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Onkologische Supportivtherapie
Komplementäre Therapieverfahren können onkologische Spitzenmedizin bereichern
Stuttgart (30. September 2017) – Bis zu 70% der Patienten mit Krebserkrankungen nutzen regelmäßig Naturheilverfahren, wovon allerdings nur ein Bruchteil – durchschnittlich 9% – ärztlich verordnet ist. Letzteres hält PD Dr. Claudia Löffler vom Onkologischen Zentrum der Universitätsklinik Würzburg für fragwürdig. „Es muss zur Aufgabe der „Schulmedizin“ werden, das Bedürfnis unserer Patienten nach entsprechenden Informationen zu erkennen und die Patienten kompetent zu beraten“, unterstrich Löffler bei der Einführungspressekonferenz für das Selenpräparat Cysel® (Natriumselenit) im Rahmen der DGHO-Jahrestagung in Stuttgart. Auch PD Dr. Michael Klein, Recklinghausen sprach sich bei der Tagung dafür aus, seriöse Verfahren der Komplementärmedizin wie etwa die Misteltherapie sinnvoll in schulmedizinische Konzepte zu integrieren, insbesondere, um Nebenwirkungen der tumoraktiven Therapie zu vermindern.
Selen: Nur bei nachgewiesenem Mangel substituieren…
Das essentielle Spurenelement Selen steht als Baustein für Proteine und Stoffwechselwege, die in die Entzündungsregulation und antioxidative Prozesse sowie DNA-Reparaturvorgänge und in den Schilddrüsenstoffwechsel involviert sind, schon lange im Fokus des Interesses von Patienten und Ärzten. Bis heute seien rund 25 Selenoproteine im menschlichen Organismus bekannt.1 Wie Löffler betonte, werde diskutiert, dass eine gute Versorgung mit Selen zu einer Reduktion von Nebenwirkungen einer Tumortherapie beitragen und möglicherweise allgemein vor Krebserkrankungen schützen könne.
Deutschland gilt wie viele europäische Länder als Selenmangelgebiet. Das Bundesministerium für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) empfiehlt Selenspiegel von 80-120 μg/l im Serum und 100-140 μg/l im Vollblut, wenngleich es laut Löffler keinen internationalen Konsens gebe. In Deutschland lägen die durchschnittlichen Selenspiegel jedoch nur bei 70-80 μg/l im Serum. Im Selendefizit ist keine ausreichende und optimale Aktivität von Selenoproteinen gewährleistet. Die tägliche empfohlene Aufnahme an Selen sollte laut internationalen Fachgesellschaften zwischen 55 μg/Tag und 70 μg/Tag liegen.2 Patienten mit Malignomen sind besonders von einem Selendefizit betroffen,3-7 das durch aktive Tumorbehandlungen wie etwa eine Strahlentherapie noch weiter verstärkt wird.8
Eine Substitution von Selen nach dem Motto „Wenn Krebs, dann Selen“ sei allerdings nicht der richtige Weg, betonte Löffler, denn eine Überversorgung mit dem Spurenelement könne sich ebenso nachteilig auswirken wie ein Selendefizit. Nach aktuellem Wissensstand profitieren nur Subgruppen mit nachgewiesenem Selenmangel von einer Substitution. Aus diesem Grund, so Löffler, besteht ein sinnvoller und pragmatischer Ansatz darin, „unter Monitoring der Serumspiegel“ kontrolliert zu substituieren. Dafür sprächen auch Daten aus klinischen Untersuchungen, auch wenn die Datenlage insgesamt noch unzureichend sei.
… und in Form von anorganischem Natriumselenit
Auch die Auswahl des Präparates spielt laut Löffler eine entscheidende Rolle. Für die Supplementation solle nur anorganisches Natriumselenit verwendet werden, da es schnell bioverfügbar sei, zeitnah in Selenoproteine eingebaut werde und vor allem – im Gegensatz zu organischen Selenverbindungen – im Organismus nicht akkumulieren könne. Löffler betonte, dass es auffällig sei, dass alle Negativstudien zu Selen, im präventiven wie im therapeutischen Setting, mit organischem Selen durchgeführt wurden. Zudem sei in der Regel nicht sichergestellt gewesen, dass bei den Patienten überhaupt ein Selenmangel vorlag. Alle positiven Studien zu Selen seien dagegen mit Natriumselenit und bei nachgewiesenem Selendefizit durchgeführt worden.
„Alles richtig gemacht“ wurde laut Löffler in einer klinischen Phase-III-Studie bei 81 Patientinnen mit Zervix- und Endometriumkarzinom mit nachgewiesenem Selenmangel (um 65 μg/l im Serum). Hier wurde Natriumselenit in pharmakologischer Dosierung (500 μg) vor der Strahlentherapie supplementiert, an therapiefreien Tagen 300 μg.9 Dadurch konnten die vor der Behandlung deutlich erniedrigten Selenspiegel der Patientinnen auf rund 90 μg/l erhöht werden (primärer Endpunkt), was die Effizienz der Selensupplementation unter Radiatio unterstreicht. Zudem wurden verminderte Nebenwirkungen, etwa eine Verminderung der Inzidenz der Diarrhoe ab Grad 2 beschrieben (20,5% vs. 44,5%).9 Ein Langzeit-Follow-Up über 10 Jahre zeigte keine nachteiligen Effekte der Selensupplementation auf die Wirkung der Strahlentherapie.10
Zusammenfassend besitzt Selen in Form von anorganischem Natriumselenit wie etwa das neu verfügbare Präparat Cysel®11 ein vielversprechendes Potenzial für den Einsatz in der supportiven Tumortherapie. Unter der Voraussetzung, dass „ein Monitoring im Blut durchgeführt wird und geeignete Dosen gewählt werden“, sei ein sicherer Einsatz in der Praxis sinnvoll, betonte Löffler. Ihr Fazit: „Komplementäre Therapieverfahren können unsere hochtechnisierte Spitzenmedizin bereichern und die Versorgung unserer Patienten maßgeblich verbessern.“
Mistel gegen Tumor-assoziierte Fatigue
Auch die Misteltherapie könne sinnvoll als supportive und komplementäre Therapiemaßnahme in schulmedizinische Konzepte integriert werden, betone PD Dr. Michael Klein, Recklinghausen, bei einem Satellitensymposium im Rahmen der DGHO-Jahrestagung. Es gebe gute Hinweise aus der Fachliteratur, dass die Mistel die Lebensqualität von Krebspatienten verbessern und zu einer Reduktion der Tumor-assoziierten Fatigue (Cancer-related fatigue, CrF) beitragen könne.
Die CrF ist eine der häufigsten und für die Patienten sehr belastende Nebenwirkung einer Tumorerkrankung sowie onkologischer Therapien. Der Zustand anhaltender und unüberwindbarer Erschöpfung und ausgeprägter Müdigkeit tritt oft als direkte Folge von systemischen Tumortherapien und Strahlentherapien auf, kann aber auch bei fortgeschrittenen Tumorerkrankungen und auch erst nach Behandlungsende auftreten. In ihrer chronischen Form können die Beschwerden der CrF monate- bis jahrelang persistieren. Die komplexen und multifaktoriellen Ursachen der Fatigue liegen nach aktuellem Kenntnisstand sowohl in der Tumorerkrankung selbst als auch in der onkologischen Behandlung begründet.12
Wie Klein berichtete, spielen bei der CrF pathophysiologisch neben proinflammatorischen Prozessen auch Veränderungen im Serotonin-Stoffwechsel des ZNS sowie Störungen der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenachse eine bedeutende Rolle.
Multimodale Therapiestrategie
Strategien zur Behandlung der Fatigue umfassen laut Klein nicht medikamentöse Verfahren – körperliches Training, Psychotherapie/Beratung, Aktivitäts- und Energiemanagement und ggf. Verhaltenstherapie – ebenso wie medikamentöse.
Zu den medikamentösen Therapiemöglichkeiten zählt laut Klein der kurzzeitige Einsatz von Glukokortikoiden. Der Einsatz der Psychostimulanzien Methylphenidat und Modafinil müsse im Rahmen eines Off-label-Use zurückhaltend und unter sorgfältiger ärztlicher Kontrolle erfolgen. Diskutiert wurden auch Ansätze mit Thyreoliberin und EPO (ebenfalls Off-label-Use). Unter den Phytopharmaka könnten Ginseng und Guarana als traditionelle Mittel gegen Erschöpfung eingesetzt werden. Auch Mistelextrakte, deren pharmakologisch aktive Substanzen, allen voran Mistellektine und Viscotoxine,13,14 in vitro antitumoral und immunstimulierend wirken,14-16 hätten in Studien eine gute Wirksamkeit bei tumor-assoziierten Erschöpfungszuständen gezeigt.
Misteltherapie verbessert die Lebensqualität …
Klein stellte eine randomisierte Doppelblindstudie vor, die den Einfluss von standardisiertem Mistelextrakt (PS76A2) im Vergleich zu Placebo auf die Lebensqualität von 352 (176 vs. 176) Patientinnen mit Mammakarzinom während einer Chemotherapie und im Follow-up untersucht hatte. Die Patientinnen, die den Pflanzenextrakt erhalten hatten, gaben signifikant häufiger an, über einen höheren Energielevel zu verfügen als die Patientinnen unter Placebo.17 Auch in einer prospektiven, randomisierten Studie aus Serbien mit 220 Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Pankreaskarzinom hatte sich bei den Patienten, die zusätzlich zur bestmöglichen supportiven Behandlung eine Misteltherapie mit Iscador® Qu erhalten hatten, neben einer Verlängerung des medianen Gesamtüberlebens18 eine klare Verbesserung der Lebensqualität gezeigt.19
… und vermindert Fatigue
Welche positiven Effekte die Misteltherapie speziell im Hinblick auf die Fatigue liefern kann, belegen die Daten einer aktuellen retrospektiven, multizentrischen, epidemiologischen Kohortenstudie bei 324 Patienten mit nicht metastasiertem kolorektalem Karzinom im UICC-Stadium I bis III. Wie Klein berichtete, erhielten die Patienten (181 Testgruppe, 143 Kontrollgruppe) nach der Operation eine tumoraktive Therapie. Ein Teil der Patienten wurde außerdem median über 8,6 Monate zwei- bis dreimal wöchentlich mit einer Misteltherapie (Iscador®) behandelt. Zielparameter war das Auftreten eines krebsbedingten Fatigue- Syndroms. Am Ende des Behandlungszeitraums litten in der Mistel-Gruppe 8,8% der Patienten unter Fatigue gegenüber 60,1% in der Kontrollgruppe.20 Bereits 2009 hatte eine Pilotstudie eine signifikante Verbesserung der Lebensqualität bei Patientinnen mit Mammakarzinom unter Chemotherapie ergeben. Auch hier hatte sich gezeigt, dass die zusätzlich mit Mistelextrakt behandelten Frauen signifikant seltener unter Fatigue litten.21 Eine weitere prospektive Untersuchung bei 25 Krebspatienten verschiedener Entitäten Patienten hatte ergeben, dass sich nach einer Misteltherapie über drei Monate die Fatigue der Patienten deutlich zurückbildete. „Es kam zu einer signifikanten Besserung des Selbstwertgefühls, der emotionalen Ebene und der Fatigue“, betonte Klein.
Ein Cochrane Review aus dem Jahr 2008 kam zu dem Ergebnis, dass 14 von 16 untersuchten randomisierten Studien eine Wirksamkeit von Mistelextrakten begleitend zur Chemotherapie im Sinne einer Verbesserung der Lebensqualität zeigen, insbesondere bei Patientinnen mit Mammakarzinom.22 Eine Verbesserung der Lebensqualität war auch das Ergebnis einer systematischen Übersichtsarbeit, die 26 randomisierte und 10 nicht-randomisierte klinische Studien untersucht hatte.23 Insgesamt, so Klein, würden aber mehr „fokussierte Studien höherer Qualität“ zur Misteltherapie benötigt. Gerade zum Einsatz von Mistelextrakt in der Hämatologie sei die Datenlage extrem schlecht. Derzeit wird der Einsatz der Mistel bei hämatologischen Malignomen nicht empfohlen. Auch mögliche Wechselwirkungen der Mistel mit modernen Immuntherapien seien nicht geklärt.
Zusammenfassend sieht Klein in der Fachliteratur gute Hinweise für zytotoxische und immunmodulatorische Effekte der Misteltherapie. In mehreren Studien habe sich eine Verbesserung der Lebensqualität sowie eine Reduktion von Neutropenien gezeigt. Insbesondere der Rückgang der Fatigue unter dem Einfluss der Mistel sei gut belegt. Besonders wichtig für Klein: „Bis dato gibt es keine Hinweise für einen relevanten negativen Einfluss der Misteltherapie auf Standardtherapien“. Die gut verträgliche Misteltherapie (z.B. Bremistal®24) sei auch eine psychologische Unterstützung für die Patienten, da diese selbst aktiv werden und einen Beitrag zur Überwindung ihrer Erkrankung leisten könnten.
Autorin: Dr. Claudia Schöllmann, Grasbrunn
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- Fachinformation BREMISTAL® M Serie 0/Serie I/Serie II/10 mg/20 mg Injektionslösung, Stand Oktober 2016, BREMISTAL® P Serie 0/Serie I/Serie II/10 mg/20 mg Injektionslösung, Stand Oktober 2016, BREMISTAL® Qu Serie 0/Serie I/Serie II/10 mg/20 mg Injektionslösung, Stand Oktober 2016
Quelle: Einführungspressekonferenz Cysel®, 30. September 2017 sowie Satellitensymposium „Stellenwert der Komplementärmedizin im Rahmen der Supportivtherapie“ der Mundipharma Deutschland GmbH & Co. KG, 1.10.2017, beides im Rahmen der DGHO-Jahrestagung in Stuttgart 2017 (tB).