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Chemoprävention des kolorektalen Karzinoms

Akademische Diskussion oder Notwendigkeit zum Handeln?

 

Von PD Dr. med. Michael Bläker

 

Berlin (3. Oktober 2008) – Bereits 1863 hatte Rudolf Virchow die Vermutung geäußert, dass in entzündetem Gewebe der Ursprung von Krebs zu suchen sei. Moderne zellbiologische Erkenntnisse über die Karzinogenese bestätigen diesen Verdacht. Durch Zellproliferation und Ausschüttung von Zytokinen (u.a. TNF und Interleukine) unterstützt die entzündete Mukosa des Darmes alle drei Phasen der Karzinogenese (Tumorinitiation, -promotion und -progression).

Patienten mit chronisch entzündlicher Darmerkrankung haben gegenüber der Normalbevölkerung ein deutlich erhöhtes Risiko, an einem kolorektalen Karzinom zu erkranken. Nach verschiedenen Studien erhöht ein Morbus Crohn das Risiko um den Faktor 2,3, eine Colitis ulcerosa um den Faktor 3,4. Bei der CU wächst das Karzinomrisiko mit der Dauer der Erkrankung und auch mit ihrer Ausdehnung. Eine zusätzlich bestehende Primär sklerosierende Cholangitis (PSC) erhöht das Karzinomrisiko um den Faktor 5. Die chronische Entzündung des Darmes führt zu intraepithelialen, dysplastischen Veränderungen der Schleimhaut, die in Low-Grade- und High-Grade-Dysplasie eingeteilt werden und als Vorstufe des Kolonkarzinoms zu betrachten sind. Dies konnte in einer Analyse eines 30-jährigen kolonoskopischen Überwachungsprogramms an 600 Patienten mit Colitis ulcerosa klar gezeigt werden. Von den 46 Low-Grade-Dysplasien entwickelten 20 % ein Karzinom, von den 19 High-Grade-Dysplasien sogar 46 %. Bei 30 Patienten wurde gleich zu Beginn ein Karzinom gefunden.

 

Die Dysplasiediagnostik bei CED ist nicht einfach. Die Leitlinien empfehlen, 40-50 Biopsien aus allen Kolonabschnitten zu entnehmen. Die Realität jedoch scheint anders auszusehen, wenn in Studien über eine durchschnittliche Zahl von acht Proben pro Untersuchung berichtet wird. Problematisch ist, dass bei der konventionellen Koloskopie häufig Zufallsbiopsien entnommen werden, weil mit dem bloßen Auge die Dysplasien nicht auf Anhieb zu erkennen sind. Hier hilft die Chromoendoskopie, mit der die Trefferquote massiv erhöht werden kann. Wünschenswert für die Zukunft wäre es, Biopsien nur noch gezielt und nicht mehr nach dem Zufallsprinzip durchführen zu können.

 

Zwar leistet die endoskopische Überwachung und Dysplasiediagnostik einen wichtigen Beitrag zur Karzinomprävention, jedoch kann sie die Dysplasie und Karzinogenese nicht verhindern. Wohl aber bietet sich ein präventiver Ansatz mit der Gabe von 5-Aminosalizylsäure (Mesalazin). Mesalazin wirkt antiinflammatorisch und antiproliferativ und durch Bindung freier Radikale und Inhibition mitogener Signale auch direkt chemopräventiv. In einer Fallkontrollstudie an Patienten mit Colitis ulcerosa konnte gezeigt werden, dass die Einnahme von mindestens 1200 mg Mesalazin täglich das Risiko für Dysplasie/kolorektales Karzinom um 72 % reduzierte. In einer Metaanalyse aus 9 Studien (1932 Patienten) führte die Chemoprävention mit 5-ASA zu einer Risikoreduktion um ca. 50 %. Bereits seit 2004 wird die Einnahme von Salizylaten zur Karzinomprävention in den Leitlinien empfohlen.

 

Für die kombinierte Behandlung der Colitis ulcerosa mit 6MP/Azathioprin konnte bisher kein chemopräventiver Effekt nachgewiesen werden.

 

Besteht zusätzlich zur CU noch eine PSC, so profitieren die Patienten von einer kontinuierlichen Einnahme von Ursodesoxycholsäure. Das Neoplasierisiko kann damit um 75 % gesenkt werden.

 

Noch gibt es viele offene Fragen bei der Chemoprävention der CED. Sollte Mesalazin lebenslang gegeben werden und wenn ja, in welcher Dosis? Sollte es bei stabiler Remission unter Immunsuppression zusätzlich verordnet werden? Auch die Möglichkeit einer topischen Anwendung sowie eine eventuelle Dauertherapie bei Morbus Crohn sollte untersucht werden. Definitiv empfohlen wird eine jährliche Koloskopie bei Patienten mit Pankolitis ab 8 Jahren Erkrankungsdauer und bei Linksseiten-Kolitis b 15 Jahren Erkrankungsdauer sowie die Therapie mit mind. 1200mg/d Mesalazin und bei gleichzeitiger PSC mit Ursodesoxycholsäure 15mg/kg KG täglich.

 

Dias zum Vortrag von PD Dr. Bläker: Dias_Blaeker.pdf Dias_Blaeker.pdf (620.12 KB)

 

Referent

PD Dr. med. Michael Bläker

I. Medizinische Klinik, Klinik für Endoskopie

Zentrum für Innere Medizin

Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

 


 

Quelle: Satellitensymposium der Firma Shire anläßlich der 63. Tagung der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselerkrankungen (DGVS) zum Thema „Diagnostische und therapeutische Herausforderungen bei Chronisch Entzündlichen Darmerkrankungen – neue Probleme, neue Lösungen“ am 03.10.2008 in Berlin (Media Concept).

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