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Störungen und altersbedingte Veränderungen des Schluckens
Gefahren und Management in der Pflege
Prof. Dr. Martina Hielscher-Fastabend
Hannover (2. November 2010) – Der normale Schluckprozess umfasst überaus komplizierte und zeitlich genau abgestimmte Bewegungen und Reflexe, die sich im Alter in spezifischer Weise verändern und die Nahrungsaufnahme zum Teil problematisch werden lassen (Presbyphagie). Zusätzlich treten in Folge verschiedener Erkrankungen, wie nach einem Schlaganfall oder im Verlauf einer Demenz häufig Dysphagien auf, die nicht immer entsprechend erkannt werden.
Verschiedene internationale Studien haben erhebliche Defizite im Umgang mit alten Menschen in Pflegeeinrichtungen aufgezeigt, vor allem in der Situation der Essensgabe. Sie verdeutlichen einen Mangel an Wissen beim Pflegepersonal über die Anatomie und Physiologie des Schluckens sowie über psychologische und kulturelle Aspekte des Essens (z.B. Kolodny & Malek, 1991). So zeigten sich bei der untersuchten Stichprobe, die aus examinierten und nicht‑examinierten Pflegekräften bestand, deutliche Defizite beim Wissen und Durchführen von Essenreichtechniken (Kolodny & Malek, 1991).
Diese Situation stellt sich bis heute in Deutschland nicht wesentlich verbessert dar (vgl. Füsgen, 2003; Hoffmann & Hielscher, 2008). Hieraus lässt sich ein erhöhter Fort‑ und Weiterbildungsbedarf beim Pflegepersonal in Altenpflegeeinrichtungen ableiten, der allerdings genauso für ambulante Pflegekräfte und besonders für pflegende Angehörige gilt. In der Ausbildung des Personals sollten die Ausbildungseinrichtungen dementsprechend Inhalte zum Thema in ihre Curricula verstärkt aufnehmen, die sich mit Fragen beschäftigen wie: „Wie erkenne ich altersbedingte Probleme beim Essen und Schlucken?", „Handelt es sich um eine Dysphagie?", „Wie gehe ich mit einer Schluckstörung um?". Auch in den Altenheimen selbst sollten immer wieder Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen zu dem Thema angeboten werden, um in der alltäglichen Essenssituation wie auch bei akuten Aspirationsereignissen kompetent reagieren zu können. Eine frühzeitige Diagnose und eine effektive Behandlung einer Dysphagie kann die Inzidenz von Aspirationspneumonien verringern. Die Prävention von Aspirationspneumonien u.a. mittels Pflegestandards, aber auch medikamentöser Therapie sollte demzufolge auch im Pflegealltag eine immer wichtigere Rolle spielen (vgl. Kikawada et al., 2005).
Alte Menschen, die zudem an einer Demenz erkrankt sind, benötigen auch in der Essenssituation zusätzliche Aufmerksamkeit. Leider können sich Menschen mit einer Alzheimer-Demenz auch wenig adäquat über ihre Probleme in der Essenssituation mitteilen. Neben Sprech- und Sprachstörungen sind Schluckstörungen dringend schon in der ärztlichen Diagnostik mit zu erfassen (vgl. Füsgen, 2003). Es kommt bei vielen Menschen mit einer Demenz auch in der Situation der Nahrungsaufnahme zu Entfremdungen und zu Sensibilitätsstörungen, ohne dass diese Probleme vom Pflegepersonal oder den Angehörigen entdeckt werden. Die Folgen können Mangelernährung (Malnutrition) und Dehydratation sein, aber auch Pneumonien können als Folge von aspirierter Nahrung und infektiösem Speichelsekret auftreten.
Aus der Sicht der Pflege sind neben einer aufmerksamen Beobachtung von Störungen verschiedene Verhaltensmaßnahmen wichtig. Günstig ist zum Beispiel eine Konzentration auf die Mahlzeit, möglichst ohne ablenkende Beschallung oder Gespräche, wobei jeder Gang einzeln und nur mit dem passenden Besteck serviert werden sollte. Im fortgeschrittenen Stadium der Demenz müssen die Patienten an die Weiterführung der Nahrungsaufnahme und speziell an das Trinken erinnert werden, da oft kein Durstgefühl vorhanden ist und ein Glas auf dem Nachttisch vergessen wird. Farbige Flüssigkeiten und Trinkrituale werden hier als hilfreich beschrieben (vgl. Lind, 2003; Sachweh, 2008).
Im Rahmen eines Projektes zur Erfassung des Wissenstandes und des Fortbildungsbedarfs in deutschen Pflegeeinrichtungen haben wir an der Universität Bielefeld von 2007 ‑ 2009 eine Erhebung zum Kenntnisstand des Pflegepersonals in verschiedenen Einrichtungen der Region Ostwestfalen-Lippe durchgeführt, aus der sich Maßnahmen für effektive Fortbildungen und Schulungen ableiten ließen. Entsprechende Fortbildungen wurden zusammen mit Studierenden entwickelt und in ersten Studien evaluiert.
Die teilnehmenden Pflegekräfte zeigten einerseits ein deutliches Problembewusstsein, sie wiesen aber Lücken in theoretischen wie auch in praktischen Belangen der Versorgung der alten Menschen auf:
a) unspezifische Warnzeichen einer Dysphagie werden selten wahrgenommen,
b) es sind nicht alle sinnvollen Maßnahmen bei akuten Aspirationen bekannt,
bzw. es halten sich eher wenig effektive Maßnahmen und
c) es fehlt das theoretische Hintergrundwissen.
Aber auch theoretisch abrufbares Wissen kann von den Pflegekräften nicht immer angemessen auf konkrete Situationen angewendet werden (vgl. Hielscher‑Fastabend, Deister, Rothe & Stechbart, in Vorb.). Andererseits weisen die Pflegekräfte mit Recht auf Probleme ihres Alltags hin, die die Situation für eine adäquate Versorgung der Patienten / Bewohner deutlich behindert: hier wird an erster Stelle die enge zeitliche Struktur genannt, außerdem fehlende Fortbildungen und mangelnde Unterstützung vor Ort in kritischen Situationen durch Spezialisten (Ärzte / Therapeuten).
Im Rahmen von Qualitätssicherungsstandards sollten verbindliche Leitlinien für die Versorgung von Pflegeheimbewohnern mit einer Schluck‑ und Essproblematik und zur Früherkennung von Betroffenen entwickelt werden. So könnte eine Erhöhung der Versorgungsqualität auch eine Vermeidung von Krankenhausaufenthalten der alten Menschen besonders in den letzten Lebenswochen und -tagen bedeuten sowie eine enorme Reduzierungen der damit verbundenen hohen Kosten (vgl. Ramroth et al., 2006).
Noch schwieriger stellt sich womöglich das Problem für die ambulante Pflege durch ausgebildete Pflegekräfte in der mobilen Pflege, wie auch durch pflegende Angehörige dar. Hierzu existieren allerdings noch weniger Studien als im Bereich der stationären Pflegeeinrichtungen.
Literatur
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Colodny, N. (2001). Construction and validation of the mealtime and Dysphagia Questionnaire. Dysphagia, 16: 263‑272
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Füsgen, I. (2003). Sprech‑ und Schluckstörungen bei Alzheimer-Demenz. In I. Füsgen (Hrsg.) Sprech‑ und Schluckstörungen ‑ Problemfeld in der Demenztherapie (Bd. 5), S. 11‑18. Wiesbaden: Medical Tribune.
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Hielscher‑Fastabend, M., Deister, D., Rothe, C. & Stechbart, R. (in prep.). Probleme des Schluckens und der Nahrungsaufnahme im Alter: Zum Kenntnisstand und Fortbildungsbedarf bei Altenpflegekräften.
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Hoffmann, H. & Hielscher‑Fastabend, M. (2008). Dysphagie im Alter: Versorgungssituation und Versorgungsdefizite in Altenpflegeeinrichtungen. In S. Stanschus (Hrsg.), Studien der Klinischen Dysphagiologie: Dysphagieforum 4 (S. 115‑182). Idstein: Schulz-Kirchner Verlag.
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Jaradeh, S, (1994), Neurophysiology of swallowing in the aged. Dysphagia, 9; 218‑220.
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Kikawada, M., Iwamoto, T., Takasaki, M. (2005). Aspiration and Infection in the Elderly. Epidemiology, Diagnosis and Mangament. Drugs Aging, 22 (2): 115‑130
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Kolodny, V., Malek, A.M. (1991). Clinically enhancing nursing practice: improving feeding skills. J Gerontol Nurs, 17 (6): 20‑24
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Lind, S. (2003). Demenzkranke Menschen pflegen. Bern: Verlag Hans Huber.
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Motzko, M & Weinert, M (2003). Schluckstörungen im Alter. Pro Alter 4/03. Kuratorium Deutsche Altenhilfe, 74‑78.
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Ramroth, H., Specht‑Leible, N. et al. (2006). Inanspruchnahme stationärer Krankenhausleistungen durch Pflegeheimbewohner. Deutsches Ärzteblatt, 103(41): A 2710‑3.
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Sachweh, S. (2008). Spurenlesen im Sprachdschungel: Kommunikation und Verständigung mit demenzkranken Menschen (S. 175‑177). Bern: Verlag Hans Huber.
Autorin
Prof. Dr. Martina Hielscher-Fastabend
Pädagogische Hochschule Ludwigsburg
Institut für allgemeine Sonderpädagogik
71634 Ludwigsburg
Quelle: 33. Workshop des Zukunftsforums Demenz (Firma Merz Pharmaceuticals) zum Thema “Herausforderungen für die Pflege Demenzkranker: Stürze, Fixierung, Schluckstörungen und Desorientierung“ am 02.11.2010 im Diakoniekrankenhaus Henriettenstiftung Hannover (tB).