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Die neuen KDIGO Guidelines zur CKD-MBD („Chronic Kidney Disease – Mineral Bone Disease“)

 

Prof. Dr. Jürgen Floege, Aachen

 

Die KDIGO („Kidney Disease: Improving Global Outcomes“)-Initiative, eine internationale, unabhängige non-Profit-Organisation, wurde im Jahr 2003 mit dem Ziel gegründet, die Therapie und die Lebenserwartung von Patienten mit chronischer Nierenerkrankung durch die Ausarbeitung von wissenschaftlichen Leitlinien zu verbessern.

 

 

CKD-MBD – eine Systemerkrankung

 

Ein wichtiges Leitlinienprojekt war das zur CKD-MBD („Chronic Kidney Disease – Mineral Bone Disease“). Ausschlaggebend für die neue Leitlinie war die Beobachtung, dass die renale Osteodystropie nur eine Facette einer Systemerkrankung darstellt, die nicht allein durch Veränderungen im Knochen (Knochenumsatz, Knochenvolumen und Mineralisationsgrad), sondern auch durch Veränderungen im Bereich der Biomarker (Calcium-, Phosphat-, PTH-Werte, Vitamin D-Spiegel) sowie durch vaskuläre Verkalkungen bzw. Weichteilverkalkungen gekennzeichnet ist. Dieses Verständnis der renalen Osteodystropie als Systemerkrankung reflektiert die neue Bezeichnung der Erkrankung Begriffs „CKD-MBD“.

 

 

Versuch, reine evidenzbasierte Leitlinien zu erstellen

 

Die KDIGO-Leitlinien zur CKD-MBD wurden im August 2009 in der Zeitschrift „Kidney International“ publiziert. Zielsetzung der Leitlinienkommission war, eine „objektive“ Therapierichtlinie zu schaffen. Dieser per se gute Ansatz erwies sich jedoch in der Praxis als sehr ehrgeizig, da es kaum evidenzbasierte Daten gibt. Dennoch bemühte man sich, eine Leitlinie mit höchster Qualitätsevidenz zu erstellen. Der gesamte Begutachtungs- und Leitlinienprozess sollte dem Anspruch evidenzbasierter Medizin genügen und wurde auch von einem sog. „Evidence Review Team“ (ERT = Epidemiologen der Tufts University Boston) flankiert, das alle vorliegenden Studiendaten hinsichtlich ihrer Qualität und ihres Evidenzgrades bewertete. Allerdings führte der Mangel an randomisierten-prospektiven Studien dazu, dass viele Empfehlungen nur relativ vage formuliert werden konnten, was in der Fachwelt zu Diskussionen – auch Irritationen – geführt hat.

 

 

Neue Leitlinien („KDIGO“) vs. alte Leitlinien („KDOQI“) – die markantesten Unterschiede

 

Die wohl wesentlichste Veränderung im Vergleich zu vorhergehenden Leitlinien ist die Beachtung von „Trends und Extremen“ anstelle von eng definierten Zielwerten. Nicht nur ein einzelner Messwert, sondern die Entwicklung eines Trends über mehrere Messungen hinweg ist ausschlaggebend für eine Therapieentscheidung.

 

Markante Unterschiede zwischen den Leitlinien lassen sich daher auch in der Definition der Zielwerte der Mineralstoffparameter finden. KDIGO bleibt aufgrund der Tatsache, dass „harte Endpunktdaten“ fehlen, um einiges offener als KDOQI, was sich gut am Beispiel des Parathormons (PTH) illustrieren lässt.

 

Während KDOQI für das PTH einen engen Zielkorridor von 150-300 pg/ml für das CKD-Stadium 5 angibt, sind die Angaben zur PTH-Korrektur in den KDIGO-Leitlinien sehr viel offener. Für Dialysepatienten wird ein Bereich zwischen des zwei- und neunfachen des oberen Normalbereichs des jeweiligen Assays empfohlen, wobei die Beobachtung von Trends aussagekräftiger sei als ein Einzelwert. So soll der Nephrologe intervenieren, wenn sich ein Trend (kontinuierlich steigende (oder fallende) PTH-Werte) abzeichnet. Dann sollte ggf. schon eine Therapie begonnen werden, selbst wenn die Werte noch im Rahmen des – jetzt ja relativ breit gefassten – Zielkorridors liegen.

 

Einen zweiten Schwerpunkt legen die Leitlinien auf die Vermeidung von Extremen. So sind nicht nur hohe Parathormonwerte (man spricht vom Krankheitsbild des sekundären Hyperparathyreoidismus, kurz sHPT) bedenklich, sondern im besonderen Maße auch zu niedrige Werte, da bei extrem niedrigen PTH-Werten (< 100 pg/ml) die Mortalität sehr viel stärker ansteigt als bei erhöhten Werten.

 

 

Phosphat im Fokus der neuen Leitlinien

 

Besonders die Phosphatkontrolle ist aufgrund der Pathophysiologie der CKD-MBD in den Fokus gerückt worden, denn erhöhte Phosphatwerte wirken als Katalysator der urämischen Mineralstoffstörungen, die häufig in Gefäßverkalkungen und Knochenerkrankungen münden. Die neuen Leitlinien empfehlen daher für Prädialysepatienten eine Senkung des Serum-Phosphatbereichs in den für Nierengesunde geltenden Normalbereich (0,84-1,45 mmol/l) und für Dialysepatienten eine Senkung in „Richtung der Normalwerte“. Obwohl kein konkreter Zielkorridor benannt wird, ist diese Empfehlung somit um einiges ambitionierter als der zuvor angegebene Zielkorridor von 1,13-1,78 mmol/l, allerdings betonen die Leitlinien, dass auch hinsichtlich des Phosphats in erster Linie die Vermeidung von Extremwerten und die Reaktion auf Trends zählen.

 

 

KDIGO räumt breitere Zielkorridore als KDOQI ein – ist KDOQI daher falsch?

 

In großen retrospektiven Datenbänken ist bei den meisten Parametern im KDOQI-Ziel-Bereich hinsichtlich harter Endpunkte eine günstige Assoziation zu finden. Die Wertebereiche sind also für viele Patienten korrekt – oder zumindest nicht falsch. Wenn man allerdings sehr strikt die KDOQI-Grenzwert-Bereiche anstrebt, besteht die Gefahr, erhöhte Laborwerte ohne Krankheitswert zu behandeln und dadurch schlimmstenfalls sogar eine für den Patienten ungünstige Konstellation zu verstärken. Wenn z.B. ein Patient mit einem PTH-Wert von 300 pg/ml gleichzeitig einen biologisch adynamen Knochen aufweist und mit PTH-senkenden Maßnahmen behandelt wird, würde die Therapie den verminderten Knochenumsatz aggravieren. Wichtig ist daher, die Gesamtsituation des individuellen CKD-MBD-Patienten in die Therapieentscheidung mit einzubeziehen, anstatt nur auf ein oder zwei konkrete Laborwerte zu schauen. KDIGO gibt somit den Nephrologen mehr Freiheit, aber auch eine größere Verantwortung.

 

Generell markieren die KDIGO-Leitlinien einen wichtigen Meilenstein, aber auch einen Paradigmenwechsel in der Therapie chronisch nierenkranker Patienten. Zum einen zeigen sie einen drastischen Mangel an prospektiven Daten auf, dem die Nephrologie in den nächsten Jahren begegnen muss, um evidenzbasierte Medizin leisten zu können.

 

Zum anderen zeigen Sie auf, dass die nephrologische Therapie mehr beinhaltet, als nur Laborparameter in vorgegebene Zielwertbereiche zu korrigieren. Die Leitlinien markieren einen Paradigmenwechsel dahingehend, dass eine individuelle Betrachtung der Patienten notwendig ist und Therapieentscheidungen nicht nur allein aufgrund eines Laborparameters getroffen werden sollten. Sie akzentuieren, dass mehr als zuvor ein medizinisches Abwägen jedes individuellen Falles gefragt ist.

 

 


Quelle: Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie in Göttingen am 28.09.2009 (albersconcept) (tB).

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