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Placebo in der Medizin – Mehr als nur Einbildung
Wissenschaftler raten, den Placeboeffekt stärker für die Therapie zu nutzen
Berlin (2. März 2011) – Der sogenannte Placeboeffekt ist fast jedem ein Begriff. Viele verwenden ihn als Synonym für Wirkungslosigkeit oder einen nur „eingebildeten“ Nutzen. Nach einer Expertise von Wissenschaftlern wird man damit der Bedeutung von Placebo in der Medizin jedoch nicht gerecht. „Placebo wirken stärker und sehr viel komplexer als bisher angenommen.
Ihr Einsatz ist von enormer Bedeutung für die ärztliche Praxis“, sagte Prof. Dr. Christoph Fuchs, Hauptgeschäftsführer der Bundesärztekammer (BÄK), bei der Vorstellung der jetzt in Buchform vorliegenden Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats der BÄK „Placebo in der Medizin“. In der von einer Arbeitsgruppe des Wissenschaftlichen Beirats – unter Leitung von Prof. Dr. Robert Jütte – erstellten Publikation raten Experten, Ärztinnen und Ärzten bereits in der Ausbildung sowie in der Fort- und Weiterbildung tiefergehende Kenntnisse der Placeboforschung zu vermitteln. „Mit dem Einsatz von Placebo lassen sich erwünschte Arzneimittelwirkungen maximieren, unerwünschte Wirkungen von Medikamenten verringern und Kosten im Gesundheitswesen sparen“, sagte Jütte.
Der Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer, Prof. Dr. Peter Scriba, betont im Vorwort der Publikation, dass die Untersuchung beide Bereiche des Einsatzes von Placebo, Klinische Studien und therapeutische Praxis, gleichermaßen berücksichtige. Dabei werde nicht zuletzt auf die ethische Problematik, aber auch auf die weniger bekannten rechtlichen Rahmenbedingungen detailliert eingegangen. „Das gilt insbesondere in Hinblick auf eine Sondergruppe, die Nicht-Einwilligungsfähigen, zu denen in der Literatur über Placebo bislang wenig zu finden war“, betonte Scriba.
Die Wissenschaftler weisen in ihrer Stellungnahme darauf hin, dass die Mechanismen des Placeboeffekts trotz intensiver Forschungsbemühungen nur teilweise geklärt sind. Eine der wichtigsten Erkenntnisse der Forschung sei, „dass der Placeboeffekt hirnphysiologisch und –anatomisch lokalisierbar ist“. So lege eine Vielzahl von Studien nahe, dass vor allem die Aktivierung der Stirnlappen die Wirkungsweise des Placeboeffekts erklären kann. Jütte, der auch Leiter des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung ist, betonte, dass Placebos nicht nur in der klinischen Forschung als Kontrollgruppe eine zentrale Rolle spielten. Zahlreiche Studien belegten, dass sie in unterschiedlichster Form auch in der therapeutischen Praxis eingesetzt würden. So komme eine aktuelle Studie aus der Schweiz zu dem Ergebnis, dass die große Mehrheit der Schweizer Hausärzte Placebo einsetze. Dabei griffen 57 Prozent auf sogenannte Pseudo-Placebos zurück, also zum Beispiel Arzneistoffe mit extrem niedriger Wirkstoffdosis. Eine Minderheit von 17 Prozent verabreiche reine Placebos, sogenannte Zuckerpillen. „Es besteht allerdings in der therapeutischen Praxis nicht nur Unsicherheit, sondern auch Unkenntnis darüber, inwieweit eine Placebogabe in ethischer und rechtlicher Hinsicht erlaubt, vielleicht sogar geboten ist“, sagte Jütte.
Die Experten des Wissenschaftlichen Beirats halten die bewusste Anwendung von Placebo in der therapeutischen Praxis für vertretbar. Voraussetzung sei aber, dass in dem jeweiligen Einzelfall keine geprüfte wirksame (Pharmako-)therapie vorhanden ist, es sich um relativ geringe Beschwerden handelt und Aussicht auf Erfolg einer Placebobehandlung bei dieser Erkrankung besteht.
Die Publikation „Placebo in der Medizin“ (ISBN 978-3-7691-3491-9), herausgegeben von der Bundesärztekammer auf Empfehlung ihres Wissenschaftlichen Beirats kann beim Deutschen Ärzte-Verlag erworben werden.
Download
Placebo in der Medizin: http://www.bundesaerztekammer.de/downloads/Placebo_LF_1_17012011.pdf
Quelle: Bundesärztekammer, 02.03.2011 (tB).