Poren öffnen dem Tod die Tür

 

Wissenschaftler klären den Hauptzugangsweg, über den Virus-befallene Körperzellen und Tumorzellen von körpereigenen Abwehrstoffen angegriffen werden.

 

Martinsried (2. September 2008) – Unser Körper wird nahezu kontinuierlich von Krankheitserregern und spontan entstehenden Krebszellen bedroht. Doch der Körper wehrt sich: Spezialisierte Zellen des Immunsystems schleusen kleine Moleküle (Granzyme) in Virus-befallene Körperzellen sowie Krebszellen ein, und lösen so das eingebaute Selbstmordprogramm der Zellen aus. Um in eine attackierte Zelle zu gelangen, gibt es zwei mögliche Wege. Trotz mehr als zwanzigjähriger intensiver Forschung blieb jedoch unklar, auf welchem der beiden Wege die tödliche Menge an Granzymen in eine Zelle eindringt. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie zeigen nun,dass winzige Poren in der Zelloberfläche den Granzymen für kurze Zeit die Tür öffnen. Die Ergebnisse eröffnen auch neue Perspektiven für eine verbesserte Therapie von chronischen Virusinfektionen und Krebserkrankungen. (PNAS, 2. September 2008)

 

 

Während des alltäglichen Lebens wird uns nur selten bewusst, welche Kämpfe im eigenen Körper stattfinden. Nahezu kontinuierlich muss sich der Körper gegen unzählige Krankheitserreger wehren. Mit jedem Liter Blut, der durch unseren Körper gepumpt wird, werden daher bis zu fünf Milliarden weiße Blutkörperchen auf Patrouille geschickt. Ein Teil dieser Zellen reagiert auf Krankheitserreger mit der Produktion von Antikörpern, die exakt auf den erkannten Erreger zugeschnitten sind und diesen präzise angreifen. Gleichzeitig lassen sie Gedächtniszellen entstehen, die diesen Erreger bei einem erneuten Angriff wiedererkennen.

Neben diesen Taktikern unter den weißen Blutkörperchen gibt es eine zweite Gruppe von Zellen, die ohne große Umschweife gleich zum Angriff übergeht: T- und Killer-Zellen haben sich auf Virus-infizierte Körperzellen und Tumorzellen spezialisiert – hier ist ein sofortiges Handeln besonders wichtig. Doch ganz ohne Taktik geht es auch bei diesen Angriffszellen nicht. Denn zunächst müssen die Waffen dieser Zellen, die sogenannten Granzyme, in die kranke Zelle eingeschleust werden. Erst dort entfalten sie ihre Wirkung: Sie manipulieren die schädliche Zelle so, dass sie ihr eingebautes Selbstmordprogramm aktiviert. Doch wie kommen die Granzyme in die Zelle?

 

Diese Frage diskutieren Wissenschaftler seit mehr als zwanzig Jahren. Zwei Wege, über die Granzyme in eine Zelle gelangen können, wurden dabei diskutiert: über Poren oder über einen Membrantransport. Das Molekül Perforin hinterlässt kleine Löcher in der Zellmembran. Da es von T- und Killer-Zellen zeitgleich mit den Granzymen abgegeben wird, könnten sich hiermit Türen für Granzyme öffnen. Granzyme binden aber auch an die Oberfläche der attackierten Zellen und werden dann über kleine Membraneinschnürungen in das Zellinnere transportiert. Da die Perforin-Löcher in der Zellmembran recht klein sind und von der attackierten Zelle schnell wieder geschlossen werden, favorisierten die meisten Wissenschaftler den Membrantransport als Hauptzugang für Granzyme in eine Zelle.

Die Frage, welcher Weg die tödliche Menge Granzyme in eine Zelle bringt, ist nicht trivial. Mit diesem Wissen könnten neue Therapien zur Virus- und Krebsbekämpfung entwickelt werden. Nach zwanzig Jahren scheinen Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie diese Frage nun geklärt zu haben: Entgegen der gängigen Meinung sind offenbar tatsächlich die Membranlöcher die Haupteintrittspforte für Granzyme. Den Beweis erbrachten die Wissenschaftler mit künstlich veränderten Granzymen, die nicht mehr an Membranen binden und somit nicht via Membrantransport in die Zelle gelangen können. "Interessanterweise war trotz dieser Einschränkung keine verminderte Effektivität der Angriffszellen festzustellen", erklärt Dieter Jenne. "Wir konnten außerdem zeigen, dass die Poren groß genug sind, um genügend Granzyme in die Zelle zu lassen, bevor diese die Löcher wieder abdichten kann."

 

Abb.: Granzyme bei ihrer tödlichen Arbeit: Eine Killerzelle kontaktiert eine Tumorzelle (links) und löst sich nach einer Stunde (Mitte). Nach weiteren zwei Stunden bilden sich Bläschen (rechts, roter Pfeil) auf der Oberfläche der angegriffenen Tumorzelle. Die Tumorzelle schrumpft, stirbt und zerfällt. Abbildung: MPI für Neurobiologie / Jenne

Abb.: Granzyme bei ihrer tödlichen Arbeit: Eine Killerzelle kontaktiert eine Tumorzelle (links) und löst sich nach einer Stunde (Mitte). Nach weiteren zwei Stunden bilden sich Bläschen (rechts, roter Pfeil) auf der Oberfläche der angegriffenen Tumorzelle. Die Tumorzelle schrumpft, stirbt und zerfällt. Abbildung: MPI für Neurobiologie / Jenne

 

"Das spannende an diesen Ergebnissen ist aber nicht nur, dass eine alte Frage nun endlich geklärt ist", sagt Florian Kurschus, "sondern dass unsere Granzym-Varianten zusammen mit dem Wissen, dass die Membranlöcher der wichtigste Zugang zur Zelle sind, verbesserte Therapiemöglichkeiten zur Virus- und Krebsbekämpfung bieten." Denn künstlich zugegebene Granzyme schädigen in hoher Dosis auch gesunde Zellen, in die sie über Membrantransport eindringen. Die neuen Granzym-Varianten reichern sich nicht in gesunden Zellen an, da sie nur den durch T- oder Killer-Zellen mittels Perforin eröffneten Weg nutzen können. Bei infizierten Zellen, die von einer T- oder Killer-Zelle als Feind erkannt wurden, wird ihnen diese Tür geöffnet – weit genug für ihre todbringende Arbeit.


Originalveröffentlichung:
Florian Kurschus, Edward Fellows, Elisabeth Stegmann, Dieter Jenne
Granzyme B delivery via perforin is restricted by size, but not by heparan sulfate-dependent endocytosis
PNAS, 2. September 2008


 

Quelle: Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie vom 02.09.2008.

 

 

MEDICAL NEWS

IU School of Medicine researchers develop blood test for anxiety
COVID-19 pandemic increased rates and severity of depression, whether people…
COVID-19: Bacterial co-infection is a major risk factor for death,…
Regenstrief-led study shows enhanced spiritual care improves well-being of ICU…
Hidden bacteria presents a substantial risk of antimicrobial resistance in…

SCHMERZ PAINCARE

Hydromorphon Aristo® long ist das führende Präferenzpräparat bei Tumorschmerz
Sorgen und Versorgen – Schmerzmedizin konkret: „Sorge als identitätsstiftendes Element…
Problem Schmerzmittelkonsum
Post-Covid und Muskelschmerz
Kopfschmerz bei Übergebrauch von Schmerz- oder Migränemitteln

DIABETES

Wie das Dexom G7 abstrakte Zahlen mit Farben greifbar macht…
Diabetes mellitus: eine der großen Volkskrankheiten im Blickpunkt der Schmerzmedizin
Suliqua®: Einfacher hin zu einer guten glykämischen Kontrolle
Menschen mit Diabetes während der Corona-Pandemie unterversorgt? Studie zeigt auffällige…
Suliqua® zur Therapieoptimierung bei unzureichender BOT

ERNÄHRUNG

Positiver Effekt der grünen Mittelmeerdiät auf die Aorta
Natriumaufnahme und Herz-Kreislaufrisiko
Tierwohl-Fleisch aus Deutschland nur mäßig attraktiv in anderen Ländern
Diät: Gehirn verstärkt Signal an Hungersynapsen
Süßigkeiten verändern unser Gehirn

ONKOLOGIE

Strahlentherapie ist oft ebenso effizient wie die OP: Neues vom…
Zanubrutinib bei chronischer lymphatischer Leukämie: Zusatznutzen für bestimmte Betroffene
Eileiter-Entfernung als Vorbeugung gegen Eierstockkrebs akzeptiert
Antibiotika als Störfaktor bei CAR-T-Zell-Therapie
Bauchspeicheldrüsenkrebs: Spezielle Diät kann Erfolg der Chemotherapie beeinflussen

MULTIPLE SKLEROSE

Multiple Sklerose: Aktuelle Immunmodulatoren im Vergleich
Neuer Biomarker für Verlauf von Multipler Sklerose
Multiple Sklerose: Analysen aus Münster erhärten Verdacht gegen das Epstein-Barr-Virus
Aktuelle Daten zu Novartis Ofatumumab und Siponimod bestätigen Vorteil des…
Multiple Sklerose durch das Epstein-Barr-Virus – kommt die MS-Impfung?

PARKINSON

Meilenstein in der Parkinson-Forschung: Neuer Alpha-Synuclein-Test entdeckt die Nervenerkrankung vor…
Neue Erkenntnisse für die Parkinson-Therapie
Cochrane Review: Bewegung hilft, die Schwere von Bewegungssymptomen bei Parkinson…
Technische Innovationen für eine maßgeschneiderte Parkinson-Diagnostik und Therapie
Biomarker und Gene: neue Chancen und Herausforderungen für die Parkinson-Diagnose…