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Progressionshemmung von Nierenerkrankungen

Von Prof. Dr. J. Floege, Aachen

Glomerulonephritis/ IgA-Nephritis In der westlichen Welt stellt die Glomerulonephritis (GN) nach der diabetischen und hypertensiven Nephropathie die dritthäufigste Ursache einer fortgeschrittenen Niereninsuffizienz dar. Eine „Glomerulonephritis“ ist eine Nierenentzündung („Nephritis“), die vorwiegend die Nierenkörperchen („Glomeruli“) betrifft. Die Glomeruli sind die eigentlichen Filtereinheiten der Niere. Bei einer entzündlichen Schädigung sind sie nicht mehr in der Lage, wichtige Blutbestandteile wie Albumin (Eiweiß) bzw. ganze Blutzellen wie Erythrozyten zurückzuhalten, es kommt zur Proteinurie, ggf. zur (Mikro)-Hämaturie.

Die gestörte Urinproduktion führt zum Ungleichgewicht von Salz und Wasser im Körper, häufig kommt es daher zu Ödemen. Im Gegensatz zur Nierenbeckenentzündung, die bakteriell verursacht wird, haben Glomerulo-Nephritiden immunologische Ursachen, das weiß man heute, wenn auch die Einzelheiten der Pathomechanismen an manchen Punkten noch nicht vollständig geklärt sind. Das macht die Therapie nicht einfach, Antibiotika helfen hier im Gegensatz zu anderen, bakteriellen Entzündungen nicht. Die IgA-Nephritis (Morbus Berger) ist die häufigste der idiopathischen Glomerulonephritiden. Aus unbekannten Gründen werden Immunkomplexe, die IgA enthalten, im Glomerulum abgelagert. Diese Ablagerungen führen zu einer komplexen Entzündungsreaktion mit Einwanderung von Granulozyten und Proliferation von Mesangium-Zellen. Männer sind etwa doppelt so häufig betroffen wie Frauen. Ca. 20 % der Patienten entwickeln innerhalb von 10-20 Jahren ein dialysepflichtiges terminales Nierenversagen.

Risikofaktoren für einen solchen progredienten Verlauf sind Bluthochdruck, ausgeprägte Proteinurie, männliches Geschlecht, und Nikotinkonsum. In Europa beträgt der Anteil der IgA-Nephritis an der Gesamtzahl der Glomerulonephritiden 30 %, im asiatischen Raum ist der Anteil deutlich höher, in den USA möglicherweise geringer. Solche Populations-Unterschiede sprechen immer für eine genetische Prädisposition. Da die Erkrankung schmerzlos oft auch symptomfrei ist, wird sie in vielen Fällen nur zufällig oder gar erst im Stadium der terminalen Niereninsuffizienz entdeckt.


Therapie der IgA-Nephritis – radikal oder supportiv?

Seit über 50 Jahren wird in der Glomerulonephritisbehandlung eine entzündungshemmende, immunsuppressive Therapie eingesetzt. Dazu werden Medikamente wie die altbekannten Kortikosteroide, aber auch neuere Immunsuppressiva und Zytostatika (Cyclophosphamid, Azathioprin, Cyclosporin A, Mycofenolat) erfolgreich eingesetzt. Die Wirksamkeit ist in nahezu allen Fällen durch Studien nicht gut gesichert, so dass Therapie-Empfehlungen in der Regel auf einer schwachen Evidenzbasis beruhen. Diese komplexen Therapien sind, wie aus der Onkologie bekannt, mit signifikanten Risiken und Nebenwirkungen behaftet, letale Komplikationen sind möglich.Wie bei jeder schweren und/oder chronischen Erkrankung ist eine gute unterstützende Behandlung aller Begleitumstände (supportive Therapie) wichtig. Bei Nierenerkrankungen ist diesbezüglich eine umfassende Datenmenge vorhanden und die Evidenz für die Wirksamkeit der supportiven Therapie ist sehr hoch. So gehört eine konsequente Blutdrucksenkung und Proteinuriebehandlung zum sogenannten nephrologischen Goldstandard, entspricht also der leitliniengerechten Therapie. Dazu finden bevorzugt Medikamente der Klasse der Angiotensin-Converting-Enzyme (ACE)-Inhibitoren und der Angiotensinrezeptor-Antagonisten Anwendung. Für die supportive Therapie gibt es inzwischen vergleichsweise große Studienzahlen, die belegen, dass durch die antihypertensive und antiproteinurische Therapie ein ähnliches Resultat wie mit der immunsuppressiven Therapie erzielt werden kann.

Komplexe Therapieentscheidung: Radikal oder supportiv?

Es stellt sich die Frage, welchen Anteil am Behandlungserfolg die supportive und welchen die immunologische Therapie hat.Leider verzichteten nahezu alle bisher publizierten randomisierten Studien zur Immunsuppression auf eine nach heutigem Kenntnisstand gute supportive Therapie. Dies liegt daran, dass zum Zeitpunkt dieser Studienkonzeptionen (80er und 90er Jahre) die Leitlinien noch nicht auf dem jetzigen Stand waren. Damals wurde beispielsweise ein deutlich höherer Blutdruck als akzeptabel angesehen, was sich inzwischen klar als falsch erwiesen hat. Bereits 2001 demonstrierte eine kleine koreanische Studie [1] bessere Ergebnisse für die alleinige ACE-Hemmer-Therapie versus Immunsuppression. Es gibt weitere aktuelle Daten, die eine alleinige Kortikoid- mit einer Kortikoid-plus-Azathioprin-Therapie direkt vergleichen [2]. Hier profitierten die Patienten nicht vom zusätzlichen Azathioprin. In einer dritten japanischen Studie konnte nur die Kombination von Kortikosteroid und Blockade des Renin-Angiotensin-Systems, nicht aber die alleinige Kortikosteroidtherapie den Nierenfunktions-Verlust aufhalten [3].Zusammenfassend muss man feststellen, dass es bisher keine ausreichenden Daten (Patientenzahlen) gibt, ob bei optimaler supportiver Therapie eine zusätzliche Immunsuppression überhaupt einen weiteren therapeutischen Nutzen hat bzw. ob die Nutzen-Risiko Analyse in einem solchen Fall noch positiv ausfällt. Eine unnötige Belastung und Gefährdung von Patienten ist abzulehnen [4].

STOP IgAN-Studie soll Aufschluss geben

Vor diesem Hintergrund haben wir im Rahmen des BMBF-/DFG-Programms „Klinische Studien“ eine Industrie-unabhängige prospektive, multizentrische randomisierte Untersuchung zu diesem Thema beantragt. Die Durchführung der Studie „Supportive versus immunosuppressive Therapie zur Behandlung der Progressiven IgA Nephropathie“ (STOP IgAN) wurde Mitte 2007 bewilligt. Sie soll Anfang 2008 in Deutschland sowie den Niederlanden begonnen werden. Die STOP-IgAN Studie ist die erste große Glomerulonephritis-Studie, die vom BMBF und DFG gefördert, bundesweit laufen wird.In der STOP-IgAN Studie werden wir untersuchen, ob bei optimaler supportiver Therapie von Patienten mit dem Risiko für eine progrediente IgAN noch ein zusätzlicher Nutzen einer immunsuppressiven Therapie nachweisbar ist. Nach einer 6-monatigen Einleitungsphase mit einer standardisierten optimalen supportiven Therapie für alle Patienten werden sie randomisiert in zwei Gruppen weiterbehandelt. Geplant ist eine Studiendauer von 3,5 Jahren. In der Vergangenheit gab es immer wieder medizinische Studien, die abgebrochen wurden, wenn sich in einem Therapiezweig statistisch ein signifikanter Unterschied zeigte. Wir sind sehr gespannt, wie es bei der IgA-Nephritis sein wird, ob hier vielleicht gilt „weniger ist mehr“. Es wäre ein großer Fortschritt in der Nephrologie, wenn die Studienlage zeigt, dass ein Rückschritt (bzw. ein „Schritt zurück“ in der Aggressivität der Therapie bei IgA-Nephritis) die bessere Therapie zum Erhalt der Nierenfunktion und/oder des Überlebens darstellt.

Weitere Forschungsansätze

Natürlich gibt es über die genannten etablierten Medikamente hinaus noch über weitere, neue Entwicklungen aus der Forschung zu berichten. Laufend verbessern sich unsere Kenntnisse über die Pathomechanismen der verschiedenen Formen der Glomerulonephritis und damit zeichnen sich ganz neue therapeutische Angriffspunkte ab. Chronische Nierenerkrankungen, die zur fortschreitenden Organversagen führen, gehen mit geweblichen Veränderungen einher, im Terminalstadium steht histologisch die Nierenfibrose und funktionell die Dialysepflicht. Die progrediente Vernarbung und Fibrosierung möglichst in ihren Anfängen zu stoppen, ist eine große Herausforderung. Zusammenhänge zwischen inflammatorischen Vorgängen, Wachstumsfaktoren, Proliferations-Mediatoren, Komplement, Zytokinen, Adhäsionsmolekülen, rezeptorvermittelten Vorgängen, Endothelin und vielen anderen Substanzen wurden verstanden und therapeutische Ansätze sind vorhanden. Der Wachstumsfaktor PDGF (Platelet-Derived Growth Factor) beispielsweise spielt eine Schlüsselrolle unter den Mediatoren der Fibrosierung verschiedener Organe (Wundheilung und Inflammation, Atherosklerose, Malignität und Zellproliferation, Gewebspermeabilität). PDGF ist der potenteste bekannte Stimulus der mesangialen renalen Zellproliferation und somit bei den meisten chronischen Nierenerkrankungen beteiligt. Ein therapeutischer Angriff am PDGF, seinen vier Isoformen bzw. deren Rezeptoren ist möglich und wird in der onkologischen Therapie bereits eingesetzt. Eine erste klinische Studie zum Einsatz von PDGF-Antikörpern in der Therapie der IgA-Nephritis ist geplant. Vielversprechend ist auch die neueste Generation der Tyrosinkinase-Inhibitoren, die ein ausgezeichnetes Sicherheitsprofil haben, in der Onkologie bereits klinisch eingesetzt werden und insofern auch in Nierenerkrankungen getestet werden können.

Fazit

In Zeiten, wo die pharmakotherapeutischen Möglichkeiten zunehmen, wächst bei Ärzten und Patienten das Sicherheitsbedürfnis. Dieses Bedürfnis besteht zu Recht und sollte mit großen Studien weitestgehend abgesichert werden. Innovative Therapien sollten daher immer in Studienprotokollen verlaufen, um in Verlauf der Jahre statistisch valide Aussagen machen zu können, bzw. um frühestmöglich die weniger wirksame oder gar schädliche Therapie abzubrechen. Solange die laufenden Studien keine anderen Ergebnisse aufzeigen, gilt die supportive Therapie als Goldstandard bei der IgA-Nephritis. Ob eine zusätzliche Therapie mit Zytostatika bessere Ergebnisse liefert, ist bislang nicht durch prospektive randomisierte Studien abgesichert. Angesichts dieser Studienlage und der kurzfristigen, insbesondere aber langfristigen Nebenwirkungen von Chemotherapien, ist man in den letzten Jahren von den aggressiven Therapieformen abgerückt. Es gibt aber stattdessen neue, hoffnungsvolle Therapieansätze, insbesondere im Bereich der Antikörpertherapie. Denn auch, wenn es Schlagzeilen der jüngsten Zeit anderes propagierten: Medizinischer Fortschritt ist nicht gleichbedeutend mit der aggressivsten Therapieform!

Literatur

  1. Hwang YC, Lee TW, Kim MJ et al.: Clinical Course of patients with IgAnephropathie between combined treatement of immunosuppressive agents and ACE inhibitor and ACE inhibitor alone. Korean J Intern Med 16:105-109, 2001
  2. Abstract ERA-EDTA Congress 2007 (http:\\www.igan-world.org)
  3. Horita J, Tadokoro M, Taura K et al.: Prednisolone co-administered with lorsatan confers renoprotection in patients with IgA nephropathy. Ren Fail 29:441-446, 2007
  4. Floege J, Eitner F: Present and future therapy options in IgA nephropathy. J Nephrol 18: 354-361, 2005
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