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Epidemiologie und Pathophysiologie der Kollagenosen

 

Von PD Dr. med. Michael Sticherling

 

Berlin (25. September 2008) – Die Kollagenosen umfassen eine klinisch und pathogenetisch heterogene Gruppe von Erkrankungen, die verglichen mit anderen rheumatologischen Krankheitsbildern insgesamt selten sind, aber eine deutlich schlechtere Prognose haben. Die Bezeichnung Kollagenosen oder entzündlichen Bindegewebserkrankungen ist eher ein Misnomen, da nur bei der systemischen Sklerose (SSc) das kollagene Bindegewebe zentral im pathogenetischen und klinischen Geschehen beteiligt ist. Vielfach sind jüngere Frauen erkrankt, woraus sich große Probleme im täglichen Leben, insbesondere aber auch der Therapie ergeben. Kinder sind eher selten betroffen. Die verfügbaren epidemiologischen Daten sind je nach Studie und zugrunde liegenden Krankheitsdefinitionen, aber auch nach geographischen Bedingungen heterogen bis widersprüchlich. Dies trifft in besonderem Maße für die SSc zu, deren Inzidenz zwischen 4 und 20, in den USA nach jüngsten Daten sogar bis 260 Fällen pro 1 Million Einwohnern und Jahr angegeben wird. Die Definition der verschiedenen Kollagenosen und ihrer Untergruppen, aber auch Kriterien der Krankheitsaktivität sind bis heute umstritten und schränken daher epidemiologische Unter­suchungen und deren Vergleichbarkeit, darüber hinaus aber auch klinische Therapiestudien erheblich ein.

 

Verglichen mit dem systemischen Lupus erythematodes (SLE) tritt die systemische Sklerose später mit einem Altergipfel zwischen 30 und 50 Jahren auf, zeigt jedoch ebenfalls eine deutliche Gynäkotropie von mindestens 1 : 5 (Männer : Frauen). Wie alle Kollagenosen hat auch die systemische Sklerose eine deutlich schlechtere Prognose quoad vitam als andere rheumatische Erkrankungen, die sich aus der vielfältigen Organbeteiligung ergibt. Von besonderer Bedeutung sind die Beteiligung und damit Funktionsverschlechterungen der Niere, der Lunge, des Gastrointestinaltraktes sowie des ZNS. Während die früher prognosebestimmende Nierenbeteiligung ganz im Vordergrund stand, sind heute Komplikationen von Organen, für die keine Ersatzverfahren zur Verfügung stehen bzw. die Erfolge der Organtransplantation noch eingeschränkt sind, im Vordergrund. Hierzu gehört auch die mit einer besonders schlechten Prognose behaftete pulmonale arterielle Hypertonie, speziell bei den Formen der systemischen Sklerose. Die Sklerodermie hat innerhalb der Gesamtgruppe der Kollagenosen die höchste Mortalitätsrate, was vor allem auf die erhöhte Prävalenz von Komplikationen bei diesen Patienten zurückzuführen ist. Die Haut ist häufig auf vielfältige und meist charakteristische Weise mit betroffen, ohne die Überlebensprognose wesentlich zu beeinflussen. Dagegen wird auf Grund der Sklerosierung der Haut und das Auftreten von digitalen Ulzerationen, die bei bis zu 50 % der Patienten entstehen, die Lebensqualität beeinflusst.

 

Die gelegentliche familiäre Häufung, aber auch Ergebnisse molekulargenetischer Untersuchungen legen einen angeborenen Hintergrund bei allen Kollagenosen nahe, der jedoch offensichtlich nur zusammen mit verschiedenen Umweltfaktoren zur Krankheits­manifestation führt. Neben Virusinfekten und ultraviolettem Licht, die besonders für den SLE diskutiert werden, spielen bei der systemischen Sklerose Stäube, allen voran Silika und verschiedene organische Lösungsmittel und chlorierte Kohlenwasserstoffe eine wichtige Rolle. Diese führen zu einer Aktivierung des Immunsystems, das über bisher nicht detailliert verstandene Mechanismen Autoantigene erkennt und attackiert. Ob es sich dabei um einen induzierten, aber isolierten Zusammenbruch der Selbsttoleranz, eine Erkennung von körper­eigenen Antigenen über eine Umwelt-induzierte Alteration der Antigenität oder Immunkomplexmechanismen handelt, wird weiter kontrovers diskutiert. Auch ist die differentielle Beteiligung von B- und T-Zellen neben Zellen des Makrophagen-Systems sowie verschiedenen Proteinmediatoren, allen voran Komplementfaktoren nicht geklärt.

 

Insbesondere bei der systemischen Sklerose werden auto­immunologische Mechanismen als nachgeordnetes oder Para­phänomen angesehen, auch wenn erhöhte und hoch-spezifische ANA (Antikörper gegen nukleäre Antigene) diagnostisch bedeutsam sind. Bei der systemischen Sklerose sind Alterationen des Bindegewebes, vaskuläre Mechanismen und immunologische Reaktionen zentral beteiligt, auch wenn bis heute deren pathogenetische Reihenfolge wie auch differentielle Bedeutung nicht gesichert sind.

 

In jüngsten Untersuchungen konnte eine veränderte Angiogenese bei der systemischen Sklerose nachgewiesen werden, die zusammen mit immunologischen Störungen zu einer Aktivierung dermaler Fibroblasten und in der Folge zu einer Anhäufung von extrazellulären Matrixproteinen führt. Dabei hat Endothelin-1 (ET-1) eine Schlüsselfunktion: Sowohl im Tiermodell als auch bei Patienten u.a. mit pulmonaler arterieller Hypertonie, Kollagenosen, fibrosierenden Erkrankungen bzw. Lungenfibrose konnten erhöhte Endothelin- Konzentrationen nachgewiesen werden. Die Erhöhung des ET-1-Plasmaspiegels ist ein wichtiger pathogenetischer Schritt bei der Entwicklung einer PAH, einer Raynaud-Symptomatik oder digitaler Ulzerationen bei Patienten mit systemischer Sklerose (Sulli A et al 2005).  Über seine beiden wichtigsten Rezeptoren ETA und ETB führt Endothelin-1 zu einer Vasokonstriktion und Inflammation, sowie einer Fibrose der Gefäße und des umgebenden Gewebes. Die gleichzeitige Blockade beider Rezeptorsubtypen führt zu einer signifikanten Inhibition der ET-1-Effekte mit Reduktion der Vasokonstriktion sowie antiinflammatorischer, antihypertrophischer und antifibrotischer Wirkungen, wie in mehreren PAH-Modellen gezeigt werden konnte.

 

Trotz aller jüngsten Erkenntnisse muss unser Wissen um die beteiligten pathogenetischen Schritte, deren Reihenfolge und Bedeutung vertieft werden. Darüber hinaus sind sie bei den verschiedenen Krankheitsgruppen zu evaluieren und parallel dazu die klinischen Bilder und deren Aktivität mit klaren Kriterien zu definieren. Für eine effiziente und ursachenorientierte Therapie sind solche Erkenntnisse essentiell, um die so schweren wie prognostisch ungünstigen Kollagenosen gezielt und frühzeitig angehen zu können.

 

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 Abb. 1

 

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 Abb. 2

 

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 Abb. 3

 

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 Abb. 4

 

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 Abb. 5

 

 

 

Referent

 

PD Dr. med. Michael Sticherling

Hautklinik Universitaetsklinikum Erlangen

 

 


Quelle: Symposium der Firma Actelion zum Thema „Sklerodermie im Fokus – neue Perspektiven bei Komplikationen der Sklerodermie“ am 25.09.2008 in Berlin (CGC Cramer-Gesundheits-Consulting) (tB).

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