European Neurological Society (ENS) 2009: Neurologen tagen in Mailand

Parkinson: Zunehmende Aufmerksamkeit für nicht-motorische Störungen eröffnet neue Therapieoptionen

 

Mailand, Italien (22. Juni 2009) – Nicht-motorischen Beschwerden von Parkinson-Patienten wie Schlafstörungen, Depressionen oder anderen psychiatrischen Problemen widmen Neurologen zunehmende ihre Aufmerksamkeit, berichten Experten bei der Jahrestagung der Europäischen Neurologengesellschaft (ENS) in Mailand. Die neuen Erkenntnisse über diese Probleme eröffnen auch neue therapeutische Möglichkeiten.

 

„Nicht-motorische Manifestationen der Parkinson Erkrankung stellen eine besondere neue Herausforderung dar, ihre Bedeutung in der Diagnose und Therapie der Erkrankung werden zunehmend anerkannt“, sagt Professor Claudio Bassetti (Zürich), Wissenschaftlicher Programmdirektor der Jahrestagung der Europäischen Neurologengesellschaft (ENS), die derzeit in Mailand stattfindet. Auf diesem wissenschaftlichen Großereignis diskutieren mehr als 2.900 Experten aus aller Welt wichtige Trends und neue Entwicklungen aus allen Bereichen der Neurologie.

 

MEHR AUFMERKSAMKEIT FüR NICHT-MOTORISCHE PARKINSON-BESCHWERDEN

 

Eine wichtige Gruppe von Beschwerden, an denen Parkinson-Patienten leiden, hat mit dem Dopaminmangel im Gehirn, der für die Erkrankung verantwortlich gemacht wird, nichts zu tun: „Parkinson-Patienten leiden nicht nur an den bekannten motorischen Störungen, sondern auch an einer ganzen Reihe von nicht-motorischen Problemen wie Schlafstörungen, Depression, Psychosen, Halluzinationen oder Demenz. Diese Störungen brauchen eine sehr genaue Diagnostik und eine spezifische Therapie – und zwar üblicherweise nicht mit den gängigen Dopamin-stimulierenden Parkinson-Medikamenten.“ Beim ENS-Kongress werden eine ganze Reihe von Studien zu diesem Problemkreis präsentiert.

 

Das Thema ist schon deshalb von besonderer Bedeutung, weil häufig gerade die nicht-motorischen Störungen erste Anzeichen der Parkinson-Erkrankung sind, wie Experten auf dem Kongress in Mailand betonen. Klinische und pathologische Studien und bildgebende Verfahren fördern immer mehr Belege dafür zutage, dass Geruchs- oder Geschmacksstörungen, Stimmungsschwankungen oder Schlafstörungen bei Parkinson-Patienten oft schon Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, vor den ersten Bewegungsstörungen auftreten. „Epidemiologische und klinische Studien liefern uns klare Hinweise, dass die nicht-motorischen Symptome bereits ein oder zwei Jahrzehnte vor den ersten motorischen Parkinson-Störungen auftreten“, betont Professor Bassetti. „Und der neurodegenerative Prozess beginnt bereits Jahre, bevor sich die ersten nicht-motorischen Symptome manifestieren.“

 

PATIENTEN MIT PARKINSON UND RESTLESS LEGS SYNDROM NEHMEN OFT MEHR DOPAMIN ALS NöTIG

 

Mehrere wissenschaftliche Sitzungen beschäftigen sich auf dem Kongress in Mailand mit Parkinson und dem Restless Leg Syndrom (RLS). Mehr als 1,2 Millionen Menschen in Europa leiden an einer Parkinson Erkrankung, der zweithäufigsten neuro-degenerativen Erkrankung. Auch wenn in der Mehrheit der Fälle ältere Menschen betroffen sind, gibt es auch Patienten, bei denen sie bereits mit 40 oder noch früher auftritt.  

 

„Wir beobachten zunehmend, dass manche Patienten mit Parkinson oder RLS mehr Dopamin einnehmen als eigentlich nötig wäre“, sagt Professor Bassetti. „Mit ein Grund für diesen exzessiven Gebrauch könnte sein, dass Dopamin im Belohnungssystem des Gehirns ebenso eine Rolle spielt wie in der Neurobiologie der Sucht.“

 

Parkinson als Risikofaktor für Spielsucht und andere nicht stoffgebundene Süchte

 

Es zeigt sich, dass Parkinson-Patienten häufiger als Gesunde Probleme mit kompulsiven Störungen haben. „Eine gestörte Impulskontrolle, wie bei der Spielsucht, der Hyper-Sexualität, der Kaufsucht, Essstörungen oder eben dem Missbrauch von Dopamin-stimulierenden Medikamenten, kann Betroffene in den wirtschaftlichen Ruin treiben und das soziale Stigma von Parkinson-Patienten weiter verstärken“, erklärt Professor Bassetti.

 

In einer tschechischen Studie, die auf dem ENS Kongress in Mailand präsentiert wird, wurden 20 Parkinson-Patienten, bei denen die Erkrankung bereits vor ihrem 45. Lebensjahr aufgetreten war, mit 20 gesunden Personen verglichen. Ein spezieller Test zur Abklärung von Spielsucht, die Iowa Gambling Task (IGT), wurde mit allen Studienteilnehmer durchgeführt. Parkinson-Patienten schnitten dabei schlechter ab als die Angehörigen der Kontrollgruppe. „Es ist unbedingt nötig, ein mögliches pathologisches Spielverhalten bei jüngeren Parkinson-Patienten auch in der Therapie entsprechend zu berücksichtigen“, so das Forscherteam.

 

90 PROZENT DER PARKINSON-PATIENTEN LEIDEN AN SCHLAFSTöRUNGEN – LEBENSQUALITäT MASSIV BEEINTRäCHTIGT

 

Schlafstörungen sind unter Parkinson-Patienten besonders häufig. „In einer Studie, die wir in Zürich mit 178 Parkinson-Patienten durchgeführt haben, konnten wir bei 65 Prozent der Betroffenen Störungen im Schlaf-Wach-Rhythmus beobachten, etwa 50 Prozent der Patienten litt an Schlaflosigkeit, 11 Prozent hatten Einschlafstörungen, 14 Prozent Alpträume, ebenso 14 Prozent klagten über RLS und 36 Prozent kämpften mit massiver Tagesmüdigkeit.

 

PARKINSON-PATIENTEN SIND HäUFIGER SCHLAFWANDLER

 

Eine andere Studie aus Zürich, die Professor Bassetti und sein Team in Mailand präsentieren, zeigt dass Schlafwandeln bei Parkinson-Patienten viel häufiger vorkommt als in der Allgemeinbevölkerung. „Die Ergebnisse unserer Studien liefern Hinweise, dass Schlafwandeln eine relativ späte Manifestation der Parkinson Erkrankung ist“, fasst Professor Bassetti Ergebnisse der Untersuchung zusammen. „Es zeigt sich darüber hinaus, dass Parkinson-Patienten, die auch Schlafwandler sind, häufiger unter Halluzinationen und Alpträumen leiden als Parkinson-Patienten ohne dieses nächtliche Problem.“

 

EIN VIERTEL DER PARKINSON-PATEINTEN MIT SELBSTMORD-GEDANKEN

 

Eine Studie aus Belgrad, die beim Neurologenkongress in Mailand präsentiert wird, zeigt ein anderes, häufig vernachlässigtes Problem von Parkinson Patienten auf: Die Forscher beobachteten eine Gruppe von 102 Parkinson-Patienten über acht Jahre. Die Suizid-Rate in dieser Gruppe lag bei acht Prozent, das ist deutlich höher als in der Allgemeinbevölkerung. Eine Gruppe von 128 Parkinson-Patienten wurde psychologisch getestet: Fast ein Viertel (23 Prozent) äußerten Todessehnsucht oder Selbstmordgedanken – eine emotionale Belastung, die zusätzlich zu einer Verschlechterung der Lebensqualität beiträgt.

 

 

Abstracts

 

ENS abstract 17: Tolosa, Where and when does Parkinson's disease start?

ENS abstract O39: Oberholzeret al, Sleepwalking in patients with Parkinson’s disease.

ENS abstract O38: Gescheidt et al, Iowa Gambling Task in young patients with Parkinson’s disease without the history of pathological gambling._

ENS abstract P 408: Spica et al, Suicide and suicidal ideation in Parkinson’s disease.

 


 

Quelle: Pressemitteilung der European Neurological Society (ENS) vom 22.06.2009.

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