene Lebensqualität und Therapiezufriedenheit überhaupt nicht untersucht wurden.
Und auch die Daten zu den untersuchten Therapiezielen ließen keine sichere Aussage darüber zu, ob Patienten von der Behandlung mit Gliniden profitieren. Denn die Daten wurden zum Teil nicht ausreichend transparent dargestellt oder die Studien waren anfällig für Verzerrungen.
Insgesamt ist nach Aussage des IQWiG und seiner externen Sachverständigen also weder ein Nutzen noch ein Zusatznutzen gegenüber anderen medikamentösen Therapieoptionen belegt.
Vergleich mit anderen Therapien nur teilweise möglich
Für die meisten Therapiealternativen wurden keine relevanten Studien identifiziert, die andere Medikamente mit den Gliniden vergleichen. Vor allem Vergleichsstudien mit neueren blutzuckersenkenden Mitteln wie beispielsweise Exenatiden oder Gliptinen fehlen. Aber auch für bereits etablierte Antidiabetika wie Insulin oder Glitazone wurden keine Studien gefunden. Ein Vergleich war nur für die Wirkstoffe Metformin und Sulfonylharnstoffe möglich.
Weder Nutzen noch Schaden bei kardiovaskulären Ereignissen bestimmbar
Die Behandlung mit oralen Antidiabetika wird im Moment in Fachkreisen besonders im Hinblick auf das mögliche Auftreten von kardiovaskulären Ereignissen, also zum Beispiel Herzinfarkte diskutiert. Die Autorinnen und Autoren des Berichts haben daher die vorliegenden Studien zu den Gliniden auch auf das Auftreten von kardiovaskulären Ereignissen hin ausgewertet. Allerdings war keine der Studien darauf ausgelegt, einen Nutzen oder einen Schaden der Glinide bei diesem Endpunkt zu untersuchen. Die einzigen Angaben zu kardiovaskulären Ereignissen fanden sich bei Auswertungen zu unerwünschten Ereignissen. Die kleinen Fallzahlen lassen allerdings keinen deutlichen Schluss auf einen Schaden oder Nutzen der Glinide in Hinblick auf kardiovaskuläre Ereignisse zu. Auch bei diesem für die Auswahl eines Antidiabetikums wichtigen Punkt fehlen also Daten. Hier sehen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ebenfalls dringenden Nachholbedarf.
Zum Ablauf der Berichtserstellung
Die vorläufigen Ergebnisse, den sogenannten Vorbericht, hatte das IQWiG Anfang Dezember 2008 veröffentlicht und zur Diskussion gestellt. Nach dem Ende des Stellungnahmeverfahrens wurde der Vorbericht überarbeitet und als Abschlussbericht Anfang April 2009 an den Auftraggeber versandt. Eine Dokumentation der schriftlichen Stellungnahmen sowie ein Protokoll der mündlichen Erörterung werden in einem eigenen Dokument zeitgleich mit dem Abschlussbericht publiziert. Der Bericht wurde gemeinsam mit externen Sachverständigen erstellt.
Quelle: Pressemitteilung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) vom 04.06.2009.